Hamburg. Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) über das Ziel Regierungsbeteiligung, mögliche Koalitionen und den Klimaschutz.

An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht. Anna von Treuenfels-Frowein ist seit knapp zwei Jahren FDP-Fraktionschefin in der Bürgerschaft, soll die Partei in die Wahl 2020 führen und am besten direkt in den Senat. Das große Sommer-Interview.

Frau von Treuenfels-Frowein, nach dem Fraktionsvorsitz treten Sie nun auch als Spitzenkandidatin das Erbe von Katja Suding an. Ist das eine Bürde oder gibt es Ihnen Hoffnung?

Anna von Treuenfels-Frowein Weder noch. Mir macht das Gestalten große Freude. Ich übernehme gerne Verantwortung und finde es toll, dass mir die Spitzenkandidatur angetragen wird.

Unter Katja Suding hat die FDP es zuletzt bei Bürgerschaftswahlen zweimal aus scheinbar aussichtsloser Position doch noch ins Parlament geschafft. Jetzt liegen Sie stabil über fünf Prozent. Was ist heute anders?

Anders als damals sind wir wieder im Bundestag und in den meisten Landesparlamenten vertreten, in drei Ländern regieren wir erfolgreich mit, und haben in Umfragen stabil gute Werte. In Katja Sudings Ära mussten wir mehrfach ganz unten anfangen, jetzt haben wir viel bessere Startchancen, auch bei den bevorstehenden Landtagswahlen im Osten.

Inwiefern hat sich die FDP-Politik verändert, seit Sie zusammen mit Michael Kruse Fraktionsvorsitzende sind?

Da musste ich gar nicht viel ändern. Die FDP-Fraktion leistet seit 2011 in der Bürgerschaft sachorientierte, konstruktive Oppositionsarbeit. Ich stehe zum Beispiel für einen starken Rechtsstaat und für exzellente Bildung. Diese Themen sind durch den Fraktionsvorsitz etwas stärker in den Vordergrund gerückt.

Es wirkt so, als sei nicht die ganze Partei von Ihrer Spitzenkandidatur begeistert. Wie wollen Sie die Mitglieder überzeugen?

Es gibt immer einige, die mit Entscheidungen nicht einverstanden sind. Aber Ich kann Menschen gut mitnehmen und überzeugen, das war schon in meiner Zeit in der Volksinitiative gegen die Einheitsschule so. Ich bin da optimistisch und setze auf diese persönliche Wirkung.

Sie streben eine Regierungsbeteiligung an. Woraus leiten Sie diesen Anspruch ab?

Wir haben seit 2011 anerkannt gute Sacharbeit geleistet und sogar aus der Opposition heraus einiges durchsetzen können, etwa in der Schulpolitik. Jetzt möchten wir unsere liberalen Werte in Regierungshandeln umsetzen. Wir sind die einzige politische Kraft in Hamburg, die die Werte der bürgerlichen Mitte vertritt. Das ist unserer Chance.

Woran macht sich fest, dass Sie die bürgerliche Mitte vertreten?

Wir haben einen klaren Kompass – klare Haltungen und Forderungen, etwa nach einer leistungsorientierten Bildungspolitik oder einem starken Rechtsstaat. Nehmen Sie nur die Debatte um die Ida-Ehre-Schule: Wir waren die einzigen, die das rechtsstaatliche Vorgehen der Schulbehörde verteidigt haben, während SPD, Grüne und sogar die CDU nach links eingeknickt sind. Das ist ein sehr wichtiger Punkt: Die Menschen wissen, dass sie sich bei uns darauf verlassen können, was wir sagen.

An Positionen festzuhalten sagt doch noch nichts darüber, wo man steht...

