Tokio. Am Tag 6 der Asienreise von Bürgermeister Peter Tschentscher zeigen Hamburger den Japanern, wie die Fahrzeuge der Zukunft aussehen.

Fast lautlos öffnet sich die große Schiebetür des futuristisch anmutenden Fahrzeugs. Auf einem Display wird der Gast mit Namen begrüßt, bequeme Ledersitze im Fond laden ein, Platz zu nehmen. Das WLAN ist serienmäßig, kleine Lampen ermöglichen das Lesen in der Dunkelheit, während vorne im Wagen ausreichend Raum für Gepäck bleibt. Das Fahrzeug fährt emissionsarm mit elektrischem Antrieb und ist an Tausenden Haltepunkten in der Stadt schnell verfügbar. Bestellt und bezahlt wird bequem per Handy.

Sieht so die Zukunft der Mobilität aus? Darf man sich so die Alternative zum eigenen Auto vorstellen? Bei der Präsentation dieses neuen Moblitätsmodells in Tokio gab es am Freitag wohlwollende Reaktionen. Es ging allerdings nicht um eine Innovation in der Megacity Tokio, sondern um die Idee von VW im beschaulichen Hamburg. Das Angebot heißt Moia und ist seit April in der Hansestadt unterwegs.

Hamburg bei der Mobilität vorne

Auf der anderen Seite des Flusses erscheinen die Wiesen ja irgendwie immer grüner. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen. Zumindest bei der Lebensfrage Mobilität liegt die Hansestadt vorne - und Tokio, das letzte Ziel der Delegation um Bürgermeister Peter Tschentscher, hinkt auf den ersten Blick hinterher. Wer durch die Zehn-Millionen-Stadt läuft, deren Enden auch von den Wolkenkratzern aus nicht erkennbar sind, fühlt sich an längst vergangene Zeiten erinnert. Hochstraßen, die sich auf drei Etagen übereinander türmen, verwaiste Fahrradwege, eine autogerechte Stadt.

Zwar hat die japanische Regierung mit dem Schlagwort „Gesellschaft 5.0“ (Society 5.0) ein ehrgeiziges Ziel postuliert, welches das Land lebenswerter, ökologischer und wirtschaftlich erfolgreicher machen soll; aber der Weg ins Paradies ist weit. Noch verbieten viele Arbeitgeber ihren Angestellten beispielsweise, mit dem Fahrrad in die Firma zu kommen, weil die Unfallversicherung dieses Risiko nicht abdeckt. „Tokio ist eine faszinierende Stadt, aber kein Zukunftsbild für die Mobilität von morgen“, sagt Delegationsteilnehmer Farid Müller (Grüne) und verweist auf drei Probleme: „Staus, kein Radverkehr, kaum Aufenthaltsqualität“.

Runder Tisch zur Zukunft der Fortbewegung

Geradezu liebreizend präsentierte sich hingegen die Hansestadt am Morgen beim Runden Tisch zur „Zukunft der Mobilität“ und zu intelligenten Transportsystemen (ITS). Dabei diskutierten Forscher und Unternehmer aus beiden Ländern über intelligente Verkehrslösungen. Bürgermeister Tschentscher gab das Ziel aus, Hamburg zur „Modellstadt für Mobilität von Morgen“ zu machen, mit intelligenter Infrastruktur, autonomen Fahren und nachhaltigen und sauberen Lösungen.

Wie weit die Hansestadt schon vorangekommen ist, zeigte Harry Evers, Geschäftsführer von ITS Hamburg. Im Oktober 2021 werden 3500 Delegierte und 300 Aussteller zum internationalen ITS-Kongress in der Hansestadt erwartet. Dabei wird es nicht nur um intelligente Verkehrssysteme, kommunizierende Autos oder ökologische Logistik gehen, sondern auch um Drohnen und das Internet der Dinge. „Der Weltkongress ist ein Beschleuniger für Hamburg“, sagte Evers. Damit werde ein Zeitrahmen gesetzt, in dem Hamburg der Welt moderne Mobilitätslösungen präsentieren kann. Moia gehört genauso dazu wie die Zukunft des Parkens. Schon 2021 könnte das autonome Einparken in der Elbphilharmonie Wirklichkeit werden, meinte Evers.

Hochbahn-Chef stellt autonomen Bus vor

Hochbahn-Chef Henrik Falk stellte den Verkehrsexperten in Tokio den autonomen Bus HEAT vor. Dieser Elektrobus, der derzeit auf einer Teststrecke durch die HafenCity schleicht, soll in zwei Jahren bis zu 50 km/h schnell durch Hamburg fahren.

Am Nachmittag besuchte die Delegation Toyota. Hier traf der Bürgermeister den Verwaltungsratschef Takeshi Uchiyamada, den Erfinder des Hybridmodells Toyota Prius. Tschentscher zeigte sich beeindruckt. „Toyota engagiert sich stark bei der Suche nach neuen Antrieben“, lobte er. Inzwischen hat Toyota wasserstoffbetriebene Pkw für den Massenmarkt im Angebot. Bis zu den Olympischen Spielen im kommenden Jahr in Tokio wird der Autohersteller 100 Busse mit Brennstoffzelle fertigen.

Toyota profitiert von staatlicher Förderung

Erst am Donnerstag hatte die Hamburger Hochbahn bekanntgegeben, zwischen 2021 und 2025 bis zu 530 emissionsfreie Busse anschaffen zu wollen. Auch der Wasserstoffantrieb sei eine Option. Im Gespräch mit dem Abendblatt kritisierte Tschentscher deutsche Anbieter: „Wir erkennen noch nicht die Ambition, die wir in Japan erleben“, sagte er. „Wenn die deutsche Fahrzeugindustrie nicht liefern kann, setzen wir auf ausländische Anbieter.“ Tschentscher lobte den industriepolitischen Ansatz der Japaner, die gesamte Wertschöpfungskette der Wasserstofftechnologie abzudecken. „Die Japaner geben Vollgas. Sie warten nicht, sondern entwickeln Lösungen.“

Dabei profitiert Toyota auch von der strategischen Förderung durch die japanische Regierung. Die staatlichen Forschungsinvestitionen sind in Japan höher als in Deutschland und Teil einer zielgerichteten Industriepolitik.

Rennwagen und SUV dominieren

Im Foyer der Unternehmenszentrale von Toyota allerdings ist dieser Aufbruch nur zu ahnen: Hier dominieren Rennwagen, SUV und zwei Formel-1-Simulatoren. Offenbar versteht Toyota die Forschung weniger als Formel zur Rettung der Welt sondern als clevere Möglichkeit, Geld zu verdienen.

Letzteres hat auch der Bürgermeister im Blick: „Die Kunst liegt darin, den Umstieg hinzubekommen und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.“ Tschentscher zieht am vorletzten Tag der Delegationsreise ein sehr positives Fazit. „Ich nehme die Bestätigung mit, dass wir mit unserer Wissenschaftsoffensive die richtige Strategie haben“, sagt der SPD-Politiker. Die Grundlagenforschung solle zu konkreten Anwendungen und erfolgreichen Produkten führen. Dabei könnte Hamburg eine überraschende Erkenntnis helfen. „Egal ob in Marseille, Chicago, Osaka oder Shanghai – überall höre ich, dass die zweitgrößten Metropolen mit der Hauptstadt hadern“, sagt Tschentscher. „Wenn daraus ein besonderer Ehrgeiz erwächst, liegt darin ein Erfolgsrezept.“ Das dürften manche durchaus als eine versteckte Kampfansage an Berlin verstehen.