Hamburg. Rechtsmediziner Klaus Püschel über die Obduktion der Zukunft, bei der ohne Schnitte “quasi mit Röntgenaugen“ in jeden Toten geschaut wird.

Kein Skalpell, kein Schnitt, keine auffällige Naht: Die Obduktion der Zukunft könnte ohne einen massiven Eingriff in den Körper der Toten vonstatten gehen – allein mit technischen Mitteln. „Virtuelle Autopsie“ nennt Rechtsmediziner Klaus Püschel ein Verfahren, mit dem nach seiner Vorstellung künftig „quasi mit Röntgenaugen in die Toten hineingeschaut“ werde. „Unsere Vision ist, dass wir so wirklich jeden Toten genau untersuchen können“, sagt der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin. Dies sei „essenziell“ für die Qualitätssicherung bei der Leichenschau. Denn immer noch werde in vielen Fällen nicht erkannt, wenn jemand eines unnatürlichen Todes stirbt. Wichtig sei es, die Todesursache bei jedem Menschen exakt zu klären.

Der Schlüssel für die Obduktion der Zukunft liege in einer „Bildgebungskette“, erklärt Püschel. Mit hintereinander geschalteten Verfahren wie Computer­tomografie, Magnetresonanztomografie und Endoskopie wären Rechtsmediziner in der Lage, alle Verletzungen, Fremdkörper im Leichnam oder beispielsweise Verschlüsse von Blutgefäßen zu erkennen. „Alles, worüber die Haut sonst wie ein Deckmantel liegt, würde für uns transparent – und zwar ohne eine Leichenöffnung vorzunehmen. Wir wären schneller und besser.“

Bei unter fünf Prozent der Todesfällt wird in Deutschland obduziert

Die Anzahl der Todesfälle, bei denen obduziert wird, liege in Deutschland bei unter fünf Prozent, erklärt Püschel. Deshalb böten sich bildgebende Methoden als „Instrument der Qualitätssicherung an“, so der Experte. Alle Verfahren gebe es schon, zum Beispiel in der Chirurgie und der Herzmedizin. „Aber nicht für Tote“, bemängelt der Rechtsmediziner. Die Zusammenschaltung der Bildgebung werde in der Rechtsmedizin als „Virtopsy“ zwar diskutiert, sei aber noch nicht effektiv gelungen. „Dabei ist es eigentlich längst überfällig.“ Eine vollständige Installation der Geräte würde etwa 20 Millionen Euro kosten, schätzt Püschel. „Wir sind im Gespräch mit Firmen, die technisch einsteigen wollen.“

Die Räume mit der jeweiligen technischen Spezialausstattung müssten so angeordnet und verschaltet sein, dass ein Leichnam auf einem automatisierten Leitsystem von einem Raum zum nächsten transportiert wird, wo spezielle Untersuchungen vorgenommen werden, erklärt Püschel seine Vision. „Und im zentralen Technikraum sitzt, ähnlich wie eine Spinne im Netz, der Arzt für Rechtsmedizin und überwacht und steuert die Untersuchungen.“

Szenario einer virtuellen Obduktion

So wäre das Szenario einer virtuellen Obduktion: In einem ersten Raum wird die äußere Leichenschau mithilfe von Fotodokumentation, Video- und Oberflächen-Scans vorgenommen, zudem werden gegebenenfalls Spuren gesichert. Im zweiten Raum wird der Tote im Computertomografen gescannt. Dies liefert Schnittbilder durch den ganzen Körper oder auch eine dreidimensionale Rekonstruktion. Im dritten Raum kommt die Angiografie, bei der Kontrastmittel durch die Blutgefäße gepumpt wird wie bei einer Herz-Lungen-Maschine. So können zum Beispiel Gefäßverschlüsse und Embolien erkannt werden.

Im vierten Raum werden über die Magnetresonanztomografie Weichteilstrukturen wie Herz und Gehirn dargestellt. In Raum fünf findet die Endoskopie statt, bei der ähnlich wie bei Magenspiegelungen mit fiberoptischen Systemen ohne Schnitt die Organe angesehen sowie Gewebeproben und Flüssigkeiten zum Beispiel für toxikologische und mikroskopische Untersuchungen entnommen werden können.

