Hamburg. Der 50 Hektar große Fercksche Hof wird in Teilen Bauland. Profitieren wird eine Genossenschaft, der kaum einer über den Weg traut.
Der Traum, sein Geld im Schlaf zu verdienen, ist unsterblich. Der Reichtum über Nacht, der durch glückliche Zufälle oder Händchen plötzlich über uns kommt, ist das Lebensziel zahlloser betriebswirtschaftlich denkender Schwärmer. Auch gern genommen sind Vermögenszuwächse, die ganz ohne Fanfarenstöße einfach beim Nichtstun auflaufen. Zum Beispiel, wenn man am Stadtrand Grün- und Ackerland für 3-5 Euro pro Quadratmeter kauft und wartet, bis der Siedlungsdruck so stark wird, dass die Politik Bauland daraus macht und der Preis sich verhundertfacht.
Im schönen Volksdorf kauften 2010 knapp zehn bis heute weitgehend unbekannt gebliebene Leute den 50 Hektar großen Ferck‘schen Hof an Buchenkamp und Eulenkrugstraße zum Grünlandpreis. Sie schlossen sich zur „Ökologische Wohnungsbau Genossenschaft Hamburg e.G.“ zusammen, um ihren Traum wahr werden zu lassen. Mit Reichtum allerdings, so beteuern die mittlerweile arg dezimierten Genossen bis heute immer wieder, habe ihr Traum nichts zu tun. Sie wollten nur ein schönes Plätzchen für betreutes Wohnen im Alter. Ein Runddorf mit Gemeinschaftsräumen und einem Hof in der Mitte. Geglaubt hat ihnen keiner.
Baumasse statt Ökologie und Alten-WG
Denn statt Ökologie und Alten-WG präsentierten sie Baumasse, statt Transparenz Diskretion, statt wollweicher Vorturner im Schafspelz Nadelstreifen tragende Repräsentanten aus Politik und Baubranche. Auf einer Bürgerveranstaltung im „Dorf“ präsentierte Notar und Ex-Bürgermeister Henning Voscherau die Baupläne des Stararchitekten Gerhart Laage, der „Häuser bis zum Horizont“ gezeichnet hatte. Bis zu 1000 Wohneinheiten passten laut Laage auf die Wiesen. Sehr viele Runddörfer eben. Die Volksdorfer reagierten allergisch.
Voscherau galt Ihnen als Mann des Geldes, der vor und nach seiner bürgermeisterlichen Periode verlässlich dort auftauchte, wo es größere Summen zu verteilen gab. Die Neigung, ihn dabei zu unterstützen, hielt sich in engen Grenzen. Und 1000 Wohneinheiten mit überschlägig 3000 neuen Nachbarn waren ein Albtraum für die Volksdorfer. Das böse Wort „Bodenspekulation“ fiel und wurde den ökologischen Genossen fest an die Hacken geklebt. Ihnen wurde klar, dass sie sich Feinde gemacht hatten. Sie igelten sich ein. Die Pachteinnahmen durch Kita, Reitstall und Schäferei würden die Kapitalkosten decken, ließen die Genossen durchblicken. Man könne warten.
Geschosswohnungsbau: Ein Reizwort im geräumigen Volksdorf
Heute werden unter der Webadresse der Genossenschaft (www.oekowobau.de) Schuhe und andere Modeaccessoires angeboten, unter der genannten Telefonnummer nimmt keiner ab, der alleinvertretungsberechtigte Vorstand (Name der Redaktion bekannt) wartet unter dem Namen seiner ebenfalls mit dem Ferck’schen Hof verbundenen Firma mit einem toten Telefonanschluss auf, unter der Nummer einer Frau gleichen Namens mit derselben Adresse ist auch kein Durchkommen. Ein Genossenschaftsmitglied erreiche ich zu Hause, aber es will nicht sprechen. „Es gibt nichts zu erzählen!“ Dann fallen doch noch ein paar erklärende Worte: Alles entwickele sich in eine völlig falsche Richtung. Der Einfluss auf das Geschehen sei gleich Null. Immer sei nur von Geld die Rede, dabei gebe es weit wichtigeres. Deshalb das Desinteresse, der Rückzug. Aber die Mitgliedschaft sei nicht gekündigt. Nur mit dem aktiven Mittun sei es vorbei.
Dabei hat sich, gemessen an dem langen Atem, der für Immobiliengeschäfte bisweilen nötig ist, für die Genossen ziemlich zügig ziemlich viel Positives getan. Denn statt des Investors entwickelten plötzlich die Politiker die Immobilie. Sie bescheinigten den ökologischen Genossen zwar Unfähigkeit, das Grundstück zu entwickeln. Aber 2014 startete Rot-Grün ein Bebauungsplanverfahren und zog den Ärger der Anwohner auf sich. Fünf Fuß-Minuten entfernt vom Bahnhof Buchenkamp waren die Ländereien ein idealer Standort für - Geschosswohnungsbau. Ein Reizwort im geräumigen Volksdorf. Die CDU schrie auf, viele Anwohner waren wütend. Nicht zuletzt deshalb, weil da eine Bodenspekulation aufzugehen schien. Entlang der Straße Buchenkamp würden erste Wiesen Bauland werden und die ökologischen Genossen nach Ansicht vieler Nachbarn fürstlich fürs Nichtstun und auf Kosten von Natur und Naherholung belohnen. Wo blieb da die Gerechtigkeit?
