Osaka. Am vierten Tag in Fernost trifft die Hamburger Delegation auf einen Androiden. Bürgermeister erkennt “interessante Anwendungsbereiche“.

Seika ist ein Industriegebiet am Rande von Osaka, ein Industriegebiet, wie es Tausende andere im Land gibt. In einem der Verwaltungsgebäude sitzen zwei Frauen in einer Ecke und plaudern. „Im August wird es immer heißer“, klagt die eine über die drückende Schwüle in Japan, die andere antwortet: „Heute geht es. Ich mag den Regen“, und so unterhalten sie sich weiter – eine harmlose Plauderei über das Wetter, den Job, Kollegen, eine Konversation, wie es Tausende andere im Land gibt. Mit einer wichtigen Ausnahme: Erika, die Frau, die zwischendurch auf ihr Handy guckt, ist ein menschenähnlicher Roboter, ein Androide.

Die Hamburger Delegation um Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) durfte am Mittwoch im Advanced Telecommunications Research Institute Erikas Fähigkeiten bestaunen: Sie beherrscht nicht nur die Alltagsplauderei, sie sieht auch sehr menschlich aus. Ihre Haut ist aus Silikon, sie beherrscht eine wenn auch hölzerne Mimik, sie tippt auf dem Handy, legt es weg, schaut erneut darauf. Hier in Osaka beginnen die Grenzen zwischen Menschen und Maschinen zu verschwimmen. Doch das war noch nicht alles, was die Forscher in Osakas Roboterlabor schöpfen.

Diplomatische Schrecksekunde

Im dritten Stockwerk des Intelligent Robotics Labatory sitzt dessen Leiter Prof. Hiroshi Ishiguro, beziehungsweise sein Double. Er wirkt wie eine Kopie des Wissenschaftlers, er trägt seine Haare, seine Kette, sein Hemd. Adern zeichnen sich auf seiner täuschend echten Haut ab, seine dunklen Augen blicken Bürgermeister Peter Tschentscher unverwandt an, schließlich drückt er ihm die Hand. Ishiguros Maschinen-Ich sieht aus wie ein Mensch, er hat eine überzeugende Mimik, aber er hat kein Hirn – er kann sich nur mithilfe eines Menschen bewegen und sprechen, der im Nachbarraum sitzt.

Urplötzlich wechselt Prof. Ishiguro ins Deutsche. Und fragt zur Verwunderung der Delegation. „Wählen Sie auch beim nächsten Mal CDU?“ Tschentscher stutzt und antwortet: „Nein, das werden immer weniger.“ Nach einer diplomatischen Schrecksekunde fällt der Gruppe auf, wer da mit verstellter Stimme den Androiden steuert: CDU-Fraktionschef André Trepoll hat sich in den Nebenraum geschlichen und der Stimme von Ishiguro bemächtigt.

Interessante Anwendungsbereiche

Während der Professor wie ein echter Mensch aussieht, vermag Erika zu interagieren – sie kann verschiedenen Gesprächspfaden folgen und eine harmlose Unterhaltung führen. Ein echter Gesprächspartner aber vermag sie noch nicht zu werden. Erika kann sich kaum an den Smalltalk erinnern und nur die letzte Information mit dem Gesicht des Gegenübers abspeichern. Zudem benötigt sie einige technische Hilfsmittel – in der Blumenvase stecken Mikrofone, hinter einer Zimmerpflanze sind Kameras versteckt. Je länger die japanischen Forscher an diesen klugen Robotern arbeiten, um so größer wird ihre Demut: Der Mensch ist ein ungemein komplexes Wesen, der Mensch ist ein Wunderwerk. Aber in Osaka ist man schon weit gekommen, ihn zu kopieren.

Ein weiteres Ergebnis der Arbeit im Labor ist der Telenoid, eine kindergroße Puppe mit minimalem menschlichen Design: Er hat Stummelärmchen, einen kahlen Kopf und einen Körper aus Silikonkautschuk – aber er kann den Mund bewegen, reagieren und sprechen. Damit erzielt der Telenoid in Versuchen Wunderdinge, geradezu begeistert reagieren Demenzkranke auf diese Wesen: bei ihnen sinkt das Niveau des Stresshormons Cortisol. „Da gibt es interessante Anwendungsbereiche in der Pflege“, sagt Tschentscher, der selbst Mediziner ist. „Es macht einen Unterschied, wenn weitere Reize zusätzlich zur Sprache hinzukommen. Hier kommen Technik und Psychologie zusammen.“ In seiner Präsentation fragte der junge Wissenschaftler aus Japan rhetorisch: „Kannst du die Anwesenheit deines Freundes am Smartphone spüren?“

Vertiefte Zusammenarbeit

In Japan wird nicht nur an humanoiden Pflegerobotern geforscht, sie werden schon tausendfach in der Pflege eingesetzt. Für Tschentscher sind Androiden noch Science-Fiction. „Das ist ein Grenzbereich: Berufe, in denen es auf Empathie und Zuwendung ankommt, sollten wir nicht durch Roboter ersetzen.“ Dennoch mag es Situationen geben, wo derlei Roboter helfen können. „Aufgabe der Politik ist es, Anwendungsbereiche zu ermöglichen“, sagt Tschen­tscher. „Die Frage, was dann möglich und wünschenswert ist, lässt sich erst vernünftig beantworten, wenn man die Chancen und Risiken kennt.“

Der Bürgermeister bereist seit Sonntag Südostasien und trifft dabei immer wieder auf Unternehmen, die technologisch führend sind – wie in der Roboterforschung oder der Künstlichen Intelligenz (KI). „Japan, China und die USA sind Vorreiter – aber auch in Hamburg befassen sich viele Professoren mit KI“, sagt Tschentscher.

Am Morgen hatte die Delegation aus Wirtschaft und Wissenschaft das Osaka Innovation Hub besucht, eine Initiative der Stadt, um junge kreative Unternehmen voranzubringen. Beide Städte wollen ihre Partnerschaft im technologischen Bereich vorantreiben. Seit 1989 sind Hamburg und Osaka offiziell „verschwistert“. Im Rathaus von Osaka unterzeichneten beide Bürgermeister eine Erklärung, die eine vertiefte Zusammenarbeit in Umweltschutz, Handel, Wissenschaft, Informationstechnologie, Mobilität, Kultur und Sport vorsieht. Am Abend kamen rund 200 Gäste zum Empfang von Ichiro Matsui, des Bürgermeisters von Osaka, ins Delegationshotel. Für September hat Matsui seinen Gegenbesuch in der Hansestadt angekündigt.