Hamburg. Große Modernisierungen, um Energie zu sparen, können das Wohnen stark verteuern. Konzern plädiert für neue Strategie.
Die Horner Geest zählt nicht zu den medial besonders beachteten Quartieren. Wer das Viertel im Internet sucht, stößt auf einen Eintrag mit dem Slogan „Billstedt, Horn, gemeinsam vorn“. 5000 Wohnungen, 13.000 Einwohner, seit 1999 Fördergebiet des städtischen Entwicklungsprogramms. Künftig könnte die Horner Geest jedoch im Fokus einer aktuellen Diskussion stehen.
Denn dieses Quartier haben Experten im Auftrag des städtischen Wohnungsbaukonzerns Saga (4200 Wohnungen in der Horner Geest) und der Hansa Baugenossenschaft (800 Wohnungen) ein Jahr lang wissenschaftlich analysiert. Vieles spricht dafür, dass die Ergebnisse die Debatte um Wohnen und Klimaschutz verändern werden, in Hamburg und womöglich in ganz Deutschland.
Saga hat Klimaschutzziel bereits übererfüllt
Thomas Krebs, Volkswirt und promovierter Politologe, will genau diese Diskussion durch das Gespräch mit dem Abendblatt befeuern. Dabei könnte der Vorstandschef eines der größten deutschen Immobilienunternehmen (mehr als 134.000 Wohnungen) das Thema Klimaschutz relativ entspannt angehen. Sein Unternehmen hat in den vergangenen Jahren 75 Prozent des Bestandes energetisch auf Vordermann gebracht und 2,6 Milliarden Euro investiert. Die Saga hat das Hamburger Klimaschutzziel für 2030 – Halbierung des CO2-Ausstoßes gegenüber 1990 – bereits jetzt mit einer Einsparung in Höhe von 60 Prozent übererfüllt.
Doch die Immobilienbranche denkt in Dekaden. Und für 2050 heißt das Ziel im Klimaplan 80 Prozent Einsparung gegenüber 1990. Technisch wäre dies dank immer besserer Dämmstoffe, Heizungssteuerungen und Solaranlagen wohl machbar. Das Problem: Diese Operation wird aufwendig und damit sehr teuer, mit 900 Millionen Euro rechnet die Saga. Und so treibt Krebs wie die gesamte Immobilienbranche die Frage um, wie Wohnen im Zeitalter des Klimaschutzes bezahlbar bleiben soll. Und genau hier kommt die Horner Geest ins Spiel.
Quartiersszenario ist günstiger
Der Architekt Dietmar Walberg, als Chef der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Zeitgemäßes Bauen (Arge) Schleswig-Holstein, einer der renommiertesten deutschen Experten auf diesem Gebiet, hat mit einem Projektbüro im Auftrag von Saga und Hansa das Quartier untersucht.
Die Fragestellung: Gibt es einen anderen Weg, als wie üblich jede Fassade, jedes Dach zu dämmen und in jede Wohnung teure Be- und Entlüftungssysteme einzubauen? Wie wäre es, wenn man stattdessen nach Lösungen für das Quartier sucht? Etwa durch Solaranlagen oder Wärmepumpen für die Energieversorgung des Viertels.
Das Ergebnis der Studie laut Walberg: Das Quartiersszenario ist günstiger und verspricht dennoch einen besseren Klimaschutz. „Bis 2050 könnten wir sogar eine Übererfüllung für unser Beispielquartier erreichen, also eine höhere CO2-Reduzierung“, sagt Walberg. Der Einsatz erneuerbarer Energien wie Solaranlagen oder Wärmepumpen lohne sich in einem Quartier deutlich mehr als in einzelnen Gebäuden.
