Hamburg. Christian Lindner und Katharina Fegebank sehen den Schwarzen Peter im Streit um den Auftritt des FDP-Chefs bei der Uni-Leitung.

Er sollte später von einer „angenehmen Überraschung“ sprechen, höflich lächelnd, als habe es keinen Disput gegeben. Seinem Ärger hatte er bis dahin aber Luft gemacht. In Jeans und Sneakern war Christian Lindner am Montag mit dem Zug aus Berlin nach Hamburg gekommen, er hatte sich auf eine Rede vor den Türen der Universität Hamburg eingestellt, wo ihm „ein Signal für Meinungsfreiheit und Toleranz nötig zu sein“ schien, wie er erklärte.

Dafür wollte der FDP-Chef eintreten, erwartet von etwa 100 Menschen, unter ihnen Mitglieder der Liberalen Hochschulgruppe (LHG) und Hamburgs FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels-Frowein. Doch zu der kleinen Bühne auf der Schlüterstraße kam Lindner zunächst nicht, weil Hamburgs grüne Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank ihn abfing. Sie wolle mit ihm persönlich sprechen, bevor eine Brieffreundschaft entstehe, sagte Fegebank in Anspielung auf einen Brief von Lindner, in dem er sie aufgefordert hatte, sich für die Meinungsfreiheit einzusetzen.

Uni berief sich auf interne Regeln und untersagte Lindners Auftritt

Der Anlass: Die Universität Hamburg hatte einen von der LHG geplanten Auftritt Lindners in der Hochschule untersagt – mit Verweis auf interne Regeln, die parteipolitische Veranstaltungen an der Hochschule verbiete.

Die Absage für den FDP-Chef und die seit Wochen andauernden Störungen von Vorlesungen des Wirtschaftsprofessors und AfD-Mitbegründers Bernd Lucke an der Uni Hamburg hatten bundesweit eine Debatte über Meinungsfreiheit ausgelöst. „Dass die Universität Debatten ihrer Studentinnen und Studenten mit Politikern wie mir ablehnt, halte ich für höchst bedenklich“, hatte Lindner an Fegebank geschrieben und sie aufgefordert, „mit der universitären Selbstverwaltung das Gespräch zu suchen“.

Kurz darauf entschied der FDP-Chef, vor der Uni auf öffentlichem Grund aufzutreten, und schrieb: „Ich lasse mich nicht daran hindern, mit Studierenden zu diskutieren – auch von einer grünen Wissenschaftssenatorin nicht.“

Neue Regeln gelten seit Mai dieses Jahres

Als er Fegebank am Montag nun gegenüber stand, schlug Lindner zunächst einen freundlicheren Ton an. „Sie können zuhören, es wird sie nicht beschweren“, sagte er zu Fegebank – und nahm stattdessen die Uni aufs Korn. Dort durfte im Januar der Juso-Chef Kevin Kühnert auftreten, vor Kurzem fand an der Uni eine Veranstaltung mit Sahra Wagenknecht und anderen Politikern der Linkspartei statt. Für Kühnert galten noch alte Regeln, erklärt die Uni.

Die Diskussionsveranstaltung mit Linken-Politikern sei zwar schon unter neue Regeln gefallen, die seit Mai 2019 gelten. Allerdings sei die Uni in diesem Fall einverstanden gewesen, weil die Debatte als eine wissenschaftliche Veranstaltung angemeldet worden sei. Im Unterschied dazu sei bei der angekündigten Veranstaltung mit Christian Lindner eine parteipolitische Ausrichtung klar erkennbar gewesen, erklärt das Uni-Präsidium.

Fegebank sagte, Hochschulen seien „keine Orte für Parteipolitik“

Die FDP sieht es dagegen so, dass für sie die Vorgaben strenger ausgelegt worden seien. Lindner zu Fegebank: „Es ist schon etwas komisch, wenn man der erste Fall von neuen Regeln ist.“ Fegebank entgegnete, dass Hochschulen „keine Orte für Parteipolitik“ seien, womit sie ein früheres Statement wiederholte.

Aber: „Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden“, sagte die Senatorin. „Ich erwarte von der Uni-Leitung, dass sie dafür sorgt, dass nicht dieser Eindruck entsteht.“ Die Regeln der Uni müssten klar und transparent sein, sagte Fegebank. Lindner: „Allein dass Sie hier sind, ist ja ein unübersehbares politisches Signal an die Hochschulleitung.“

Lindner hält mehr Debatten mit Politikern an Unis für nötig

Während Fegebank sich verabschiedete, stieg Lindner auf die Bühne. An vielen deutschen Hochschulen habe er mit Studierenden reden können, in Frankfurt, in Bochum und in Leipzig, selbst im CSU-regierten Bayern, sagte der FDP-Chef. Nur in Hamburg wollte man ihn nicht sprechen lassen. Er akzeptiere die Autonomie von Hochschulen, aber das bedeute nicht, die Regeln der Universität Hamburg gut zu finden. „Wir sind der Meinung, demokratischer Austausch gehört in die Universitäten und nicht vor die Universitäten“, sagte Lindner.

„Was haben wir für ein Bild von einer zukünftigen akademischen Elite“, rief er, „wenn man die Hochschulen gewissermaßen steril halten will, und es dürfen demokratisch gewählte Mandatsträger nicht in die Hochschulen hinein.“ Es müsse sehr viel mehr Debatten mit solchen Politikern in Unis geben.

Lindner forderte die Vorsitzenden aller deutschen Parteien auf, nach Hamburg zu kommen und so, wie vor Kurzem vier ehemalige Hamburger Bürgermeister und Amtsinhaber Peter Tschentscher (SPD) miteinander diskutierten, in der Hansestadt „eine Runde zu machen“.

Lindner: Lucke muss „seine falsche Meinung offen sagen“ dürfen

Anschließend erklärte Lindner, die mit ihm verbundene Debatte sei „nur eine Nebensache“. Er sei besorgt, dass es in Hamburg eine „Hauptsache“ gebe: die Störungen der Vorlesungen von Wirtschaftsprofessor und AfD-Mitgründer Bernd Lucke. Er habe Lucke bekämpft wegen dessen Haltung zu Europa und dessen rechtsreaktionärer Gesellschaftspolitik. Trotzdem müsse Lucke „seine falsche Meinung offen sagen“ dürfen.

In Deutschland gebe es den Trend, „die Grenzen des Sagbaren immer weiter auszudehnen“. Das habe mit Thilo Sarrazin angefangen und finde seinen Endpunkt mit der AfD im Bundestag. Es gebe verletzende, Tabus brechende Formulierungen im Parlament. Gleichzeitig finde eine Gegenmobilisierung von scharf links statt. So gerate die politische Mitte unter Druck. Diese Mitte wolle einen vernünftigen Austausch, sagte Lindner: „Lassen Sie uns respektvoll und leidenschaftlich miteinander streiten.“