Hamburg. Halb nackte Männer in Glitzer? Völlig normal bei der Christopher-Street-Day-Parade. Es geht um Politik, um Spaß und gute Laune.
Nein, das sei kein Fetisch, sagt Michael Jehle aus Hannover. Dieser Harness, also ein Herrengeschirr aus Leder, trage er nur zum Vergnügen um den Oberkörper, genauso wie die blauen Badeshorts in Camouflage-Optik. Denn trotz der wichtigen politischen Botschaft gehe es beim Christopher Street Day (CSD) auch und vor allem um den ganz großen Spaß. Während der 49-Jährige sich noch mit einem Bier für die Party vorglüht, ist ein paar Meter weiter die diesjährige CSD-Parade gestartet.
„Wir haben viel erreicht, aber die Akzeptanz ist nicht bei allen angekommen. Gerade im Hinblick auf die AfD und andere rechte Parteien ist es umso wichtiger, Flagge zu zeigen“, sagt Jehle. Die Parade ist der Höhepunkt der Pride Week, die mit etlichen Aktionen auf die Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgenders aufmerksam gemacht hat. Motto: „Grundsätzlich gleich – für eine bessere Verfassung“. Gefordert wird, dass die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität in das Diskriminierungsverbot (Art. 3) im Grundgesetz aufgenommen werden.
Feuer bei CSD-Parade in Hamburg
Der eine trägt Ledergeschirr, andere kommen in noch viel schrilleren Outfits zur Parade. Bis zu 240.000 sollen es gewesen sein. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat sich dem Anlass entsprechend angezogen, heißt in seinem Fall: statt Anzug und Krawatte in legerer Hose und rosa Hemd.
Vielfalt und Toleranz sind Hamburgs Stärke
Um 12.32 Uhr geht es offiziell los. Gemeinsam mit der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) führte Tschentscher die CSD-Demo an. „Wir sind eine tolerante und weltoffene Stadt. Diese Vielfalt ist unsere Stärke“, sagte der Bürgermeister kurz vor Beginn der Parade. Auch andere Senatskollegen waren dabei. Gesehen: Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) mit Strohhut und Justizsenator Till Steffen (Grüne), außerdem Johannes Kahrs (SPD), Farid Müller (Grüne), Dirk Kienscherf (SPD), Anna Gallina (Grüne), Falko Droßmann (SPD).
Kurzer Schreckmoment eine Stunde nach dem Start an der Langen Reihe: Der Wagen der Initiative „Queer Refugees Support“ war während der Fahrt in Brand geraten. Einige aus der Gruppe hatten noch versucht, den Brand mit Feuerlöschern zu bekämpfen. Die Feuerwehr war aber schnell vor Ort, nach einer knappen Viertelstunde war der Brand gelöscht, zwei Demo-Teilnehmer wurden mit Verdacht auf Rauchvergiftungen in Krankenhäuser eingeliefert, zwei weitere wurden leicht verletzt. 71 Trucks, Fußgruppen und kleinere Lkw zogen anschließend weiter.
Akzeptanz in Unternehmen
Unter den Paradegästen war auch Stephanie Hillmann mit Freundin Maren. Die beiden sind seit 15 Jahren ein Paar. Lange haben sie in Langenhorn gewohnt, doch dort fühlten sie sich nicht wohl, immer wieder gab es Sprüche und Blicke. Das sei in Altona anders. Überhaupt sind die Menschen in Hamburg meistens offen und tolerant – abgesehen von einigen Stadtteilen vielleicht. An ein Erlebnis erinnert sich Stephanie Hillmann: „Als ich aus der S-Bahn auf dem Weg nach Hause war, haben mich angetrunkene Jugendliche bepöbelt“, sagte sie. Normalerweise reagiert die 53-Jährige darauf, aber bei den Jugendlichen hat sie es lieber gelassen.
Auf der CSD-Parade trug Stephanie Hillmann ein T-Shirt mit dem Airbus-Logo darauf. „Bei uns in der Firma gibt es keine Konflikte“, betonte sie. Es sei in Unternehmen wichtig, wie der Chef oder die Chefin mit dieser Situation umgehe. „Wenn der Chef es akzeptiert, dann müssen sich alle fügen“, sagt sie. Ein Kollege, 24 Jahre alt, hatte sein Coming-out noch nicht. In der jetzigen Abteilung gebe es einige sehr konservative Kollegen. „Da lasse ich es nicht drauf ankommen.“
CSD-Neuling ist beeindruckt
Das haben Maic Utschinski und Marc Jürgens lange hinter sich. Jedes Jahr kommen die beiden aus Braunschweig zum CSD nach Hamburg, jedes Mal in aufwendigen Kostümen. „Wir haben viel erreicht, aber in anderen Ländern noch nicht. Deswegen sind wir hier“, sagt Marc. Deswegen und auch um zu feiern, sich und das Leben.
Davon war Anke Schmidt aus Bramfeld beeindruckt. Die 50-Jährige war zum ersten Mal als Zuschauerin dabei. „Guck mal, diese Hose!“, ruft sie ihrem Partner Carsten zu. Diese Outfits! Sie kann es kaum glauben. Ihr Carsten hält alles mit der Kamera fest. „Alle sind so fröhlich.“ Sie ist begeistert. Im Krankenhaus, sagt die Krankenschwester, käme sie jeden Tag mit vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt. Aber das Publikum hier sei dann doch noch etwas anderes.