Gerade die bürgerliche Mitte braucht jetzt eine Partei mit einem klaren Kompass. Da kommt es mehr auf beständige Haltung und weniger auf wechselnde Meinungen an. Da haben die anderen Parteien Probleme. Die SPD ist sehr staatsgläubig und lässt sich immer häufiger von selbstbewussten Grünen vorführen. Die CDU hat unter ihrem Spitzenkandidaten gerade wieder einen Kurswechsel vollzogen und schielt nach den Grünen. Nur wir vertreten noch Werte und Haltung der bürgerlichen Mitte.

Mit wem wollen Sie überhaupt regieren?

Das hängt von den Wahlprogrammen, vor allem aber von den Wahlergebnissen ab – und darüber entscheiden die Wähler. Grundsätzlich gilt: Die Bürgerschaftsparteien jenseits von Linken und AfD müssen anschlussfähig sein.

Ist nicht Jamaika unter grüner Führung für Sie die einzig realistische Option?

Das kann man jetzt noch nicht sagen, weil es noch von vielen Faktoren beeinflusst werden kann: Drei ostdeutsche Länder wählen, der Fortbestand der GroKo steht in Frage, ebenso der Höhenflug der Grünen. Vor nicht mal zwei Jahren sind sie als kleinste Oppositionsfraktion in den Bundestag eingezogen.

Aber da es für Rot-Gelb kaum reichen wird, ist eine Regierungsbeteiligung für die FDP wohl ohne Grüne kaum vorstellbar, oder?

Abwarten. Die Wähler sind heute wechselfreudiger als noch vor 20 Jahren. Stand jetzt sind eine Ampel oder Jamaika möglich – oder Rot-Grün macht als Grün-Rot weiter. Aber solche Farbenspiele machen jetzt keinen Sinn.

Worauf wir hinauswollen: Wie soll ein Bündnis mit den Grünen funktionieren? Die streben die Fahrradstadt an, während die FDP gefühlt die letzte Autofahrerpartei ist.

Das Gefühl trügt! Wir sind keine Autofahrerpartei, aber genauso wenig sind wir eine Verbotspartei, die Radfahrer gegen Autofahrer ausspielt. Eine Fahrradstadt auf Kosten aller anderen Verkehrsteilnehmer lehnen wir ab. Wir wollen die Freiheit der Hamburger erhalten, sich für das Verkehrsmittel ihrer Wahl zu entscheiden. Genau deshalb brauchen wir liberale Politik im Senat.

Die Grünen wollen den Anteil des motorisierten Individualverkehrs von derzeit rund 35 auf 20 Prozent senken. Gehen Sie da mit?

Ich halte nicht viel von solchen Zielzahlen. Erstmal müssten wir den öffentlichen Nahverkehr so ausbauen, dass auch Verkehrsteilnehmer aus den Randgebieten es schaffen, mit Bahn oder Bus schnell in die Stadt zu kommen. Wenn der ÖPNV besser und günstiger wird, steigen Autofahrer um, ohne drangsaliert zu werden. Ich sehe große Chancen in der E-und Wasserstoff-Mobilität, auch im Carsharing. Dafür brauchen wir dringend noch mehr Ladesäulen und Wasserstoff-Tankstellen.

Die Grünen wollen dem Fahrrad innerhalb des Ring 2 Vorrang zu geben. Eine gute Idee?

Nein, wir wollen keine Fahrradstadt, sondern eine fahrradfreundliche Stadt. Wer aufs Rad steigt, soll keine Angst haben, weil die Radstreifen so eng sind.

Also müsste man die Radwege ausbauen.

Das finden wir gut, solange das nicht als Vorwand genutzt wird, um Autos oder Busse auf künstlich verengtem Straßenraum in den Stau zu schicken. Radwege-Ausbau heißt eben nicht Gepinsel auf der Straße. Man muss sich auf den Radwegen auch sicher fühlen.

Aber muss man sich nicht an vielen Stellen entscheiden, ob man nun einen breiten, sicheren Radweg und eine schmale Straße will oder umgekehrt? Beides geht doch nicht.

