Hamburg. Die 41-Jährige steht vor Gericht, weil sie der Terrormiliz bei Anschlagsplanungen in Deutschland geholfen haben soll.
Es ist 6 Uhr morgens und noch dunkel, als die Ermittler anrücken. Am 11. Dezember 2018 stürmen Beamte des Bundeskriminalamts, der Hamburger Polizei und der Bundespolizei eine Wohnung in einem Neubau an der Kieler Straße, schräg gegenüber der Tierfutterhandlung Fressnapf. Die Wohnung ist karg eingerichtet. Möbel fehlen komplett, es gibt kein Bett, keinen Tisch, nichts. Eine Matratze liegt in einem Zimmer, ein Bügelbrett steht da, auf dem Balkon türmt sich der Unrat. Dabei lebt hier eine Frau mit ihren zwei kleinen Kindern – Songül G. Die türkischstämmige 41-Jährige aus Bremen ist das Ziel einer konzertierten Operation, die möglicherweise geholfen hat, einen Anschlag der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf deutschem Boden zu verhindern.
Die Bundesanwaltschaft hat die 41-Jährige wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung angeklagt, seit Montag steht sie vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts. Sie trägt einen Hidschab – ein Hals, Haare und Schultern bedeckendes Kopftuch. Als die Fotografen den Saal betreten, verbirgt sie ihr Gesicht hinter einem Aktenordner, auf dem steht: Die beste Anne („Mutter“, die Red.).
Die gegen sie erhobenen Vorwürfe bestreitet sie. Sie räumt zwar ein, mit der Frau eines 2015 aus Deutschland in das syrische IS-Gebiet ausgereisten Ehepaares in Kontakt gestanden zu haben. Auch habe sie dieser 2016 eine unter falscher Identität eingerichtete Handy-Nummer und Accounts bei WhatsApp und Facebook zu Verfügung gestellt. Sie habe aber nicht gewusst, dass Marcia M. ein aktives IS-Mitglied war – sie habe in ihr lediglich eine Haus- und Ehefrau gesehen.
Pläne für einen großen Anschlag?
Den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, dass sie in Pläne für einen großen Anschlag in Deutschland eingebunden gewesen sei und sich in diesem Zusammenhang auch dazu bereit erklärt habe, einen aus Syrien einreisenden IS-Kämpfer bei sich in Hamburg unterzubringen und zu heiraten, weist sie ebenfalls zurück. Vielmehr habe sie zum damaligen Zeitpunkt selbst ins IS-Gebiet ausreisen wollen. Grund: Als offen bekennende Muslima habe sie sich in Deutschland nicht mehr wohl gefühlt.
Die Kontakte zu der anderen Frau hätten nur diesem Zweck gedient. Sie habe in den IS-Gebieten ein Leben nach islamischen Regeln und frei von Anfeindungen führen wollen, sagt die Angeklagte in einer selbst verlesenen Erklärung. Aus Angst vor einer Ausreisesperre der deutschen Behörden habe sie das Handy unter falschem Namen angemeldet. „Die ganze Zeit ging es nur um meine Ausreise“, beteuert Songül G. „Erst als ich 2017 von der Polizei Besuch bekam“ und sie gemerkt habe, dass sie ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten war, habe sie ihre Ausreisepläne aufgegeben und sich für den Verbleib in Deutschland entschieden.
„Was dann auch dazu führte, dass ich meine Ausbildung als Fahrlehrerin begann.“ Dafür sei sie von Bremen nach Hamburg gezogen. Dass es sich bei dem IS um eine Gräueltaten verübende Terrororganisation handelt, sei ihr damals „nicht bewusst“ gewesen. In entsprechenden Islamisten-Foren sei sie „einer perfiden Meinungsmache aufgesessen“. „Ich schäme mich dafür“, sagt sie. Heute verurteile sie die Taten des IS, die mit ihrer Vorstellung vom Islam nicht in Einklang zu bringen seien.
16 Verhandlungstage sind vorerst angesetzt
Die Bundesanwaltschaft geht indes davon aus, dass Songül G. bewusst war, dass es sich bei dem Ehepaar um IS-Mitglieder handele. Mit der Bereitstellung der Handy-Nummer und der Accounts in den sozialen Medien habe sie deren Kommunikation ermöglicht. Aus der Überwachung der Telekommunikation gehe hervor, dass sie von dem geplanten Anschlag auf eine nicht näher ermittelte Großveranstaltung in Deutschland gewusst habe. Angaben der Ehefrau gegenüber einer Verbindungsfrau des Bundesnachrichtendienstes belegten zudem, dass sie sich bereit erklärt habe, bei der Einschleusung eines Attentäters zu helfen, indem sie diesem durch Heirat eine Legende verschaffen wollte.
Bis Ende Oktober hat das Gericht vorerst 16 Verhandlungstage angesetzt. Songül G. ist nicht die einzige Hamburgerin, die in den vergangenen Monaten in Zusammenhang mit dem IS in die Schlagzeilen geraten ist. So berichtete ein arabischer TV-Sender im April, dass die Witwe des getöteten IS-Terroristen und Deutsch-Rappers „Deso Dogg“ unbehelligt mit ihren drei Kindern im Süden der Stadt lebt. Zu möglichen Ermittlungen gegen die Frau äußerte sich die Bundesanwaltschaft gestern auf Abendblatt-Anfrage nicht. Seit 2016 standen acht IS-Anhänger in Hamburg vor Gericht. Erst am Montag hat das OLG einen 18-Jährigen zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt, weil er ein Foto vom verbotenen IS-Banner vor der Elbphilharmonie im Internet veröffentlicht und dort zur Tötung von IS-Feinden aufgerufen hatte.