Hamburg. Razzia gegen „Horror-Vermieter“: Dieser soll Wanderarbeitern zwar den Mindestlohn gezahlt haben, zog davon aber die Wuchermiete ab.
Sie kamen am frühen Donnerstagmorgen mit einem gewaltigen Aufgebot – mehr als 100 Polizisten, Zöllner, Bauprüfer des Bezirksamts, Mitarbeiter der Jobcenter und der Gesundheitsbehörde sowie des Finanzamts. An der Humboldtstraße in Barmbek-Süd, aber auch am Wulmsberggrund in Hausbruch wurden Gebäude durchsucht, osteuropäische Wanderarbeiter befragt und belastende Dokumente sichergestellt. Der Verdacht: Mietwucher, Sozialbetrug und systematische Ausbeutung von Ausländern.
Man habe Wohnräume identifiziert, in denen deutlich mehr Menschen schliefen als erlaubt. Offenbar hätten sogenannte Hausmeister Wuchermieten von den Bewohnern eingetrieben – in bar. Nach Abendblatt-Informationen fanden die Beamten Belege dafür, dass in einem Fall eine Miete von 700 Euro für 9,5 Quadratmeter verlangt wurde – und diese einen Monat später sogar auf 800 Euro stieg.
1150 Euro Miete für 22,5 Quadratmeter
Ein weiteres Zimmer mit offener Küche von 22,5 Quadratmetern Größe – und ohne eigenes WC – wurde nachweislich für 1150 Euro vermietet. In dem überprüften Objekt an der Humboldtstraße war ein Gebäudeteil, der nicht zum Wohnen vorgesehen ist, mit Betten möbliert, wie die Sozialbehörde am Donnerstagnachmittag mitteilte.
Am Wulmsberggrund waren die Behörden auf ein weiteres Objekt aus zwei Gebäudeteilen gestoßen, an die zudem ohne Anmeldung ein Holzbungalow angebaut worden war. Dort trafen sie bei der Razzia auf zehn Osteuropäer, die in der Hütte wohnten. Bei dem Vermieter und dem Arbeitgeber der Bewohner soll es sich um dieselbe Firma handeln, heißt es in Behördenkreisen. Konkrete Beschuldigte gibt es in den aktuellen Verfahren aber noch nicht.
Mindestlohn wird gezahlt und offenbar mit Miete verrechnet
Bei der Razzia handelte es sich um den sechsten sogenannten Aktionstag, den die unterschiedlichen Behörden gemeinsam durchführten. Hinweise kamen zunächst aus dem Melderegister, das zeigte, dass in dem Gebäude erheblich mehr Personen gemeldet waren, als nach der Größe möglich wäre. „Wir wollen nicht, dass hier in Hamburg aus der Notlage von Menschen Profit gemacht wird“, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD). Die angetroffenen Osteuropäer werden von der sogenannten Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit betreut.
Die Behörden gehen nun dem Verdacht nach, ob der Lohn und die Miete jeweils „zu Ungunsten der Beschäftigten verrechnet wurden“, wie es in der offiziellen Mitteilung heißt. Offenbar sind die Arbeitsverträge der Betroffenen tadellos und der Mindestlohn erfüllt. „Das System wird somit erst sichtbar, wenn mehr als eine Behörde genauer hinsieht“, heißt es dazu aus der Sozialbehörde. Demnach blieb nach den horrenden Mietkosten nur ein Hungerlohn für die Osteuropäer übrig.
Im März 2018 wurde ein Haus in Bergedorf durchsucht
Laut Behörde wird wegen der baulichen Mängel und Vergehen nun voraussichtlich eine Nutzungsuntersagung ergehen. Zudem drohen den Verantwortlichen eine Reihe von Konsequenzen. Nach einer Razzia am „Aktionstag“ im März 2018 an der Straße Reetwerder in Bergedorf klagte die städtische Gesellschaft „Fördern & Wohnen“ etwa inzwischen auf Mietrückzahlungen und erstattete Kosten für die öffentliche Unterbringung, der Streitwert dieses Verfahrens beläuft sich allein auf 36.000 Euro. „Nach dem Abschluss des Verfahrens könnten viele weitere ähnliche Klagen folgen“, heißt es bei den Behörden. Auch die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen des sogenannten Horror-Hauses auf.
Die Masche der Vermieter sieht oft vor, dass die Mieter sich regulär anmelden und Mietunterstützung beziehen – diese wird jedoch teilweise oft an Mittelsmänner weitergegeben, der Gewinn für die Vermieter potenziert sich.
Jobcenter fordern Hunderttausende Euro zurück
In den bekannten Fällen stellt deshalb das Jobcenter finanzielle Forderungen. „Wir haben bereits 80 Fälle an unseren Rechtsanwalt abgegeben, mit dem Ziel, zu Unrecht gezahlte Leistungen zurückzufordern“, sagte Jobcenter-Chef Dirk Heyden dem Abendblatt. „Wir sprechen hier von Rückforderungsansprüchen in sechsstelliger Höhe.“ Die endgültigen Ermittlungen seien allerdings noch lange nicht abgeschlossen – weitere Verfahren sollen noch folgen.
Bei den vergangenen „Aktionstagen“ stellten die Behörden auch Hinweise auf Schwarzarbeit fest und brachten Familien in Ersatzunterkünfte, da es eine Gefährdung von Kindeswohl zu verhindern galt. Nicht immer gibt es jedoch eine wirksame Handhabe gegen die Praktiken der Vermieter. Auch wenn die Behörden etwa verpflichtende Auflagen erteilen können, beispielsweise Bau- und Hygienemängel zu verbessern, lebten in einigen Häusern nach Razzien noch immer Osteuropäer unter grenzwertigen Bedingungen.
Nach Angaben der Sozialbehörde sind vier Gebäude, die im Zentrum von „Aktionstagen“ standen, nach Nutzungsverboten inzwischen wieder teilweise bewohnt. Wo noch Mängel bestünden, befinde man sich „in Klärung“ über eine Abhilfe.