Hamburg. 50. Geburtstag des CSD: Das Abendblatt fragte Hamburger Homosexuelle, wie sich ihre Wahrnehmung in der Stadt verändert hat.
Wer zurzeit durch die Innenstadt läuft, freut sich: alles so schön bunt hier. Doch die an zahlreichen Gebäuden gehissten Regenbogenflaggen anlässlich der Pride Week und des Christopher Street Day am Sonnabend können nicht übertünchen, dass es um die Vielfalt in unserer Gesellschaft gar nicht mehr so gut bestellt ist. Wir haben Teilnehmer des CSD nach ihrem Outing und ihrer Akzeptanz in Hamburg gefragt (die Videos zu allen Interviews finden Sie auf Instagram@abendblatt).
Die Dragqueens Barbie Stupid und Lee Jackson sind seit 21 Jahren ein Paar. Ihre Hochzeitsreise ging zu einer Panzerfahrschule bei Ulm, weil Bundeswehrsoldaten, die das Paar auf einer Kieztour kennengelernt hatten, die Travestiekünstler eingeladen hatten. „Ich fand es romantisch“, sagt Barbie Stupid und lacht. Barbie ging schon als Kind beim Karneval lieber als Prinzessin denn als Cowboy: „Ich war erst vier Jahre alt, da ahnte meine Mutter bereits, dass ich wahrscheinlich nicht heterosexuell bin.“
Insofern war das Outing als Jugendlicher keine große Überraschung für sie. Die Reaktionen von Lee Jacksons Eltern hingegen sahen etwas anders aus. Jackson hatte sich überlegt, seinen Eltern einen Film von Travestiekünstlern zu zeigen. Am Ende sagte er: „Und der dort, der bin übrigens ich.“ Gefühlt herrschte stundenlang Stille. „Sexualität war in meiner Jugend ein Tabuthema, ich bin zu einer Zeit groß geworden, als Homosexualität noch strafbar war und man nur heimlich in bestimmte Clubs ging.“ Jacksons Eltern reagierten dann recht pragmatisch. „Kann man damit Geld verdienen?“ fragte der Vater, und die Mutter zuckte mit den Schultern: „Hm, dann wohl keine Enkelkinder.“
Besorgniserregende politische Entwicklung
Das Paar erzählt, warum die Pride Week und der CSD heute (wieder) eine so große Rolle spielen. „Der Respekt gegenüber dem Anderen hat leider in den letzten Jahren nachgelassen. Wir erleben plötzlich Szenen, in denen wir vor unserer Haustür als ,Schwuchteln‘ beschimpft werden – und zwar von jungen Leuten,“ sagt Barbie.
Ihrer Ansicht nach hat die aktuelle Musik daran einen gewissen Anteil. „In den 90ern hat Blümchen ‚Herz an Herz‘ gesungen, doch wie die Hip-Hopper heute über Frauen, Schwulen, Lesben oder Ausländer herziehen, da kräuseln sich einem ja die Fußnägel auf.“ Die politische Entwicklung sei ebenso besorgniserregend. „Wir haben eine Partei im Bundestag, die die Ehe für alle wieder abschaffen will,“ sagt Jackson und schüttelt den Kopf. Homophobe Szenen erlebte auch Julian Basenau aus Geesthacht: „Ich würde sogar von einem gewaltigen Rückschlag sprechen, was die Toleranz in unserer Gesellschaft angeht, seitdem die AfD im Bundestag sitzt.“ Julian bekam auf einer Party eine Faust ins Gesicht, weil er schwul ist, und am Hamburger Hauptbahnhof bespuckten ihn junge Männer: „Schockierend. Wir leben im 21. Jahrhundert, nicht im Mittelalter!“
„Wichtig ist nur, dass wir uns lieben“
Flora und Mago Bee aus Sinstorf kritisieren die Vorurteile, denen sie als lesbisches Paar häufig ausgesetzt sind. „Einige Menschen sehen immer noch etwas Krankhaftes oder eine Sünde darin. Dabei gibt es auch in der Natur homosexuelle Paare, Pinguine und Delfine beispielsweise.“ Ihre Partnerin versteht nicht, warum sie so häufig gefragt werden: „Wer ist denn bei euch der Mann und wer die Frau in der Beziehung?“
Das sei doch nicht wichtig. „Wichtig ist nur, dass wir uns lieben. Wir sind alle Menschen, das Geschlecht spielt keine Rolle. Wir lachen, wir weinen, wir bluten – genauso wie Heterosexuelle.“ Die beiden jungen Damen verstehen jeden, der Angst hat vor einem Outing. „Doch es kann auch erleichtern. Ein Teil von sich selber zu verstecken, das ist auf Dauer zu schwer“, findet Mago, die sehr konservativ erzogen wurde und zuvor bereits zwei männliche Partner hatte: „Für mich stand fest, dass ich eine Familie haben würde. Als ich merkte, ich liebe Flora, habe ich meine Mutter angerufen und geweint. Die hat dann zum Glück gut reagiert.“ Das Outing ihrer Ehefrau lief etwas angespannter ab.
