Hamburg. Der Schlagersänger Peter Sebastian hat dafür gesorgt, dass Rollstuhlfahrer erstmals die besten Plätze beim Schlagermove hatten.

Kurz bevor sich der Truck in Bewegung setzt, schnappt sich Peter Sebastian (61) das Mikro und schmettert den Evergreen „Junge, komm bald wieder“. Peter Sebastian stand schon auf der Bühne, als viele seiner Gäste noch gar nicht geboren waren, 18 Alben und 60 Singles hat der gebürtige Fürther, der inzwischen in Fleestedt in der Gemeinde Seevetal lebt, seit 1984 für den Schlagermarkt eingespielt, zudem Künstler wie Dunja Rajter oder Wolfgang Sauer produziert. Beim Schlagermove in Hamburg, sagt er, war „ich mindestens 20 Mal dabei“.

Und doch ist an diesem Sonnabend für Peter Sebastian, der inzwischen in Seevetal lebt, alles anders. Hibbelig klettert der Sänger noch einmal vom Lkw, um Fotos seiner Mitfahrer zu machen. Auf dem Truck mit der Nummer 23a sitzen Schlager-Fans, die wegen ihrer Behinderung nur dank einer Hebebühne die Ladefläche erreichen konnten. Zum ersten Mal in der Geschichte des Hamburger Schlagermoves fuhr ein eigens konstruierter Truck für Rollstuhlfahrer durch St. Pauli.

Ein echter Logenplatz für Rollstuhlfahrer beim Schlagermove

Die Idee für diese Aktion reifte in Peter Sebastian über mehrere Jahre: „Ich habe immer wieder gesehen, wie schwer es Menschen mit einer Behinderung bei einer solchen Veranstaltung haben. Oft kommen sie weit vor Beginn, um in der ersten Reihe einen Platz zu ergattern. Und wenn es dann losgeht, drängeln sich doch wieder andere vor und versperren ihnen die Sicht. Zudem werden sie oft unbeabsichtigt mit Bier bespritzt.“

Schlagermove in Hamburg: "Weine nicht, wenn der Regen fällt"

Ja, das sind alles Leute, die unbedingt beim Schlagermove mitmachen wollen. Nein, wir wissen auch nicht, warum.
Ja, das sind alles Leute, die unbedingt beim Schlagermove mitmachen wollen. Nein, wir wissen auch nicht, warum. © dpa | Georg Wendt
Das obligatorische Bild von der Brücke an der Helgoländer Allee (Wir hätten ihnen jetzt auch eines aus den Vorjahren unterjubeln können, das hätten Sie gar nicht mitbekommen).
Das obligatorische Bild von der Brücke an der Helgoländer Allee (Wir hätten ihnen jetzt auch eines aus den Vorjahren unterjubeln können, das hätten Sie gar nicht mitbekommen). © dpa | Georg Wendt
Uns fallen leider keine weiteren Schlager ein, in denen es um Regen geht, deswegen hier eine ganz Songtext-freie Impression vom 23. Schlagermove.
Uns fallen leider keine weiteren Schlager ein, in denen es um Regen geht, deswegen hier eine ganz Songtext-freie Impression vom 23. Schlagermove. © dpa | Georg Wendt
Ausgelassenheit mit Dosenpils und Plastikperücke. Besonders praktisch: Wenn man nicht hinter sich schaut, weiß man nicht, was meterologisch noch auf einen zukommt.
Ausgelassenheit mit Dosenpils und Plastikperücke. Besonders praktisch: Wenn man nicht hinter sich schaut, weiß man nicht, was meterologisch noch auf einen zukommt. © HA | Michael Rauhe
Peter Sebastian (hinten, Mitte) hat den Charity-Truck für Rollstuhlfahrer ins Leben gerufen, der in diesem Jahr seine Schlagermove-Premiere feierte.
Peter Sebastian (hinten, Mitte) hat den Charity-Truck für Rollstuhlfahrer ins Leben gerufen, der in diesem Jahr seine Schlagermove-Premiere feierte. © dpa | Georg Wendt
Humpahumpatätärätäta - oder so. Und dann auch noch Bremer Bier trinken.
Humpahumpatätärätäta - oder so. Und dann auch noch Bremer Bier trinken. © HA | Michael Rauhe
Schlagermove-Premiere: Der Truck für Rollstuhlfahrer.
Schlagermove-Premiere: Der Truck für Rollstuhlfahrer. © HA | Michael Rauhe
Kaffeekönig trifft Schlagerkönig: Peter Sebastian (r.) und sein Mäzen Albert Darboven, der den von Sebastian konzipierten Rollstuhl-Truck unterstützte.
Kaffeekönig trifft Schlagerkönig: Peter Sebastian (r.) und sein Mäzen Albert Darboven, der den von Sebastian konzipierten Rollstuhl-Truck unterstützte. © HA
Immerhin halten sie sich an das vorgegebene Motto:
Immerhin halten sie sich an das vorgegebene Motto: "Weine nicht, wenn der Regen fällt" © HA | Michael Rauhe
Bereit für die große Sause: Besucher des Schlagermoves in Hamburg.
Bereit für die große Sause: Besucher des Schlagermoves in Hamburg. © dpa
Zur Sicherheit den Schirm dabei: Schlagerfans sind auf alles eingestellt.
Zur Sicherheit den Schirm dabei: Schlagerfans sind auf alles eingestellt. © dpa
Hossa! Hossa! Hossa!
Hossa! Hossa! Hossa! © dpa | Georg Wendt
Von der Stubenfliege Puck bis zum Afro-Look: Eine Kostümauswahl.
Von der Stubenfliege Puck bis zum Afro-Look: Eine Kostümauswahl. © dpa
Per E-Scooter zum Schlagermove.
Per E-Scooter zum Schlagermove. © dpa
Indianer! Hippies! Oder doch Indianer?
Indianer! Hippies! Oder doch Indianer? © dpa
Ohne Liebe geht gar nichts.
Ohne Liebe geht gar nichts. © dpa
Die drei lustigen beiden waren beim Schlagermove zu siebt.
Die drei lustigen beiden waren beim Schlagermove zu siebt. © HA | Michael Rauhe
"Karl, wo bist du?" "Na, am Truck." "Wo denn?" Ich bin der mit dem Strohhut!" © HA | Michael Rauhe
Ja, es ist genau so laut, wie das auf dem Bild aussieht.
Ja, es ist genau so laut, wie das auf dem Bild aussieht. © HA | Michael Rauhe
Gut Ding will Weile haben - und die Anwohner freuen sich über Menschen, die für die Notdurft nicht auf Hauseingänge zurückgreifen.
Gut Ding will Weile haben - und die Anwohner freuen sich über Menschen, die für die Notdurft nicht auf Hauseingänge zurückgreifen. © HA | Michael Rauhe
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Diesmal hatten die Rollstuhlfahrer einen Logenplatz, unter ihnen der Hamburger Dirk Rosenkranz. „Das hier ist gelebte Inklusion“, freute sich der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Muskelschwundhilfe. Für die 3,3 Kilometer lange Rundtour hatte sich Rosenkranz in Schlagerkluft geworfen. Der Durst im Rolli-Truck war so groß, dass die Crew noch vor dem Start für Biernachschub sorgen musste.

