Hamburg. Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi warnt davor, beim Klimaschutz die sozialen Folgen auszublenden.

In Hamburg nehmen jeden Freitag viele Jugendliche an den Fridays-for-Future-Protesten teil. Beim Klimastreik am 20. September beteiligten sich sogar 70.000 Menschen aller Altersgruppen, nach Angaben der Veranstalter waren es sogar 100.000. Auch das Inter­esse an den Veranstaltungen der Hamburger Klimawoche, die am Sonntag endete, war in diesem Jahr überaus groß. Im Interview warnt Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi aber davor, die Konsequenzen des Klimaschutzes auszublenden.

Was halten Sie von Greta Thunberg und der Klimabewegung?

Klaus von Dohnanyi Ich halte die Klimadebatte für sehr wichtig – sie ist für die Menschheit entscheidend. Man muss aber auch ehrlich über die Konsequenzen reden, die nötige Veränderungen und Einsparungen haben. Das ist das Problem, mit dem die Bundesregierung zu ringen hat. Deshalb halte ich auch das Klimapaket, ohne es in allen Details bewerten zu können, insgesamt für einen richtigen Ansatz. Es bringt den Klimaschutz voran, ohne Verwerfungen auszulösen. Wenn der Bundesrat das Paket nun noch verschärft, wird es vielleicht noch besser. Bei allem Ehrgeiz müssen wir die Konsequenzen für alle mitbedenken: Wenn wir beispielsweise sofort aus der Kohle aussteigen, hat das schwerwiegende Folgen für die Lausitz: Tausende würden arbeitslos.

Werden diese sozialen Folgen derzeit übersehen?

Klaus von Dohnanyi Von den Aktivsten wird nicht nur die soziale Dimension ausgeblendet, sondern auch die entwicklungspolitische. Wir haben immer gesagt, dass Handel auch die Armut in den Schwellenländern bekämpft. Da waren wir in den vergangenen Jahrzehnten auf der Welt auch durchaus erfolgreich – schauen Sie nach China, wo sich auf diese Weise viele Millionen Menschen aus der Armut emporgearbeitet haben. Der internationale Handel mit Afrika, China oder Indien verlangt aber Transport – der hat dann negative Folgen für das Klima. Nicht nur unser Lebensstil ist also verbunden mit der Klimafrage. Wir müssen auch diese weltweite Dimension sehen. Greta Thunberg hat viel angestoßen und bewegt, aber die Jugendlichen sind zu wenig bereit, auch über die Konsequenzen ehrlich nachzudenken.

Beim Klimastreik am 20. September gingen in Hamburg Zehntausende auf die Straße.
Beim Klimastreik am 20. September gingen in Hamburg Zehntausende auf die Straße. © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Was heißt das denn konkret?

Klaus von Dohnanyi Wir müssen über unseren Lebensstil nachdenken. Aber sind die Menschen dazu bereit? Ich denke daran, wie ich aufgewachsen bin. Vielleicht müssen wir wieder weniger heizen und im Winter einen Pullover überziehen. In meiner Jugend haben wir kalt geduscht und die Äpfel aus dem Garten gegessen, die Pullover selbst gestrickt statt ständig neue Sachen zu kaufen. Große Reisen waren auch nicht drin. Ich habe meine Zweifel, ob die Jugendlichen zu diesem Verzicht bereit sind. Der Sohn einer Bekannten ist engagiert bei Fridays for Future - aber nach Mallorca will er trotzdem fliegen.

Trotz aller Widersprüche: Greta Thunberg hat den Klimaschutz vorangebracht.

Klaus von Dohnanyi Ja, und das ist nützlich. Allerdings fand ich ihren Auftritt vor der Uno sehr unglücklich – ich hätte mir da auch mehr Widerspruch durch die Kanzlerin gewünscht. Eigentlich hätte Greta nicht die Staatschefs, sondern die Generation ihrer eigenen Eltern und Großeltern anklagen müssen.

Wird die Globalisierung am Ende möglicherweise zurückgedreht?

Klaus von Dohnanyi Das weiß ich nicht, ist aber nicht ausgeschlossen. In den USA geht schon einiges in diese Richtung. Wir sollten aber nicht alles ändern, ohne die Folgen zu kalkulieren. Wer ein Ende der Globalisierung fordert, sollte sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Die explosiven Kräfte der sozialen Ungleichheit nehmen dann weiter zu, die Kriegsgefahr vermutlich auch. Alles ist eine Frage der Abwägung.

Soziale Unterschiede könnten sich auch hierzulande vergrößern …

Klaus von Dohnanyi Ja, Luisa Neubauer von Fridays for Fu­ture hat ja in der vergangenen Woche bei der Metropolenkonferenz ein Ende des Individualverkehrs gefordert. Das ist doch eine verrückte Idee. Sollen die Menschen, die heute noch auf dem Lande leben, alle in die Stadt ziehen? Wie soll das gehen? Wir dürfen unsere eigene Sichtweise nicht allen Menschen aufzwingen. Übrigens ist schon auffällig, dass der Protest von einem gut situierten Bürgertum getragen wird. Billstedt hat meines Wissens bei der großen Demo kaum mitgemacht.

Ihr alter Parteifreund und früherer Umweltsenator Fritz Vahrenholt warnt in einer Erklärung von 500 Wissenschaftlern vor einer Klimahysterie …

Klaus von Dohnanyi Ich schätze ihn, aber seine Meinung teile ich hier nicht. Es gibt nämlich doch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass unser CO2-Ausstoß das Klima verändert - also müssen wir etwas tun. Trotzdem brauchen wir auch abweichende Meinungen, sie sind sogar nötig.

Sie waren Jahrzehnte in der Politik in verschiedenen Funktionen tätig. Bereuen Sie manchmal, nicht mehr gegen den Klimawandel gemacht zu gaben?

Klaus von Dohnanyi Vielleicht. Ich war allerdings viele Jahre für den Club of Rome tätig; seit den Sechzigerjahren befasse ich mich mit dem Klimawandel und der ökologischen Zerstörung. Wir haben in der Regierung vieles in den Siebziger- und Achtzigerjahren versucht, auf den Weg zu bringen. Heute zeigt sich allerdings, dass das nicht genug war. Es ist eben Teil unserer menschlichen Natur, immer mehr zu wollen. So wie Pflanzen um Licht und Tiere um Nahrung konkurrieren, kämpfen auch wir um immer mehr. Und ein großer Teil der Menschheit hat ja auch wirklich noch heute nicht das Nötigste.