Hamburg. Hamburg feiert den Geburtstag der leidenschaftlichen Naturschützerin, Ehrenbürgerin und Hanseatin von Format.
Wer durch den ostafrikanischen Busch streift, sollte gerüstet sein. Dachte sich 1976 auch die Forschungsreisende Hannelore Schmidt. Während Ehemann Helmut in Bonn als Bundeskanzler die Regierungsgeschäfte führte, steckte sie neben Utensilien wie Klamotten, Zahnbürste oder Ausweisen auch ungewöhnliche Artikel ins Gepäck: eine Pflanzenpresse, eine Flasche Gin und Klopapier als Mitbringsel für die Gastgeber zum Beispiel. Hinzu kam der umfangreiche Vorrat ihrer favorisierten Zigarettenmarke „Auslese de Luxe“. Selbstverständlich. Derart gewappnet konnte es also losgehen.
Diese und weitere köstliche Details eines langen Lebens weitab der alltäglichen Norm würzen eine just eröffnete und bis zum 20. Oktober im Museum für Hamburgische Geschichte laufende Ausstellung. Der Titel ist Programm: „Mit Loki in die Welt“. Diese Tour führt über drei Stationen: Lehren, Forschen, Schützen. Am Ende ergibt sich ein kleiner, liebevoll präsentierter Überblick über das Wirken einer Frau, die zeitlebens Charakter und Würde aufwies. Aus gutem Grund hatte der Hamburger Senat am gestrigen Donnerstag zu einem Empfang in die Ausstellung geladen. Ehre, wem Ehre gebührt.
Köstliche Details ihres Lebens
Zwar hätte die 2010 verstorbene Ehrenbürgerin, Naturschützerin und Reformpädagogin bereits am 3. März dieses Jahres ihren 100. Geburtstag gehabt, doch entschieden sich die Strategen in den Schmidt-Stiftungen sowie im Rathaus zu einer Entzerrung des Festprogramms. Nachdem das Wirken des Staatsmanns Helmut Schmidt Ende Februar mit einem Festakt unter Beteiligung des Bundespräsidenten vor 2000 Ehrengästen in der Elbphilharmonie zelebriert wurde, darf’s nun im Spätsommer fröhlicher werden: „Hamburg feiert 100 Jahre Loki Schmidt.“
Die Nachfeier an diesem Sonnabend von 12 bis 18 Uhr im überdachten Innenhof des Museums am Holstenwall beschert ein buntes, vielseitiges Programm (siehe Infokasten). Getreu der Lebensdevise einer Persönlichkeit, die aus dem Arbeitermilieu stammt und trotz ihrer Popularität stets prinzipientreu auf dem Boden blieb: „Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag.“ Sie hielt sich daran, soweit es ging.
Zur Feier des 100. Geburtstags einer Hanseatin von Format ist der Eintritt im Museum für Hamburgische Geschichte an diesem Sonnabend frei. Ansonsten kann die Ausstellung „Mit Loki in die Welt“ im ersten Stock des Gebäudes nur mit einem gelösten Ticket besucht werden. Nach den gut sieben Wochen im Museum wandert die Ausstellung weiter ins Boberger Dünenhaus der Loki Schmidt Stiftung.
Dort ist die mit Fotos, privaten Alben und Exponaten bestückte Lebensreise der Hannelore „Loki“ Schmidt vom 27. Oktober an vier Monate zu sehen. Audiostationen, ein Gewächshaus aus Birkenholz, Bestimmungskarten für Blütenpflanzen und ein Heide-Dominospiel gehören dazu. Auf 150 Quadratmetern sind Facetten angerichtet oder beschrieben, die nur Eingeweihte wussten. Auf lange Sicht macht es sich bezahlt, dass die Schmidt-Stiftungen auch das Privatleben der beiden Ehrenbürger penibel geordnet und inventarisiert haben.
Leidenschaftliche Naturschützerin
Begleiten wir die leidenschaftliche Naturschützerin Loki Schmidt auf ihrer Expedition. Sie beginnt 1976 in Kenia. Aus heutigem Blick, 43 Jahre später, wirken die Utensilien der Exkursion in den Osten Afrikas rührend. Die altmodische Pflanzenpresse, gestaltet wie zwei Siebe, das in einer grünen Schatulle verwahrte Reiseschach mit den weißen und roten Plastikfiguren sind Beispiele. Ein kleiner Schluck Gin zum Ausklang eines langen Expeditionstags, so ihre Erfahrung, weckt strapazierte Lebensgeister. Und das Toilettenpapier? Ein Tipp des deutschen Botschafters in Nairobi. „Worüber freuen sich die Mitarbeiter der Forschungsstation?“, ließ Loki Schmidt über das Auswärtige Amt nachfragen. Offizielle Antwort des Diplomaten: Klopapier. Und so geschah es, dass die Naturfreundin aus Langenhorn bei ihrem Abflug ein paar Papierrollen im Koffer hatte. Die Forscher waren happy.
