Hamburg. Hamburger Top-Polizist abgelöst. Internes Schreiben mit drastischen Worten. Hat es verbotene Ermittlungsmethoden gegeben?
Am Montagmorgen sitzt Frank-Martin Heise noch in einer Lagekonferenz, als sich das Beben schon andeutet. Jetzt sei „wohl der Tag X“, tuscheln Beamte. Am Vormittag ruft Polizeipräsident Ralf Martin Meyer den LKA-Chef zu sich. Er enthebt Heise seines Amtes, ein einmaliger Vorgang in der Hamburger Polizeigeschichte. Nur noch in Begleitung darf Heise danach zurück an seinen Arbeitsplatz, erzählen Beamte. So plötzlich wird der oberste Kriminalpolizist zu einem Abservierten.
In einem internen Brief spricht der Polizeipräsident von verlorenem Vertrauen und „erheblicher Kritik“ an Heise auf „verschiedenen Ebenen“. Er könne es nicht verantworten, Heise auf seinem bisherigen Posten zu belassen. Es gibt kein gutes Wort mehr über den 50-Jährigen – anders als sogar bei dem abgesetzten Soko-Chef Steven Baack, der in der Affäre um den Vorwurf auf „verbotene Ermittlungsmethoden“ bereits im Herbst 2018 gehen musste. Heise soll im Gegenzug bereits in den vergangenen Wochen gegenüber Vertrauten gedroht haben, sich „ganz sicher nicht geräuschlos“ verabschieden zu wollen.
Über die genauen Gründe für die Absetzung spricht die Polizeiführung bislang nicht. Anlass ist jedoch der Bericht einer Arbeitsgruppe unter Führung des pensionierten Spitzenpolizisten Bernd Schulz-Eckhardt, die seit April mögliche „Mängel in der Führung und Zusammenarbeit des LKA“ untersuchte. Sie wertete unter anderem Dokumente zu der Arbeit der Abteilung „Cold Cases“ aus, die das Abendblatt im Sommer öffentlich machte und die Heise schwer belasteten. Aus den Papieren geht hervor, dass der Soko-Chef Baack und eine Mitarbeiterin wiederholt und energisch darauf hingewiesen hatten, dass die Einheit heillos überlastet sei. Heise reagierte aber offenbar nicht darauf.
Hochrangige Beamte stellten sich gegen Heise
Nachdem die Ermittlungen der Soko in einem Fall von versuchtem Mord aus dem Jahr 1980 mit einem Debakel vor Gericht endeten und die Vorwürfe auf gezielte Täuschung von Zeugen laut wurden, wurden die Abläufe mehrfach überprüft. Das Ergebnis waren schwere handwerkliche Mängel. Die Staatsanwaltschaft entschied sich jedoch, keine Ermittlungen gegen Baack aufzunehmen – vielmehr sei dessen Erklärung von Überlastung und Überforderung grundsätzlich plausibel, wie der Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich dem Abendblatt sagte. Die Einheit sei in dieser Zusammensetzung von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen, heißt es in Justizkreisen. „Heise wollte da ein Produkt vermarkten, das nie die nötige Qualität hatte.“
Die Untersuchung der LKA-Führung ging zudem bereits früh über mögliches Versagen in der „Cold Cases“-Affäre hinaus. Proaktiv seien in den vergangenen Monaten auch Beamte aus völlig anderen Abteilungen angesprochen und zu Heises Führungsstil befragt worden, heißt es in Polizeikreisen. Nach Abendblatt-Informationen stellten sich auch mehrere hochrangige Beamte in den Befragungen deutlich gegen Heise.
Der LKA-Chef war während seiner gesamten Amtszeit umstritten, ihm wurde ungebührliches Verhalten gegenüber Angestellten vorgeworfen. Seine Unterstützer sagen dagegen, Heise verkörpere eine modernere Art von Polizeiarbeit. Auch hinter der nun vorgebrachten Kritik könnte teilweise Kalkül stecken. „Natürlich sahen jetzt auch einige ambitionierte Kollegen die Chance, ihn aus dem Weg zu bekommen“, sagte ein Beamter am Montag. Wie der Polizeisprecher Timo Zill auf Anfrage sagte, gibt es keine Hinweise darauf, dass Heise strafrechtlich oder disziplinarrechtlich relevante Vergehen begangen haben könnte.
