Hamburg. Bis zu 15.000 Menschen protestierten in der City gegen die Firma LPT und forderten ein Ende von Tierversuchen. Kritik an Rot-Grün.
Der Regen wollte nicht enden, die Temperatur verharrte bei fünf Grad, doch das hielt die Demonstranten nicht ab: 13.000 bis 15.000 Menschen, so schätzte es die Polizei, sind am Sonnabend in der Hamburger Innenstadt mehr als drei Stunden lang für ein Ende von Tierversuchen auf die Straße gegangen.
Weithin hörbar waren die Trillerpfeifen, Trommeln und Sprechchöre der Teilnehmer. Gegen 16 Uhr erstreckte sich der Protestzug vom Jungfernstieg auf Höhe des Rathausmarktes bis über den Gänsemarkt hinaus.
Aktivist hatte leidende Tiere im Labor gefilmt
Der Verein Soko Tierschutz, Mitorganisator der Kundgebung, hatte mit bis zu 10.000 Teilnehmern gerechnet. Vor dem Start versammelten sich zunächst etwa 8000 Menschen am Hauptbahnhof. Bald darauf bekam der Protest weiteren Zulauf. Tausende Menschen hielten Pappschilder in die Höhe, mit Aufschriften wie: „Wenn Tiere sprechen könnten, würde die Menschheit weinen“ – und mit Appellen wie diesem: „Lasst uns die Tiere aus der Folterkammer holen.“ Eine Gruppe skandierte: „Schande, Schande, Mörderbande.“
Die Großdemonstration richtete sich insbesondere gegen die umstrittene Hamburger Firma LPT. Sie betreibt drei Tierversuchslabore, eines davon in Mienenbüttel im niedersächsischen Kreis Harburg. Dort hatte Soko Tierschutz einen Aktivisten als Mitarbeiter eingeschleust. Er filmte blutende Hunde und schreiende Affen. Die Aufnahmen lösten eine Welle des Protests aus. Die Staatsanwaltschaft Stade ermittelt.
Tierschützer: "Der Verrat von Rot-Grün an den Tieren"
Zwar hieß es zunächst, das Labor in Mienenbüttel werde 2020 geschlossen. Ob das passieren wird, ist jedoch unklar: Nach Angaben des Landkreises gibt es bislang juristisch keinen hinreichenden Grund. Soko Tierschutz fordert eine Übergabe der Tiere an den Tierschutz. „Wir werden nicht innehalten, bis alle drei Labore dichtgemacht werden“, erklärte Vereinsgründer Friedrich Mülln.
Der Tierschützer kritisierte am Sonnabend laut die SPD und die Grünen in Hamburg. „Das ist der große Verrat von Rot-Grün an den Tieren“, rief Mülln, womit er sich auf den Neubau eines Tierversuchslabors am Uniklinikum Eppendorf (UKE) bezog.
Es sei unverständlich, dass trotz der Debatten über Tierversuche und Enthüllungen über Misshandlungen neue Versuchslabore eröffnet werden können. Mülln betonte aber, das UKE habe „nichts mit dem LPT zu tun“, womit er offenbar sagen wollte, dass aus dem UKE keine verbotene Behandlung von Versuchstieren bekannt ist.
Gefälschte Medikamentenstudien an Ratten
Die Firma LPT hatte nicht nur durch die von Soko Tierschutz veröffentlichten Bilder für Entsetzen gesorgt. Hinzu kam ein Bericht des ARD-Magazins „Fakt“, der Anfang November gesendet wurde. Demnach besteht der Verdacht, dass LPT über Jahre hinweg Medikamentenstudien an Ratten gefälscht haben könnte. So behauptete etwa eine ehemalige Mitarbeiterin des Laborhauptstandorts in Hamburg-Neugraben, sie sei dazu „angehalten worden“, Ergebnisse zur Wirkung von Arzneien „zu verbessern“.
Als Reaktion erstattete die zuständige Hamburger Gesundheitsbehörde Strafanzeige gegen LPT. Dasselbe tat die Grünen-Abgeordnete Christiane Blömeke. Nun soll die Staatsanwaltschaft ermitteln. LPT werde vorerst keine weiteren Genehmigungen für Tierversuche in Hamburg erhalten, so die Behörde. Sie prüft nun bereits erteilte Genehmigungen für noch nicht begonnene Tierversuche bei LPT. Eine Abendblatt-Anfrage hat die Firma bisher nicht beantwortet.
CDU fordert mehr Kontrollen von Tierversuchslaboren
Abgeordnete der Hamburger CDU-Fraktion um Dennis Thering fordern nun in einem Bürgerschaftsantrag vom rot-grünen Senat, ein „engmaschigeres“ Kontrollsystem für Tierversuchslabore zu entwickeln. Der Senat solle sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass das im Tierschutzgesetz vorgesehene Kontrollintervall von „mindestens alle drei Jahre“ auf mindestens einmal im Jahr erhöht wird. Die Gesundheitsbehörde erklärt auf Nachfrage, in Hamburg liege die Kontrollfrequenz „bereits regelhaft“ über dem aktuellen Mindeststandard. Was das konkret bedeutet, sagte die Behörde allerdings nicht.
Viele Demonstranten erklärten am Sonnabend, dass Medikamentenstudien an Tieren unnötig seien. Die Forschung müsse auf alternative Methoden setzen. Was trägt Hamburg dazu bei? Viel zu wenig, sagt der Linken-Abgeordnete Stephan Jersch: „Die Erforschung von Alternativmethoden zu Tierversuchen ist in Hamburg ein Trauerspiel und wird leider immer wieder als Randthema möglichst schnell weggeredet.“ Ähnlich sieht das CDU-Politiker Dennis Thering: „SPD und Grüne bei uns in Hamburg müssen endlich mehr Einsatz bei der Erforschung von Ersatzmethoden zeigen.“
Alternative Methoden zu Tierversuchen in Berlin
Auf Anfrage verweisen Gesundheitsbehörde und Wissenschaftsbehörde auf den „Hamburger Forschungspreis zur Erforschung von Alternativen zum Tierversuch“. Er wurde seit 2016 zweimal verliehen und war jeweils mit 20.000 Euro dotiert. Künftig soll das Preisgeld 50.000 Euro betragen. Außerdem fördere das UKE drei Forschungsprojekte zur Vermeidung von Tierversuchen mit 500.000 Euro, heißt es. Linken-Politiker Jersch verweist auf Berlin: Dort fördert der Senat ein neues Zentrum für Alternativmethoden zu Tierversuchen an der Charité von 2018 bis 2022 mit 1,8 bis zwei Millionen Euro – pro Jahr.
Professur für tierversuchsfreie Forschung?
In der medizinischen Lehre am UKE werden laut Wissenschaftsbehörde zwar schon seit Jahren keine Tiere mehr eingesetzt. In der Forschung sieht das allerdings anders aus. Ob hier die vor Kurzem von Rot-Grün beschlossene Verankerung des Tierschutzes im Hamburger Hochschulgesetz für Fortschritte sorgen wird, muss sich zeigen. Grünen-Politikerin Christiane Blömeke erklärt, ihre Fraktion wolle sich dafür einsetzen, dass am UKE eine Professur für tierversuchsfreie Forschung eingerichtet wird.
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