Hamburg. Daniel Fuhrhop hält den Trend zu immer mehr Wohnungen für falsch. Besser fürs Klima seien Investitionen in den Bestand.

Bauen, bauen, bauen! Seit Jahren propagieren Senat und Wohnungswirtschaft dieses Programm als Mittel gegen die immer weiter steigenden Mieten und Kaufpreise in Hamburg, 10.000 Wohnungen pro Jahr heißt seit Jahren das Ziel. Der Oldenburger Stadtplanungsexperte und Betriebswirt Daniel Fuhrhop hält dies für falsch. „Auch in Hamburg wird zu viel gebaut“, sagt er. 5000 Wohnungen hätten gereicht, um statistisch den Zuwachs von 10.000 Hamburgern auszugleichen.

Dies sei im hohen Maße klimaschädlich. Viel sinnvoller seien Investitionen in den Bestand sowie eine bessere Wohnflächennutzung – dies erforscht Fuhrhop in Oldenburg im Projekt „OptiWohn“. Zudem müsse man älteren Menschen, die gern in eine kleinere Wohnung ziehen möchten, den Umzug erleichtern.

Herr Fuhrhop, Ihre Streitschrift heißt „Verbietet das Bauen!“ Wie kommen Sie zu dieser radikalen These?

Daniel Fuhrhop Radikal ist die Art und Weise, in der wir bauen, weil wir die Städte damit kaputt machen. Einerseits wird in den Städten viel zu viel abgerissen, obwohl die Häuser zur Geschichte der Stadt gehören und sie prägen. Und da entstehen dann Gebäude, die oft keineswegs besser in die Umgebung passen. Andererseits wuchern die Städte durch Baugebiete am Stadtrand aus, obwohl man seit Jahrzehnten weiß, dass dies schlecht für das Klima ist, weil die Wege länger werden. Deshalb halte ich es für überaus vernünftig und angemessen, hier nach einem Stopp zu rufen.

Wo steht Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen?

In der Schweiz etwa ist man weiter, weil man schon seit Langem ganzheitlich darauf schaut, ob sich ein Neubau im Vergleich zur Sanierung besser rechnet. Und eben nicht nur auf Betriebskosten achtet, die natürlich bei einem Neubau in der Regel günstiger sind als beim Altbau. Aber das Haus muss ja erst errichtet werden, und der Prozess des Bauens benötigt sehr viel Energie. Bei modernen Häusern sogar mehr Energie als deren Betrieb, also das Heizen, im kompletten Lebenszyklus von 50 und mehr Jahren.

Aber es gibt auch Gebäude, wo eine Sanierung viel zu aufwendig wäre.

Natürlich muss man jeden einzelnen Fall betrachten. Und wenn Wohnungen verwahrlost sind, kann es sein, dass sich der Erhalt nicht mehr rechnet. Aber wenn wir jetzt zum Beispiel in die Gründerzeit schauen, dann sind dort vor 120, 150 Jahren Häuser entstanden, die noch lange nicht das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie man diese noch besser erhalten und nutzen kann, statt alles immer neu zu erfinden.

Viele Familien mit kleinen Kindern suchen seit Jahren eine größere bezahlbare Wohnung. Für die ist Bauen wichtig!

Die Neubauanstrengungen in Hamburg haben nicht gerade geholfen, bezahlbares Wohnen für viele Menschen zu ermöglichen. Das klingt vielleicht absurd, aber die Zahlen belegen das. Wir haben in Deutschland seit der Wiedervereinigung nur zwei Millionen mehr Einwohner, aber sieben Millionen Wohnungen mehr. Diese würden theoretisch etwa 14 Millionen Menschen Platz bieten. Wenn trotzdem ganz dringend Wohnraum gesucht wird, zeigt dies, dass Bauen eben nicht die Lösung sein kann.

Woran liegt aus Ihrer Sicht die Misere?

Es gibt massive Spekulation. Gebäude stehen leer und werden nicht mehr fürs Wohnen genutzt, sondern als Anlageobjekt. Dann ist die Zahl der genutzten Quadratmeter pro Person immer weiter gestiegen. 1972 waren es noch 26,4 Qua­dratmeter, inzwischen über 46 Quadratmeter. Wir nutzen die vorhandenen Häuser nicht richtig aus. Und dann hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren die Tendenz extrem verschärft, dass die Menschen nach Hamburg und in andere boomende Städte ziehen, was woanders zu hohen Leerständen führt.

Was schlagen Sie vor?

Wir würden schon viel erreichen, wenn wir die Menschen mehr unterstützen, die gern anders wohnen möchten als derzeit. Ich denke insbesondere an viele Senioren, die allein in großen Wohnungen oder Häusern leben und sich gern verkleinern würden.

Aber wenn in Hamburg jemand mit einem alten Mietvertrag in eine kleine Wohnung ziehen möchte, zahlt er oft noch mehr.

Genau dafür brauchen wir Lösungen. Die kommunale Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft etwa garantiert jedem Mieter, der sich verkleinern möchte, dass sein Quadratmeterpreis identisch bleibt. Wer also seine Wohnfläche halbiert, halbiert auch seine Kosten. Marbach zahlt Senioren, die ihre Wohnung aufgeben und Platz machen für junge Familien, 2500 Euro Prämie. Aber es geht nicht nur um die finanziellen Randbedingungen. Sondern auch darum, dass sich jemand kümmert und eventuell sogar den gesamten Umzug organisiert.

Aber Sie werden nicht verhindern können, dass Menschen nach Hamburg ziehen, weil es hier gute Arbeits- und Studienplätze gibt.