Pachtzins für Flüchtlingsunterkunft zu hoch?
Rot-Grün sah dieser ewigen Menschheitsfrage mit der Festsetzung einer nur moderaten Zahl an Wohnungen Genüge getan und fand, dass das alte Versprechen, nach dem Bau der benachbarten Siedlung Moorbekring die Grünflächen unangetastet zu lassen, ungültig geworden sei. Die Wohnungsnot habe die Rahmenbedingungen grundsätzlich verändert, argumentierte die SPD. Die Grünen nickten gequält und wimmerten leise in den Koalitionsvertrag hinein. 2018 sollte Baurecht für 60 Wohnungen und eine Dementeneinrichtung mit 30 Plätzen da sein. Das zierliche Runddorf für ältere Genossen mutierte ein weiteres Mal. Jetzt wurde es eine Pflegeeinrichtung für dreimal so viele Leute, wie der CDU-Abgeordnete Thilo Kleibauer verärgert feststellte.
Dann kamen die Flüchtlinge. Ein schneller Geldsegen für die Genossenschaft. In beharrlichen Verhandlungen trotzte sie der Stadt eine jährliche Pacht von 90.000 Euro ab. Laufzeit: bis zu 19 Jahre. Dafür durfte die Stadt ihre Unterkunft auf den Wiesen der Genossen bauen. Die Volksseele kochte. Die der städtischen Haushälter auch, sie empfanden den Pachtzins als Wucher. Aber die Politik hatte die Stadt in eine schlechte Verhandlungsposition manövriert, weil sie eine Unterkunft in Volksdorf versprochen, aber keine Alternativfläche hatte. Die Stadt war im Wort und hätte auch eine noch höhere Pacht akzeptieren müssen.
Mehrere Gutachten erstellt und ausgewertet
Die 50 Hektar Grünland, die sich nach Angaben der Genossen schon vor Ankunft der Flüchtlinge selbst trugen und die Kapitalkosten für den Kaufpreis deckten, waren spätestens jetzt zu einer respektablen Einnahmequelle geworden. Zumal dem Vernehmen nach nur noch unter vier Mitgliedern geteilt werden musste. Ihre Stimmung hob das aber offenbar nicht.
Vielleicht, weil mit den neuen Bewohnern der Äcker auch sehr viel Ruhe einzog. Das Bebauungsplanverfahren befinde sich „in einer Arbeitsphase“, antwortete der Senat seitdem immer wieder auf die regelmäßigen Anfragen des CDU-Abgeordneten Kleibauer. Genaueres zum Stand der dümpelnden Dinge könne man nicht sagen, es werde ja noch geplant. Gutachten um Gutachten wurde erstellt und ausgewertet. Brutvögel, Hydrologie, Lärm, Verkehr, Haselmaus, Knicks und Bäume, Bodenqualität, naturschutzrechtliche Eingriffsregelungen und Ausgleichsbedarf, … Wann der Plan fertig wird, dazu will das Amt jetzt keine Prognose mehr abgeben.
Keine Spur von einer Genossenschaft
Die Postadresse der „Ökologische Wohnungsbau Genossenschaft Hamburg e.G.“ führt nach Bramfeld vor ein kleines, in Ehren alt gewordenes Einfamilienhaus. Drei Klingeln und drei Namen stehen am Pfeiler des angegrauten Gartentors. Der Name der Genossenschaft ist nicht dabei. Aber der Name ihres Rechtsanwalts steht am Pfeiler. Also muss es irgendwie richtig sein hier. Nach langem Klingeln an den drei Knöpfen aber tut sich nichts. Der Blick fällt auf ein Schild neben der Eingangstür.„Wenn ich das Klingeln nicht höre bitte … anrufen“. Die Nummer lasse ich aus Diskretionsgründen ungenannt. Ich wähle sie bloß. Vergebens. Es nimmt keiner ab. Unschlüssig stehe ich vor der Eingangstür. Der Pflegedienst fährt vor, obwohl ich mich noch recht gesund fühle. Dann geht die Tür auf und ein steinalter Herr steht im Rahmen. „Kann ich Ihnen helfen?“
Er tut es. Er heißt zwar nicht so wie der Anwalt, aber er kennt ihn. Wir stehen im Flur seines Hauses, Spuren einer Einliegerwohnung oder dergleichen finden sich nicht, es gibt aber ein Musikstudio mit eigenem Klingelknopf. Der alte Herr weist auf einen Korb unter dem Briefkasten. „Der Anwalt holt hier immer seine Post ab. Ich bewahre sie ihm auf.“ Ein Büro? Eine Genossenschaft? Davon weiß der alte Herr nichts. Er wohne allein, sagt die Pflegerin und will langsam ihre Tablettendosen mit den Kammern für die sieben Wochentage loswerden. Mich im Übrigen auch.
