Hamburg. Fakultät Life Sciences zieht von Lohbrügge in neuen Stadtteil. Am Berliner Tor soll zweitgrößte Hochschule mehr Platz erhalten.

Während Universitätschef Dieter Lenzen und sein Team zuletzt vor allem um die Exzellenz-Krone kämpften und schließlich den Gewinn dieses Titels feiern durften, musste sich Micha Teuscher als Präsident der zweitgrößten Hochschule der Hansestadt ganz anderen Herausforderungen widmen: Wie lässt sich der Platzbedarf der HAW Hamburg decken, deren Studierendenzahl von 11.700 im Jahr 2007 auf rund 17.100 gewachsen ist? Wo könnten Neubauten entstehen für die praxisorientierte Lehr- und Forschungseinrichtung, deren Hauptnutzfläche sich nach Angaben der HAW von 77.000 Quadratmetern im Jahr 2007 nur auf aktuell 90.000 Quadratmeter erhöht hat?

Teuscher (55) treiben diese Fragen um, seit er im Mai 2017 sein Amt antrat. Nach vielen Bemühungen freut er sich nun über Fortschritte für seine HAW, die in Hamburg mit vier Standorten vertreten ist. Der erste Teil der neuen Pläne betrifft die Fakultät Life Sciences (Lebenswissenschaften) in Lohbrügge: Sie soll umziehen nach Oberbillwerder, in Hamburgs geplanten 105. Stadtteil. Dem Bezirk Bergedorf bleibt die HAW-Fakultät damit erhalten – sie soll aber eine erhebliche Aufwertung erfahren.

Attraktives Umfeld für Studenten

In Lohbrügge studieren etwa 3800 Menschen Fächer wie Gesundheits- und Ernährungswissenschaften, Medizintechnik, Umwelt- und Verfahrenstechnik. „Konzipiert war das Gebäude ursprünglich jedoch für 900 Studierende – eine Sackgasse, in der wir die weitere bauliche Entwicklung der Fakultät nicht vorantreiben konnten“, sagt Teuscher. Er spricht von einer „einmaligen Gelegenheit“, die HAW mit einem neuen „Gesundheitscampus“ zu profilieren und die entsprechenden Studiengänge in einem „angemessenen und für Studierende attraktiven Umfeld“ auszubauen. In Oberbillwerder könnte es bis zu 5000 Studienplätze geben, sagt Teuscher.

Bergedorfs Bezirksamtsleiter Arne Dornquast (SPD) hatte bereits Anfang 2016 einen Umzug der Fakultät nach Oberbillwerder vorgeschlagen – und sich dafür im Bezirk viel Kritik eingehandelt. Man dürfe die HAW nicht „wegplanen“, hieß es, sondern müsse sich vielmehr verstärkt dafür einsetzen, dass viele aus der Innenstadt einpendelnde HAW-Studenten auch in Bergedorf lebten.

Neubau ist wirtschaftlicher

Dreieinhalb Jahre später machen sich nun die Behörden für Stadtentwicklung und Wissenschaft gemeinsam mit dem Bezirk und der HAW für einen Umzug nach Oberbillwerder stark. Das hängt zusammen mit einem Gutachten zum Zustand der Gebäude in Lohbrügge, das die Wissenschaftsbehörde (BWFG) in Auftrag gegeben hatte. Demnach wäre eine Modernisierung gegenüber einem Neubau unwirtschaftlich. „Auch die Betriebs- und Instandhaltungskosten wären für die Bestandsgebäude deutlich höher als bei einem Neubau“, so die BWFG.

Genügend Platz für einen solchen Neubau gibt es nördlich der S-Bahn-Station Allermöhe, wo nach dem Willen des rot-grünen Senats auf 124 Hektar Fläche ab Mitte der 2020er-Jahre ein „lebendiger, gemischt genutzter Stadtteil“ entstehen soll, mit 7000 Wohnungen und bis zu 5000 Arbeitsplätzen.