Es solle „zeitnah“ über den zukünftigen Posten Heises entschieden werden, schreibt Meyer in dem internen Brief. Denkbar ist etwa der Posten eines Projektleiters, aber auch ein Wechsel in die Innen- oder zu einer Bundesbehörde. Kommissarisch leitet der Stabschef Jörg Schmiegalle das Landeskriminalamt, bis Heises Stellvertreter Mirko Streiber aus dem Urlaub zurückkehrt.
Streiber gilt in Polizeikreisen auch als aussichtsreicher Kandidat auf die Nachfolge und hat sich etwa als Chef der Soko „Rocker“ einen exzellenten Ruf erarbeitet – allerdings betrafen ihn die meisten Vorwürfe gegen die LKA-Führung, mit denen der Strafverteidiger Gerhard Strate die nun erfolgte Untersuchung ins Rollen brachte. Der Polizeipräsident will in Kürze weiter über die genauen Ergebnisse der Arbeitsgruppe informieren. Die Stelle des LKA-Chefs wird bundesweit ausgeschrieben. Neben Streiber wird auch der Kriminaldirektor Jan Hieber gehandelt, der die Fahndung nach den Randalierern des G-20-Gipfels ebenfalls als Soko-Chef geleitet hatte.
Gewerkschaft spricht von jahrelangem Konflikt
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sprach davon, dass es bereits vor der „Cold Cases“-Affäre gravierende Mängel im Landeskriminalamt gegeben habe. „Der BDK hofft, dass der seit Jahren andauernde Konflikt in der Hamburger Polizeiführung mit der Entscheidung nunmehr Beendigung findet“, heißt es in einer Stellungnahme. Auch der innenpolitische Sprecher der FDP in der Bürgerschaft, Carl Jarchow, mahnte strukturelle Probleme an, „die nicht nur an einer Person festgemacht werden können“.
In Kreisen von Kripobeamten wurde bereits die Ernennung Heises im Januar 2017 als Zeichen gewertet, dass dem Polizeipräsidenten die Schutzpolizei wichtiger sei als die Kripo. Mehrere hochrangige Beamte warnten Meyer offen vor der Entscheidung. Hinter den Kulissen wird nun auch davon gesprochen, dass die diversen Mängel in der Führungskultur des LKA dem Präsidenten lange hätten bekannt sein müssen. „Es ist schwer, so zu tun, als wäre das vorher nie Thema gewesen“, sagt ein Beamter.
Der Landeschef der einflussreichen Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders, hält sich mit Schlüssen zurück. „Wenn das Vertrauensverhältnis zur obersten Polizeiführung massiv gestört ist, wäre es ein Grund für die Ablösung“, sagte Lenders. Aus dem Umfeld des Polizeipräsidenten ist auch zu hören, dass Heise während seiner Amtszeit Problemfelder wie den Online-Betrug mangelhaft bekämpft habe. Er habe dennoch von den allgemein sinkenden Kriminalitätszahlen profitiert – bis die „Cold Cases“-Affäre dem Präsidenten nun keine Wahl mehr ließ.
Die Aufarbeitung des Debakels um die Soko ist mit der Absetzung nicht abgeschlossen. Gegen den ehemaligen Leiter Steven Baack wird weiterhin disziplinarrechtlich ermittelt – sein Anwalt Gerhard Strate hatte das Verfahren selbst angestrengt, um aus seiner Sicht die Vorwürfe entkräften zu können. Wegen eines Vorfalls, bei dem Baack plötzlich in einer Klasse von Polizeianwärtern erschien, um angebliche Verleumdungen über ihn vor den Schülern zu entkräften, werden weitere Sanktionen geprüft.
Baack war zunächst länger als ein halbes Jahr krankgeschrieben, arbeitet aber seit Juni als Referent für den Katastrophenschutz in der Innenbehörde. Aus seinem Umfeld heißt es, Baack gehe die neue Aufgabe mit Elan an – er sehe seine Zukunft selbst eher als wieder ermittelnder Kriminalbeamter.