Saga-Chef: „Wir brauchen neue Ansätze“
Das Team um Walberg hat den Modellen auch konkrete Preisschilder umgehängt. Demnach müssten Saga und die Hansa Baugenossenschaft 162 Millionen Euro aufwenden, um jedes Gebäude im Quartier energetisch zu sanieren, beim Quartiersansatz nur 62 Millionen. Der Kostenvorteil von 100 Millionen relativiert sich allerdings, wenn man die Investitionen für die notwendige innovative Energieversorgung einbezieht. Diese kalkuliert Walberg mit 80 Millionen Euro, unter dem Strich bliebe aber immer noch eine Ersparnis von 20 Millionen Euro gegenüber dem Gebäudeansatz – und eben eine höhere CO2-Einsparung.
Saga-Chef Krebs wird nun in den kommenden Wochen für das Quartiersmodell werben – in der Politik wie in der Wohnungswirtschaft. „Wir brauchen neue Ansätze, um die Ziele ,bezahlbares Wohnen‘ und ,Klimaschutz‘ zu versöhnen“, sagt Krebs: „Auch wir sind unbedingt dafür, dass Hamburg seine ehrgeizigen Klimaziele erreicht. Aber gerade die Saga als Garant für günstige Mieten muss dafür sorgen, dass Mieter nicht über Gebühr belastet werden.“
Wohnungswirtschaft unter massivem Druck
In der Tat steht die Wohnungswirtschaft bei den nun anstehenden Modernisierungen unter massivem Druck. Denn jetzt geht es häufig um schwierige Fälle. Um Immobilien, deren energetische Sanierung besonders aufwendig ist. „Bei einem denkmalgeschützten Gebäude kann das doppelt so teuer werden wie ein Neubau“, sagt Krebs. Zudem seien die Baukosten extrem gestiegen.
Krebs weiß, dass ein Kurswechsel weg vom Gebäude, hin zum Quartier seine Tücken hat. Vor allem geht es um die Frage, wie die Bestände der Vermieter unter Energiegesichtspunkten ohne überbordende Bürokratie bewertet und kontrolliert werden. Krebs plädiert dafür, dass die Stadt mit den Vermietern konkrete Klimaziele für den jeweiligen kompletten Bestand vereinbart. Wie diese Ziele erreicht werden, soll dann Sache des Unternehmens sein. Möglich wäre dann also, dass ein denkmalgeschütztes Gebäude so belassen wird, wie es ist – und dafür aber eine andere Immobilie besonders aufwendig modernisiert wird.
Krebs plädiert für ein „Bonus-Malus-System“
Als Beispiel für die Chancen eines solchen Konzepts nennt Krebs den Energiebunker Wilhelmsburg: „Wenn wir in Wilhelmsburg eine Heizung austauschen, wäre es aus Klimagesichtspunkten sinnvoll, das Gebäude an den Energiebunker anzuschließen. Dies verursacht aber Kosten, die wir nicht an den Mieter weitergeben dürfen, da sich hier seine Warmmiete nicht ändern darf.“
Wenn es aber möglich wäre, diese Anschlusskosten als positiven Effekt für die CO2-Belastung des gesamten Wohnungsbestandes einzupreisen, würde sich aus Sicht von Krebs eine solche Investition wirtschaftlich deutlich besser rechnen. Dies gelte auch für synthetisches Gas, also die Nutzung von überschüssigem Ökostrom, um speicherbares Erdgas zu erzeugen. „Noch ist diese Art der Energieversorgung sehr teuer. Das kann sich aber ändern, wenn große Vermieter entsprechende Verträge abschließen“, sagt Krebs. Insgesamt könne der Quartiersansatz für einen Innovationsschub sorgen.
Nur, was passiert, wenn Vermieter die Ziele verfehlen? Krebs plädiert für ein „Bonus-Malus-System“. Wer seine Ziele erfüllt oder übertrifft, würde belohnt, wer scheitert, müsse mit Einbußen rechnen. Vermieter von Zinshäusern könnten aus Sicht von Krebs Vereinbarungen über die Verbände der Immobilienwirtschaft abschließen. „Wir haben kein fertiges Konzept erarbeitet“, sagt Krebs. Über Details müsse man nun mit den Verantwortlichen aus Politik und Immobilienwirtschaft reden. Allerdings dränge die Zeit, da derzeit auf Bundes- und Länderebene über neue Klimaschutzgesetze verhandelt werde.