Zuletzt schließt sich ein moderner Sektionsraum an, in dem unter anderem Gewebeentnahmen etwa der Augenhornhäute für Transplantationen vorgenommen werden können – oder doch im Einzelfall noch eine Obduktion. Als wichtiges Gerät für die Radiologie soll nach Vorstellung von Püschel auch der sogenannte „Big Bore“ zum Einsatz kommen, ein Gerät für die Computertomografie mit besonders großer Röhre, in der beispielsweise auch Tote durchleuchtet werden können, wenn sie noch in Leichensäcken stecken.

Ferngesteuerte Obduktion ohne Schnitte

Der Vorteil der virtuellen Obduktion gegenüber einer herkömmlichen sei, „dass es schneller geht, besser dokumentiert ist und die Daten auf ewig erhalten bleiben“, erklärt Püschel. „Und das Ganze ohne einen Schnitt und ferngesteuert, besser nachvollziehbar und unverfälscht. Und es kann jeder Fall unaufwendig von einem Zweitgutachter erneut untersucht werden.“ Außerdem werde Zeit gewonnen, weil der nächste Körper in die Straße schon „einfahren“ könne, sobald der vorherige die erste Station passiert habe.

Bisher gebe es die automatisierte „Bildgebungskette“ noch nirgendwo, erläutert der Rechtsmediziner. Aber er habe „die Vorstellung, dass sie in zehn oder zwanzig Jahren in allen größeren Städten steht“. Und vor allem in arabischen Ländern gebe es großes Interesse daran, diese neue Technik auch anzuwenden. Denn der muslimische Glaube fordert, dass die Toten möglichst unversehrt bleiben und sie zudem möglichst schnell beerdigt werden können.

Vielfältiges Programm bei Tagung der Gerichtsmediziner

Mehr als 400 Rechtsmediziner und gut 200 wissenschaftliche Vorträge: Bis zum 21. September ist Hamburg die internationale Hauptstadt der Rechtsmedizin. Im Fokus der 98. internationalen Jahrestagung steht unter anderem die Klinische Rechtsmedizin, vor allem in Bereichen von häuslicher Gewalt und Kindesmisshandlungen.

Hamburg sei in Deutschland die „sicherste Stadt“, sagte der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am UKE, Klaus Püschel. So werde in der Hansestadt beispielsweise jedes tote Kind computertomografisch untersucht, sodass keine Verletzung wie etwa ein Schütteltrauma übersehen werde. Und jeder jüngere Verstorbene werde zudem auf Drogen untersucht.

Aber nach wie vor gelte, dass viele Tötungsdelikte wegen mangelnder Sorgfalt bei der ärztlichen Leichenschau übersehen würden. Rechtsmediziner gehen davon aus, dass auf jedes entdeckte Tötungsdelikt ein unentdecktes kommt. Zähle man zum Beispiel die unzureichende ärztliche Behandlung hinzu, so Püschel, würde sich die Zahl der unentdeckten unnatürlichen Todesfälle noch vervielfachen.

Prof. Sven Anders, Oberarzt in der Hamburger Rechtsmedizin, wies darauf hin, dass das Institut für Hamburg und die Umgebung und damit für rund vier Millionen Einwohner zuständig ist. Hier werden Obduktionen vorgenommen, aber auch Fälle von sexueller Gewalt, Misshandlungen und Vernachlässigung untersucht sowie toxikologische Untersuchungen vorgenommen.

Prof. Stefanie Ritz-Timme aus Düsseldorf stellte die unterschiedlichen Möglichkeiten dar, die die erweiterte DNA-Analyse biete. So könnten darüber zum Beispiel das Alter einer Person geschätzt und Aussagen zu seinem Aussehen oder auch zur Lebenserwartung getroffen werden. Weitergehende molekularbiologische Verfahren könnten zudem helfen herauszufinden, ob beispielsweise genbedingte Störungen zum Tod eines Menschen geführt haben.

Die Vorträge der Tagung befassen sich unter anderem mit der rechtsmedizinischen Untersuchung des Massakers im polnischen Katyn, der Untersuchung der Terroropfer von Berlin, entomologischen Hilfsmitteln zur Todeszeitbestimmung, der Bedeutung von DNA-Spuren für die Justiz, Vergiftungen sowie moderne Bildgebungsverfahren.