Ein Handkoffer blieb ebenso erhalten wie ein gelber Bauarbeiterhelm und ein paar Gummistiefel, mit denen Frau Schmidt in Moor und Matsch ihren Studien nachging. Die Schmidts konnten sich nur schwer von einmal lieb gewonnenen Sachen trennen.
Immer dabei waren Stifte, um seltene Pflanzen, Blüten oder exotisches Getier festzuhalten. Der früher hochmodernen Olympus-Kompaktkamera traute sie wohl nicht restlos über den Weg. Lieber verließ sie sich auf ihr Auge und ihre Hand. Eine kleine Tüte mit Bleistiften, Radiergummi und einem Anspitzer zählte für Loki Schmidt zu den Heiligtümern. Auch diese sind hervorragend erhalten und Teil der Ausstellung.
Mitmachen und Rätseln
Dort sind nicht nur Gucken, Lesen und Verstehen, sondern Mitmachen und Rätseln erwünscht. Auf Tischen, die wie Blumenvasen gestaltet sind, liegen „Forscherkarten“ mit Fachfragen. Der grüne Teppich soll einer Wiese ähneln. „Nicht nur Kinder und Jugendliche können sich dort niederlassen und in Gedanken auf Reisen gehen“, sagt die Kuratorin Maike Hinze. Die Norddeutsche hat zum Thema Gartenbau promoviert und arbeitet seit vier Jahren für die Loki Schmidt Stiftung. Ihr zur Seite stand Lothar Frenz, Co-Kurator, gefühlvoller Texter der Ausstellung und Buchautor.
Dass die Macher mit Liebe und Sachverstand am Werk waren, ist zu spüren. Kleinigkeiten können Großes über einen Menschen verraten. So wie diese Episode: In einem Park hörte Loki Schmidt einst zufällig, dass Spaziergänger dunkelblaue Blüten als „Glockenblumen“ bezeichneten. „Das ist Lungen-Enzian“, klärte Frau Schmidt auf. Diese und andere Erlebnisse trugen dazu bei, die bis heute aktuelle Initiative „Blume des Jahres“ zu starten. Den Anfang machte 1980 der Lungen-Enzian. Im Jahr des 100. Geburtstags Loki Schmidts, also jetzt, ist die Besenheide an der Reihe.
Norddeutschland im Herzen
„Nicht ich habe die Pflanzen entdeckt“, resümierte sie im hohen Alter. „Die Pflanzen haben mich gefunden.“ Und derweil Helmut Schmidt große Politik gestaltete, speiste sich Ehefrau Hannelore partout nicht mit der Rolle einer Kanzlergattin ab. Engagiert stritt sie als Lehrerin für Reformen im Schulalltag und kämpfte für einen wirksamen Schutz der Natur.
Getragen von dieser Erkenntnis: Nur wer viel von Pflanzen, Tieren und Arten weiß, kann für deren Erhalt und Rettung einstehen. Beseelt von diesem Anspruch ging die Hanseatin in Kenia, in den Schwemmwäldern am Amazonas, in der Antarktis oder auf abgelegenen Inseln Neukaledoniens auf Spurensuche – mit Norddeutschland im Herzen. Am spannendsten empfand sie ihre Heimat: die Fischbeker Heide oder ihr Biotop am Brahmsee. Oft war sie stundenlang alleine – mit der Welt und sich im Reinen.
Für „Tüdelüt“, wie sie selbst zu sagen pflegte, war beim Forschen und Studieren kein Platz. Wie eine Einladung vom 3. Dezember 1989 dokumentiert. Vor mithin drei Jahrzehnten bat der Kapitän des als Eisbrecher ausgelegten Forschungsschiffs „Polarstern“ an diesem Sonntag „Frau H. Schmidt“ zu einem zünftigen Frühschoppen in den „Blauen Salon“. Kleiderordnung: Pullover.
Kann alles ganz einfach sein. Und trotzdem besonders.