Wenn es um regionale Ungleichheit geht, ist die Bundespolitik gefragt. Es ist gut, dass sich unsere Regierung mehr um schrumpfende Regionen kümmern will, etwa, dass bestimmte Behörden genau dorthin verlagert werden. Und Hamburg sollte ernsthaft darüber nachdenken, ob man Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung weiter so exzessiv betreiben sollte. Ist es wirklich notwendig, mit aller Macht neue Unternehmen nach Hamburg zu locken? Oder sollte man sich jetzt unter dem Eindruck der Wachstumsschmerzen darauf konzentrieren, diejenigen Branchen und Wirtschaftszweige zu fördern, die es vor Ort gibt?

Mit Oberbillwerder entsteht ein neuer Stadtteil mit 7000 geplanten Wohnungen.

Mich erinnert das an die Großsiedlungen der 1960er- und 70er-Jahre, die wir aus gutem Grund nicht mehr haben möchten. In Oberbillwerder wird städtebaulich gesehen viel Gutes geplant. Man wird aber andere Fehler machen. Und in einem solch großen Maßstab passieren auch Fehler in einem großen Maßstab. Vor allem aber bedeutet der Neubau von so vielen Wohnungen eine massive Belastung für das Klima. Der Energieaufwand für den Neubau eines kompletten Stadtviertels ist so gigantisch, dass es wie Hohn wirkt, wenn wir gleichzeitig über ein Klimapaket sprechen. So wie die Flugscham sollte das Bauscham auslösen.

Wie klimaschädlich ist Bauen?

Es gibt Studien, nach denen Bauen weltweit für etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs und des Ausstoßes klimaschädlicher Gase sorgt. Wahrscheinlich ist diese Zahl zu hoch, die Wahrheit liegt wohl eher Richtung 20 Prozent. Aber das ist immer noch immens hoch.

In Ihren Büchern sprechen Sie davon, dass es massenhaft ungenutzten Wohnraum gibt. Woher wollen Sie das wissen?

Es gibt zum Beispiel eine wissenschaftliche Untersuchung im Landkreis Steinfurt bei Osnabrück. Dort hat man sich die Einliegerwohnungen in Einfamilienhäusern angeschaut. Man hat festgestellt, dass diese bis zu 60 Prozent leer stehen, was hochgerechnet allein in diesem Landkreis 5000 ungenutzte Einliegerwohnungen bedeutet. Viele Eigentümer haben offenbar schlechte Erfahrungen mit Mietern gemacht und vermieten nicht mehr.

Bei Mietnomaden auch sehr verständlich.

Und deshalb ist es gut, wenn ein sozialer Träger sich darum kümmert, wer dort einzieht, die Miete garantiert, bürgt, oder selbst als Mieter auftritt. Das machen erfolgreich soziale Wohnraumvermittler. So ähnlich arbeitet in Hamburg die Lawaetz gGmbH, die Vermietungen absichert und begleitet. Solche Modelle sollte man ausbauen.

Sie haben Architektur studiert, hatten auch einen kleinen Verlag für Architektur. Diese Branche wird wie das Baugewerbe von Ihren Vorschlägen wenig begeistert sein.

Etwa zwei Drittel des Bauvolumens finden schon jetzt im Bestand statt. Bei Modernisierung und Instandsetzung gibt es genug zu tun. Erst recht dann, wenn wir uns noch mehr kümmern würden, wie Immobilien in Zukunft besser genutzt werden. Dann muss man nämlich öfter mal umbauen. Nicht nur für Energieeffizienz, Wärmedämmung und Heiztechnik, sondern auch um hier und dort mal ein Treppenhaus anders anzulegen, einen zweiten Zugang zu schaffen oder eine Wohnung zu teilen. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Sie haben ein Buch darüber geschrieben, wie man Wohnungen besser nutzen kann.

Mein erster Rat: Entrümpeln Sie ihren Haushalt, dies schafft sehr viel Platz. Ansonsten lohnt der Auftrag an einen findigen Architekten. Ich kenne in Hamburg ein Haus, wo unten die Großmutter allein lebt und oben die Familie mit Kindern. Der Architekt Gerd Streng hat durch eine schmale Treppe zwischen den Etagen dafür gesorgt, dass der Sohn auf der Etage der Großmutter ein eigenes Zimmer hat. Die Oma stört der Verlust eines Zimmers überhaupt nicht.

Wie sehen Sie die Situation im Markt der Gewerbeimmobilien?

Brauchen wir noch einen Einkaufsgiganten wie das Center, das gerade in der HafenCity im Überseequartier entsteht? Mit über 80.000 Quadratmeter Ladenfläche? Dies wird dazu führen, dass kleine Läden in Hamburg schließen müssen, weil jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Auch die neuen Logistikzentren an Autobahnen steigern den Flächenverbrauch in Deutschland, der bei 60 Hektar pro Tag liegt. Jeder kann mit seinem Einkaufsverhalten diesen Flächenfraß begrenzen, indem er seine Waren regional kauft und eben nicht bei den Online-Riesen. Aber bitte lassen Sie uns noch über einen Aspekt reden.

Gern.

Ich propagiere seit Jahren das Konzept Wohnen für Hilfe. Alte Menschen können ein oder zwei Zimmer vermieten an junge Leute, die ihnen im Gegenzug im Haushalt, beim Einkaufen oder im Garten helfen. Das Modell gibt es bereits in 35 deutschen Städten, leider aber noch nicht in Hamburg. Welches Potenzial dieses Modell hat, sieht man in Brüssel, wo jedes Jahr mithilfe der Stadt 300 neue Wohnpartnerschaften entstehen.