Deshalb fordern wir seit Langem ein durchdachtes Verkehrskonzept: Wer den Straßenraum neu verteilt, darf nicht alle Fahrzeugnutzer beeinträchtigen und so am Ende ÖPNV-Kunden im Bus genau wie Autofahrer benachteiligen. HVV-Busse im Stau stehen zu lassen, weil die halbe Straße nun Fahrradweg ist, das ist kein Konzept. Außerdem lebt die Wirtschaftsmetropole Hamburg auch von Hunderttausenden Pendlern, denen man nicht einfach sagen kann, fahrt doch Fahrrad. Die brauchen eine attraktiveren ÖPNV und gute Straßen.

Die Radfrage ist eingebettet in das Topthema Klimaschutz – dazu hört man von Ihnen wenig.

Das finde ich nicht. Die FDP ist Teil einer Bewegung für mehr Umweltschutz. Wir befürworten den Zertifikatehandel auf internationaler Ebene, wir fordern mehr Technologieoffenheit für modernen Klimaschutz. Jeder in der Stadt sollte ein Interesse daran haben, etwas für besseres Klima zu tun. Aber wir sind strikt gegen eine Verbotspolitik, weil ich glaube, dass man die Menschen damit nicht mitnehmen kann.

Die FDP setzt auf globale Lösungen oder EU-weite und lehnt nationale Alleingänge ab. Was muss in Hamburg geschehen?

Es wäre Augenwischerei, so zu tun, als könnten wir in Hamburg den Klimawandel stoppen. Man kann das Problem nur international lösen, etwa über einen Emissionshandel. Gleichwohl können wir etwas tun – über den Ausbau von ÖPNV und E-Mobilität haben wir ja gesprochen. Außerdem können wir mehr Technologieoffenheit durch intensive Arbeit an der Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft voranbringen, das hat der Bürgermeister gut zum Ausdruck gebracht. Mehr Klimaschutz gibt es aber nicht umsonst. Das verschweigen vor allem die Grünen gerne. Doch das müssen wir den Bürgern ehrlich sagen. Niemand behauptet, dass Hamburg allein den Klimawandel stoppen kann.

Müsste nicht umgekehrt jeder bei sich selbst anfangen?

Vollkommen richtig. Jeder kann bewusster leben, nachhaltiger konsumieren und dadurch beispielsweise Plastikmüll vermeiden. Ich persönlich meide seit Jahren Plastikverpackungen und habe mir gerade eine Elektro-Vespa zugelegt. Über viele einzelne Ansätze entsteht dann ein Schneeballeffekt, um möglichst viele Menschen davon zu überzeugen.

SPD, Grüne, CDU und FDP haben sich auf einen neuen Schulfrieden geeinigt. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Punkte?

Wir haben zentrale liberale Inhalte in die Vereinbarung hineinverhandelt. Das zeigt: Auch aus der Opposition heraus kann Regierungshandeln gestaltet werden. Für die FDP ist besonders wichtig: Wissen und Leistung rücken jetzt in den Vordergrund. Das fängt in der Grundschule an. Die Stärkung der Grundkompetenzen Schreiben, Lesen und Rechnen ist dringend notwendig. In den weiterführenden Schulen wird das Allgemeinwissen vertieft, denn es werden jetzt wieder mehr konkrete Inhalte unterrichtet. Zentral ist für die FDP auch die Reduzierung des Unterrichtsausfalls, der mit neuen gezielten Maßnahmen bekämpft werden wird. Wir werden mit Argusaugen darüber wachen, dass die Vereinbarung auch 1:1 umgesetzt wird.

Was ist Ihr Wahlziel?

Unser Wahlziel ist es, mit einem sehr soliden Ergebnis in die Bürgerschaft einzuziehen und in Regierungsverantwortung zu kommen.

Was heißt solide? Zweistellig?

Man muss sich ja Ziele setzen – also: Ja!