Hamburg. Schwere Vorwürfe: Jens Spahn verletze das Grundgesetz. Daten von Patienten in Gefahr. Ärzte ziehen drastischen Vergleich.
Ärzte aus Hamburg und Norddeutschland schalten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein, um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und seine Gesetze zur Digitalisierung von Patientendaten zu stoppen. In einem offenen Brief an Steinmeier spricht der ehemalige Bundestagsabgeordnete und jetzige Vorstand von Transparency Deutschland, Wolfgang Wodarg (SPD), davon, dass Spahn die Patienten und die Ärzte „überrumpele“.
Wodarg, der in Norddeutschland lebt und unter anderem in Hamburg als Arzt arbeitete, schreibt an Steinmeier: „Seit Amtsantritt des derzeitigen Gesundheitsministers kommen aus seinem Hause in rascher Folge Gesetze zur Abstimmung durch die Legislative, in denen die Persönlichkeitsrechte von Patienten und Versicherten im wahrsten Sinne des Wortes zu Markte getragen werden.“
Das sei verfassungswidrig und verstoße gegen die beiden ersten Artikel des Grundgesetzes (Würde des Menschen und Persönlichkeitsschutz).
Digitalisierung von Patientendaten: Vergleich zu Nazi-Praktiken
In Spahns jüngstem Digitalgesetz steht, dass die Daten aller über 70 Millionen gesetzlich Versicherten von den Krankenkassen zu Forschungszwecken weitergegeben werden sollen. Der Gesundheitsminister erhofft sich davon mehr Erkenntnisse über chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes und somit bessere Behandlungen. Für die Weitergabe soll es Regeln geben, die einen Rückschluss auf einzelne Patienten unmöglich machen. Der Bundestag hat das Gesetz bereits angenommen.
Wodarg meint: „Wenn wir unsere Schweigepflicht brechen, können wir dafür ins Gefängnis kommen, denn wer sich hilfesuchend an uns wendet, der braucht den besonderen Schutz seiner Privatsphäre.“ Der langjährige Abgeordnete scheut nicht vor einem drastischen Vergleich zurück. „Auch die Ärzte, die ihre psychisch kranken Patienten der NS-Vernichtungsmaschine preisgaben, handelten gesetzeskonform!“ Was Spahn plane, sei ein „Staatsstreich“.
Hamburger Ärzte: „Datenschutz ist Spahn egal“
Patienten können bei der Weitergabe ihrer Daten nicht widersprechen. Das kritisierte auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. Er sprach sich für freiwillige „Datenspenden“ aus.
Scharfe Kritik an der Weitergabe von Patientendaten übten auch Hamburger Ärzte wie Dr. Silke Lüder, Hausärztin in Bergedorf und seit Jahren Kritikerin der inzwischen gescheiterten elektronischen Gesundheitskarte. Lüder sieht Patientenrechte massiv eingeschränkt.
Ihr Kollege Dr. Matthias Soyka, der in Büchern die Tücken des Gesundheitssystems entlarvte, sagte: „Jens Spahn geriert sich als Prophet des Fortschritts mit seinem Digitalen Versorgungsgesetz und seinem neuen Registergesetz für Implantate. Datenschutz ist ihm egal.“
Chef der Frauenärzte: "Intime Details"
Ärzte, die sich dagegen wehrten, dass die Daten ihrer Patienten auf zentralen Servern gespeichert würden, müssten mit „harten Honorarkürzungen“ rechnen.
Der Landesvorsitzende des Gynäkologenverbandes, der Hamburger Frauenarzt, Dr. Wolfgang Cremer, erklärte: „Alle Patientendaten unterliegen ohne Unterschied dem Arztgeheimnis und sind gleichermaßen schützenswert. Trotzdem macht es einen Unterschied, ob Informationen z.B. über eine Hüftoperation oder eine Fraktur an eine Forschungsinstitution weitergegeben werden oder doch oft sehr intime Details aus dem gynäkologischen Bereich." Er sagte, man werde "sehr ausführlich" mit den Patientinnen sprechen müssen.
Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), die auch für Verbraucherschutz zuständig ist, hat sich bislang nicht zu den neuen Regelungen für Patientendaten geäußert.