Erstes Teilgrundstück für Wohnungsbau verkauft
Aber der Besuch zeigt Wirkung. Endlich meldet sich die Genossenschaft zurück. Am Telefon belehrt mich ihr Anwalt über Persönlichkeitsrechte und verspricht mir rechtliche Schritte, wenn irgendein Genosse namentlich im Abendblatt genannt werden sollte. Auch seinen eigenen Namen will er „nicht durch die Presse gezogen“ sehen. Man solle „die Dinge endlich nehmen, wie sie sind“. Keiner der Genossen habe irgendjemandem geschadet. „Es gibt nichts, was zu kritisieren wäre.“. Die Spekulationsvorwürfe weist er weit von sich.
Alle Genossenschaftsmitglieder seien jenseits der 70, manche von Krankheit gezeichnet, darunter der alleinvertretungsberechtigte Vorstand. Die Situation, er meint die Anfeindungen, sei „sehr belastend“. Außerdem sei die von der Politik beschlossene Architektur langweilig. Die Genossen hätten das Interesse verloren. Viele seien bereits gestorben. Dass nur noch vier Mitglieder verblieben seien, will er nicht bestätigen, aber auch nicht dementieren. Er selbst sei kein Genosse, aber auch schon über 70 und „mache nicht mehr viel“. Der Anwalt, in der Gerüchteküche als „Drahtzieher“ gehandelt, wirkt wie einer, der sich in den Lehnstuhl zurückgezogen hat und allenfalls mal einen Nachlass ordnet.
Das erste, etwa 1 Hektar große Teilgrundstück für den Wohnungsbau hat die Genossenschaft an die GfG Hoch-Tief-Bau verkauft. Nach derzeitigem Planungsstand will Geschäftsführer Norbert Lüneburg fünf Stadthäuser á sechs Wohnungen und 12 Reihenhäuser bauen. Die Kosten für den Bebauungsplan und die Gutachten trägt im Wesentlichen seine Gesellschaft und stellt damit die Genossenschaft jetzt weitestgehend frei von Planungskosten. Derzeit ermittelt ein Gutachter für die GfG und die Politik, wie ein „zusammenhängender Biotopverbund bis nach Ahrensburg entwickelt“ werden könne, sagt Lüneburg. Er hofft, dass der Bebauungsplan noch in diesem Jahr öffentlich ausgelegt und Ende 2020 verabschiedet werden kann. Der Kaufpreis wird fällig, wenn die Baugenehmigung da ist.
Bewerbung für ökologisches Landbauprojekt
Das zweite Teilgrundstück für die 18 Sozialwohnungen und die Dementen-Einrichtung südlich der Einfahrt zum Hof wolle die Genossenschaft „wahrscheinlich noch 2019“ in eine gemeinnützige Stiftung überführen, sagt ihr Anwalt. Zum Nulltarif. Es gebe Verhandlungen mit einem Träger. Selbst bauen wollen die Genossen nicht mehr. Es sei „zu viel Zeit ins Land gegangen“.
Für den vielfach gewünschten ökologischen Landbau auf Teilflächen des Hofes fühlen sich die Genossen, obwohl sie die Ökologie im Namen führen, nicht mehr zuständig. Die Verhandlungen „mit den Lehrern“ seien schwierig und zäh gewesen, sagt der Genossenschafts-Anwalt. Da habe man das Interesse verloren.
Die Rudolf-Steiner-Schule Wandsbek hatte sich zusammen mit dem Gut Wulfsdorf für ein ökologisches Landbauprojekt beworben, waren aber nach Ihrer Darstellung mit unannehmbaren Angeboten zu Laufzeit und Pachthöhe abgefertigt und anschließend nicht mehr angerufen worden. Kontakt habe die Genossenschaft nur über Mittelsmänner zugelassen.
Bauvorhaben in Koalitionsgesprächen abspecken
Der Genossenschafts-Anwalt erklärte, man werde dem Volksdorfer Museumsdorf erst 2,5, später 5 Hektar verpachten, und die Lehrer könnten da Unterpächter werden. Zur Zukunft der überalterten Genossenschaft wollte er sich nicht äußern. Die Frage nach Erben wischte er weg. Die Verbindung ihres alleinvertretungsberechtigten Vorstands mit seiner GmbH, der er als ebenfalls alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer vorsteht, charakterisierte er als „eher stille Beteiligung“. Der Genossenschaftschef habe „keine großen wirtschaftlichen Interessen.“
Solch unvermutete Genügsamkeit käme vor allem den Grünen entgegen, die in den laufenden Koalitionsgesprächen mit der Bezirks-SPD daran arbeiten, das Bauvorhaben ein bisschen abzuspecken und die verbleibenden Grünflächen so zu sichern, dass nicht die nächste Regierung schon wieder neue Baugrundstücke ausweisen kann.