Hamburg. Lehmitz und seine Weinstube in Eimsbüttel gehören zu den echten Originalen in Hamburg, die auch beim jungen Publikum beliebt sind.
Zu den Hamburger Institutionen, die in den vergangenen Jahren den nachhaltigsten Publikumswandel erlebt haben, zählen auch die altehrwürdigen Lehmitz Weinstuben an der Eimsbütteler Faberstraße.
Innen wie außen hat sich scheinbar nichts verändert: In altdeutschen Lettern prangt das Firmenschild auf schmiedeeisernem Grunde, von Reben umkränzt. Innen: eine unmissverständliche Huldigung der Eiche. Gestühl und Tische sind massivste Bad Wörishofener Wertarbeit aus den 1950er-Jahren. Kurzum: Die Weinstuben wirken noch immer wie der Treff für die reifere Jugend aus der Nachbarschaft, der sie lange waren.
Aber nun hat die fortschreitende Gentrifizierung Eimsbüttels das Lokal mit Macht erfasst: Trendige junge Bartträger treffen sich hier mit schönen Frauen, und Patron Bernd Lehmitz, den ich vor rund 35 Jahren bei Weinproben als smarten Jüngling mit rosa Seidenkrawatte und modischen Sakkos kennengelernt habe, darf sich mit seinen nun auch schon bald 60 Lenzen, leger gewandet und von der Jugend umschwärmt, als ältester Hipster der Stadt fühlen. Vor allem aber: als Bereiter großartiger Steaks.
Schoppenwein ist eher teuer, gute Flaschenware preiswert
Lehmitz ist bei der Auswahl seiner Zutaten ein absoluter Qualitätsfanatiker. Seine US-Prime-Choice-Dry-Aged-Rumpsteaks kommen aus Iowa von frei laufenden Graswiesenrindern und sind in Würze, Zartheit und Marmorierung ziemlich unvergleichlich. Zudem bereitet er dieses tolle Fleisch in einem 800-Grad-Grill zu, sodass es nahezu karamellisiert ist und mit einem einzigartigen Aroma punktet.
Eine traditionelle Spezialität des Hauses ist das Neuenburger Käsefondue: Ausschließlich besten Schweizer Rohmilch-Sbrinz verwendet der Hausherr hier und hat das Rezept über die Jahrzehnte perfektioniert. Wie es sich für eine traditionelle Weinstube gehört, ist die Auswahl guter Gewächse ausgesprochen umfangreich – die rund 70 Jahre gelebte Weinhandelstradition in der Familie hinterlässt ihre Spuren.
Und so ist der Hausherr vom pädagogischen Eifer beseelt, die Menschen zum gepflegten Verzehr ganzer Bouteillen zu motivieren, will heißen: Schoppenweine sind relativ teuer, die gute Flaschenware ist recht preiswert. Außerdem kann der produktversessene Küchenchef mit einer ausgesprochen bunten Familien- und Firmengeschichte punkten.
Aber lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: „Die Wurzeln unseres Geschäfts liegen in Eimsbüttel. Im 19. Jahrhundert betrieben meine Großeltern in der Lutterothstraße einen sogenannten ‚Fettwarenhandel‘ mit Eiern, Speck, Butter, Milch und Käse. Aus der Ehe gingen vier Söhne hervor, unter anderem mein Vater Ernst, 1903 geboren. 1927 machte mein Vater seinen ersten eigenen Fettwarenladen in der Wandsbeker Chaussee auf – möglichst weit weg vom Eimsbütteler Laden der Eltern, um sich nicht Konkurrenz in der eigenen Familie zu machen. Das war damals Ehrensache. Aus seiner ersten Ehe hatte mein Vater fünf Kinder, die großenteils auch im Weinhandel gelandet sind.
Die Liebe zum Wein entdeckte der Vater im Krieg
Es entstand nach dem Krieg eine regelrechte Lehmitz-Weinhändler-Dynastie, die in Teilen bis heute Bestand hat. So führt zum Beispiel mein Neffe Dirk, der rund zehn Jahre älter ist als ich, zusammen mit seinem Sohn Marco das Weinhaus am Stadtrand in Langenhorn.
1937 konnte mein Vater zurück nach Eimsbüttel in die Faberstraße, nachdem seine Eltern ihren Laden aufgegeben hatten. Seine Liebe zum Wein entdeckte er im Krieg, weil er als Soldat ins Offizierskasino abkommandiert war und für die Offiziere Wein besorgen musste.
Zur Recherche setzte er sich in einen Zug nach Bad Kreuznach, wo er dann Einheimische im Bus über die besten Winzer der Umgebung ausfragte. So gelangte er nach Wallhausen zum Weingut Weis, mit dem ich bis heute zusammenarbeite.
Nach dem Krieg waren Pferde in der französischen Besatzungszone Mangelware, weil die Franzosen alle Pferde der Winzer und Landwirte beschlagnahmt hatten. Anders hingegen im britisch besetzten Norddeutschland: Hier gab es genug Pferde, die mein Vater und sein Bruder erwarben, in die Pfalz und an die Nahe karrten und dort gegen Wein tauschten.
Die Franzosen fanden das gar nicht lustig, und so landete mein Vater kurz hinter schwedischen Gardinen. Aber mit dem raren Wein war er im Nachkriegs-Hamburg natürlich König!
Lieber zwei Silberhochzeiten als eine goldene
Auf einem Trümmergrundstück in der Faberstraße ging es los – es folgten die ersten legendären Weinfeste und Maskenbälle nach dem Krieg, alles in unserem großartigen Familienalbum verewigt, das eigentlich ein eigenes Buch wert wäre. Nach dem frühen Tod seiner ersten Frau ruhten die Augen meines Vaters dann Anfang der 1950er-Jahre wohlgefällig auf der jungen, attraktiven Ursula, die dort als Kontoristin angeheuert hatte.
Nach Ernsts Motto ‚Lieber zwei Silberhochzeiten als eine goldene!‘ wurde 1956 geheiratet, und 1961 kam ich zur Welt. Meine Eltern erkannten rasch die Trends der Zeit und importierten Wermut aus Italien, Portwein und Madeira aus Portugal und, lastzugweise in riesigen Korbflaschen, Sherry aus Spanien. 1962 konnten sie auf dem Trümmergrundstück anstelle des Provisoriums ein schmuckes Mehrfamilienhaus errichten, wo wir heute noch sitzen.
In den 80ern wandten wir uns dann stärker der Gastronomie zu. Die Renner damals in der Weinstube: Tortellini in Käse-Sahne-Mascarponesauce (Anmerkung des Chronisten: „Auweia!“), Schneckenpfännchen, überbackene Zwiebelsuppe und das heute noch beliebte Käsefondue. Nach dem Tod meines Vaters 1987 übernahm meine Mutter komplett das Zepter und ging erst 2016 in den Ruhestand. Ich habe bei meinen Eltern schon mit 16 Jahren meine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann begonnen und bin seitdem, abgesehen von ein paar kurzen Unterbrechungen, hier.“