Viel Aufklärungsarbeit nötig
Weihnachten 2017 war das, die Familie ist versammelt, Flora möchte sie über ihre Hochzeit mit einer Frau informieren und überreicht die Einladungskarte zitternd ihrem Opa. Der reichte sie kommentarlos an ihre Oma weiter. Langes Schweigen, einige Personen verlassen den Raum. Schließlich brach Floras Mutter das Eis: „Gut, dann fangen wir mit der Planung an …“ Und ihr Opa sagte schließlich: „Wenn du Geld brauchst für die Feier, dann gebe ich was dazu.“
Doch nicht jeder erlebt einen solchen Rückhalt in seinem Umfeld. Die Jugend von Veuve Noir war so leidvoll, dass er sich sogar das Leben nehmen wollte: „Doch dann lernte ich, dass kämpfen zu müssen nicht nur ein Nachteil ist. Es gibt auch Kraft, wenn man das erreicht, was man erreichen wollte.“ Noir weist darauf hin, wie wichtig es für junge Leute sei, über ihre sexuelle Orientierung sprechen zu können. Entweder mit Freunden, mit Pädagogen oder mit Streetworkern.
Niemand solle sich „nicht normal“ fühlen. Veuve Noir: „Wir müssen anfangen, hinter den Horizont zu schauen, dafür steht die Pride Week!“ Der Hamburger glaubt, es sei noch viel Aufklärungsarbeit nötig, und engagiert sich daher bei der Pride Week stark. In Hamburg finden im Rahmen der Pride Week die ganze Woche Vorträge und Veranstaltungen zum Thema statt. Gestern hissten Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD), die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank und Justizsenator Till Steffen (beide Grüne) am Rathaus die Regenbogenflagge. „Gerade in diesen Zeiten müssen wir ein Zeichen gegen Ausgrenzung setzen“, sagte Veit.
Viele Menschen denken noch in Schubladen
Das Motto derPride Week lautet: „Grundsätzlich gleich – für eine bessere Verfassung.“ Das Grundgesetz verbietet Diskriminierung aufgrund der Herkunft eines Menschen, der Religion, der politischen Überzeugung oder einer Behinderung. „Die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität werden jedoch nicht als schützenswerte Merkmale genannt. Das muss sich endlich ändern“, fordert Stefan Mielchen, Vorsitzender vom Verein Hamburg Pride
Tatsächlich denken die meisten Menschen noch in den Schubladen: Mann oder Frau. Es gibt jedoch Personen wie Nicki, die sich weder männlich noch weiblich fühlen. Nicki studiert Psychologie und leitet Anti-Diskriminierungs-Trainings an Hamburger Schulen: „Meine Geschlechtsidentität ordne ich als nicht-binär ein, ich bin weder Mann noch Frau, sondern irgendwie dazwischen.“ Nicki begegnet oft Menschen, die zu Belehrungen neigen: Das sei nur eine Phase; Nicki sei jung und würde sich schon noch für ein Lager entscheiden. „Aber glaubt mir, ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht und massenhaft Fachartikel gelesen. Es gibt mehr von uns, als viele annehmen,“ sagt Nicki.
Für Bekannte besteht die Herausforderung darin, wie sie Nicki ansprechen sollen. Er, sie, es? Nicki empfiehlt: „Wenn man unsicher ist, sollte man einfach zu der Person hingehen und sagen: ‚Hallo, schön, dich kennenzulernen, wie soll ich dich ansprechen?‘ Das verlangt eine gewisse Flexibilität von der Gesellschaft, ich weiß. Aber ich glaube, diese Mühe können wir aufbringen.“