Hamburg. Hamburgs Bürgermeister soll der Industrie “weitreichende Zugeständnisse“ gemacht haben. Um diese Punkte geht es im Einzelnen.

"Unser Eindruck ist, dass der Bürgermeister dem jahrelangen Druck der Industrie nachgibt": Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des Bund für Umweltschutz und Naturschutz Deutschland Hamburg (BUND) hat am Dienstagvormittag die Mitschrift eines Gesprächs zwischen Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Matthias Boxberger, Vorstandsvorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH), vorgestellt – und Tschentscher verbal massiv attackiert.

"Das Papier ist uns letzte Woche zugespielt worden", sagte Braasch. Er betonte, dass das "Geheimpapier" nicht von den Grünen zum BUND gelangt sei. Nach Ansicht des BUND geht es darum, dass der Bürgermeister "Fakten schaffen" und "der Industrie weitreichende Zugeständnisse" machen wolle.

BUND fordert, dass Tschentscher Zugeständnisse zurücknimmt

„Diese inakzeptable und einseitige Begünstigung des Lobbyverbandes der Hamburger Industrie durch den Ersten Bürgermeister muss umgehend zurückgenommen werden", forderte Braasch. "Wenn dieses Papier umgesetzt wird, diktiert die Industrielobby dem Senat für sie günstige gesetzliche Regelungen in die Feder, erhält erleichterten Zugriff auf Gewerbeflächen und braucht sich vor einer gerichtlichen Überprüfung zweifelhafter Planungen nicht mehr zu fürchten."

Im Einzelnen geht es in dem "Geheimpapier" um folgende Punkte:

  • Genehmigungen beispielsweise beim Immissionsschutz werden nicht eingeschränkt, solange keine „einvernehmliche“ Lösung mit den betroffenen Unternehmen gefunden wurde. Der BUND kritisiert, dass der Senatschef die unabhängige und die gesetzliche Aufsichtspflicht der Verwaltung damit schwäche.
  • Bevor die Stadt Hamburg neue Regelungen der EU oder des Bundes in Landesrecht umsetzt, soll der „gemeinsame Umgang“ mit diesen Änderungen mit dem IHV beraten werden. Der BUND empört sich darüber, dass der IVH damit vor allen anderen Beteiligten und Betroffenen das Recht und die Möglichkeit erhalte, an Verordnungen und gesetzlichen Regelungen mitzuschreiben.
  • Hamburg soll dem IVH 300.000 Euro für eine Imagekampagne zahlen und zusätzlich die „Drittkosten“ bei gemeinsamen Veranstaltungen übernehmen. Kritik des BUND: Damit will der Bürgermeister mit Steuergeldern die PR-Arbeit eines Wirtschaftszweigs fördern, der selbst Milliardenumsätze vorweisen kann.
  • Die Stadt sichert zu, sich auf Bundesratsebene für eine Novellierung des Verbandsklagerechts einzusetzen. Der BUND stößt sich daran, dass das rot-grün regierte Hamburg damit der aktuellen und "höchstwahrscheinlich europarechts- und verfassungswidrigen" politischen Linie von CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer folgen würde.
  • Der Bürgermeister will einen „Anwalt der Industrie“ mit Mitarbeiterstab in der Wirtschaftsbehörde installieren. Diese Funktion soll der Staatsrat für Hafen, Innovation und Wirtschaft, Torsten Sevecke (SPD), zusätzlich übernehmen. Der Vorwurf des BUND: "Damit würde ein auf Staatskosten bezahlter Behördenchef zum verlängerten Arm von einseitigen Industrieinteressen."
  • Bislang nicht genutzte Gewerbeflächen sollen „vorrangig“ für die Industrie vorgehalten und auf Kosten der Stadt erschlossen werden. Nach Ansicht des BUND würde so die Möglichkeit, Brachflächen für das Grüne Netz Hamburg, eine Nachverdichtung im Wohnungsbau oder für die Naherholung zu nutzen, faktisch unmöglich.

Der BUND Hamburg führt in seiner Darstellung zudem an, dass es besonders im Hinblick auf die Klimakrise und dem Aussterben von Tier- und Pflanzenarten wichtig sei, dass "die Politik das Heft des Handelns" in der Hand behält. „Stattdessen gibt Hamburgs Bürgermeister dem jahrelangen Druck des Industrieverbandes nach Deregulierung und der Einschränkung von Umweltauflagen kurz vor den Bürgerschaftswahlen nach", so Manfred Braasch. "Mit diesem Vorgehen will er offenbar noch schnell die jetzigen politischen Mehrheitsverhältnisse für seine Zwecke nutzen."