Hamburg. Die Buchhandlungskette lud zum Jubiläum in den Kleinen Saal. Unter anderem gratulierte Altbundespräsident Joachim Gauck.
Am Ende, sagt Michael Busch gleich zum Anfang und mit einem feinen Lächeln, am Ende sei es gar nicht so wichtig, was man lese. „Sondern dass man liest!“ Als geschäftsführender Gesellschafter eines Buchhandelsunternehmens eine sehr nachvollziehbare Haltung.
100-jähriges Bestehen feiert die Thalia-Buchhandelskette im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, und wo könnte sie dies auch besser tun als in jener Stadt, in der für diese Muse beim gleichnamigen Theater einst alles begann, und noch dazu in einem Raum, der vor allem aus Holz besteht, ganz so wie die Bücher also, um die es an diesem Abend geht. Einem Mittwochabend, natürlich, denn bei Thalia gilt: „Mittwoch ist Lesetag“.
Elke Heidenreich spricht mit Leidenschaft über das Lesen
Für manch einen zum Glück auch an allen anderen Tagen. Denn es ist schließlich „die Kunst, die das Mensch-Sein rettet“, sagt Elke Heidenreich, die Autorin und pointierte Buch-Empfehlerin, die glühende Missionarin für das Lesen, die hier zum Jubiläum einen der Impulsvorträge hält.
„Lesen!“, mit Ausrufezeichen!, hieß einst ihre Sendung im ZDF; die Buchhandlungen, egal ob Branchenriesen wie Thalia oder klein und inhabergeführt, waren stets gut beraten, Heidenreichs Empfehlungen vorrätig zu haben. Und sie kann darüber noch immer mit derselben Leidenschaft sprechen. Zitiert Kafka („Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“) und Maxim Gorki („Liebt das Buch – die Quelle des Wissens“) und beschwört Kunst und Kultur als essenzielle Lebensmittel, die eben keine „Ausfüllung von Freizeit“ seien, sondern eine „Seins-Frage“.
Das Erzählen ist stärker als der Tod
In andere Leben einzutauchen, „das bewahrt uns manchmal davor, am eigenen Leben zu verzweifeln“. Und sollte doch noch jemand Zweifel haben, erinnert Heidenreich an Scheherazade aus „Tausendundeiner Nacht“, die Erfinderin des Cliffhangers. Denn etwas gebe es, so Heidenreich, das sogar stärker sei als die Liebe und der Tod: das Erzählen.
„Mehr lesen“ also – auch Bestsellerautor Peter Wohlleben kommt zu diesem Schluss in seinem frei gehaltenen Stand-up-Vortrag über das „Bewusstsein der Bäume“, das „Schmerzempfinden der Pflanzen“ und Solidarität als Naturprinzip. Der österreichische Schriftsteller Marc Elsberg wiederum schwärmt nicht nur vom Lesen, sondern auch vom Lesestoff-Produzieren: „Ich versuche, mir schreibend die Welt zu erklären.“
Joachim Gauck träumt von kleinen, dunklen Buchläden
Dass ausgerechnet Joachim Gauck, Bundespräsident a. D. und erklärter Wunschredner der Thalia-Jubiläumsgala, schließlich gesteht, er träume keineswegs von großen Literatur-Palästen, sondern von kleinen, dunklen Buchläden, wo eine 65-jährige Buchhändlerin zwischen alten Regalen genau wisse, wonach er suche, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Man brauche jedoch Menschen, die „die wirtschaftliche Macht haben, zu überleben“, fängt Gauck seine Spitze wieder ein und erklärt seinen hohen Respekt vor der Wirtschaftskultur familiengeführter Unternehmen. Ein Plädoyer für Verantwortung und Selbstüberprüfung ist die Rede dann vor allem. Und eine Mahnung: „Wissen allein rettet uns nicht.“