Wichtig für die Stadtentwicklung

„Für dieses Vorhaben ist der Gesundheitscampus der HAW ein idealer Baustein“, sagt Oberbaudirektor Franz-Josef Höing. „Ich freue mich darüber unglaublich.“ Die Ansiedelung eines Teils der HAW trage dazu bei, dass in Oberbillwerder ein Spektrum aller gesellschaftlichen Gruppen vertreten sein werde. Niemand müsse befürchten, dass nun ein großes Hochschulgebäude in diese Bergedorfer Lebenswelt gepfropft werde. „Der neue Campus lässt sich kleinteilig in Oberbillwerder integrieren.“ Für Höing verdeutlicht das Vorhaben auch: „Hamburg ist eine Wissenschaftsstadt – aber nicht nur im Zentrum und in Bahrenfeld, sondern etwa auch in Bergedorf.“

Mit den Planungen übernehme „die Wissenschaft einmal mehr eine wichtige Rolle für die Stadtentwicklung“, erklärt Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne). Der neue Stadtteil und die HAW passten gut zusammen, sagt Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). „Zukünftig wird hier studiert, gelehrt, geforscht, gearbeitet und produziert und nicht nur gewohnt.“

Bestätigt sieht sich Arne Dornquast: „Die HAW wird Oberbillwerder bereichern und zeigt bereits heute, wie attraktiv der 105. Hamburger Stadtteil für das Wohnen und Arbeiten werden wird.“

So sehr alle Beteiligten von den Plänen schwärmen – welche Flächen die HAW in Oberbillwerder bekommen wird, wann der Bau des Campus beginnen und was er kosten wird, werde „derzeit abgestimmt“, heißt es von der BWFG lediglich. Micha Teuscher hofft, dass in zwei Jahren die Erschließung des Areals für den neuen Campus beginnen kann.

HAW muss derzeit 20.000 Quadratmeter Fläche anmieten

Baulich vorangehen soll es bald auch am größten Standort der HAW am Berliner Tor. Weil dort ebenfalls Platzmangel herrsche, habe die Hochschule zuletzt unweit vom Berliner Tor auf eigene Kosten rund 20.000 Quadratmeter Fläche an der Alexanderstraße, der Gotenstraße und am Steindamm anmieten müssen, teilt die HAW auf Anfrage mit.

Damit das künftig nicht mehr nötig ist, soll die HAW am Berliner Tor erheblich mehr Platz bekommen. In einem Gebäude am Berliner Tor 9 ist bisher das Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau untergebracht, das zur Fakultät Technik und Informatik gehört.

Ein weiteres Gebäude am Berliner Tor 7 beherbergt den Rest der Fakultät sowie die Mensa und die Bibliothek. In beiden Häusern seien Technik und Brandschutz nicht auf dem jüngsten Stand, heißt es von der HAW, deshalb sollen die beiden Gebäude abgerissen und durch zwei Neubauten für alle Departments der Fakultät ersetzt werden.

Kosten und Zeitplan noch unbekannt

Die Mensa und die Bibliothek sollen künftig in einem Neubau an der Stiftstraße 69 unterkommen. Dort ist bisher insbesondere das Studierendenzentrum untergebracht. Der nun geplante Neubau soll so viel Platz bieten, dass er auch die Mitarbeiter der Fakultät für Wirtschaft und Soziales beherbergen könnte, die bisher an der Alexanderstraße, der Gotenstraße und am Steindamm untergebracht sind.

Wie bei den Plänen zu Oberbillwerder halten sich die Behörden und Oberbaudirektor Franz-Josef Höing auch bedeckt zu Kosten und Zeitplänen für die neuen Vorhaben am Berliner Tor.

HAW-Präsident Micha Teuscher sagt: Je schneller es vorangehe, desto eher könne er das bisher für Anmietungen benötigte Geld für Studium und Lehre einsetzen.