Acht Monate Vorbereitung für den Rollstuhl-Truck

Vor acht Monaten hatte Peter Sebastian mit den Vorbereitungen begonnen. Besonders kniffelig war die Abnahme durch den TÜV. Schlagermove-Trucks haben hohe Geländer, damit bei dem feuchtfröhlichen Vergnügen niemand vom Wagen kippt. Für die Rollstuhlfahrer musste eine deutlich niedrigere Variante gebaut werden, sonst hätten sie kaum etwas gesehen.

Zudem benötigte der Charity-Truck mit der Aufschrift „Alle in einem Boot – so soll es sein“ ein behindertengerechtes Dixie-Klo. Schlagermove-Veranstalter Frank Klingner ließ sich von der Begeisterung seines Weggefährten anstecken und integrierte das Fahrzeug kurzerhand mit der Nummer 23a in den Konvoi, offiziell waren alle Startnummern längst vergeben.

Mit Unterstützung von Albert Darboven und Rolf Zuckowski

„Möglich war die Aktion nur dank guter Sponsoren“, sagt Peter Sebastian. Geschäftsleute, aber auch Künstler wie Rolf Zuckowski erwarben vorab bunte Silikonarmbänder mit dem Schriftzug „Aus Freude am Leben“, die die Rollstuhlfahrer und ihre Begleiter vom Wagen werfen konnten.

Kaffeekönig trifft Schlagerkönig: Peter Sebastian (r.) und sein Mäzen Albert Darboven, der den von Sebastian konzipierten Rollstuhl-Truck unterstützte.
Kaffeekönig trifft Schlagerkönig: Peter Sebastian (r.) und sein Mäzen Albert Darboven, der den von Sebastian konzipierten Rollstuhl-Truck unterstützte. © HA

Den Mann hinter diesem Slogan begrüßte Peter Sebastian besonders herzlich auf dem Rolli-Truck: Albert Darboven, dessen Kaffeerösterei mit diesem Spruch wirbt. Der Unternehmer scheiterte zwar zweimal beim Versuch, eine Konfetti-Kanone zu zünden, hatte aber dennoch sichtlich Spaß bei seiner Schlagermove-Premiere: „Für mich war es selbstverständlich, dass ich hier helfe. Jeder kann von heute auf morgen durch eine Krankheit oder einen Unfall eine schwere Behinderung erleiden.“ Peter Sebastian weiß dies aus eigener Erfahrung. 2011 wurde bei ihm eine Krebserkrankung diagnostiziert.

Schlagerfans verabschieden Costa Cordalis

Emotional war es auch an der Spitze des Zuges, wo Lucas Cordalis gefeiert wurde. Der Sohn der Anfang Juli verstorbenen Schlager-Legende Costa Cordalis war eigens für diesen Tag aus Mallorca nach Hamburg geflogen, hatte sich für die Strecke vom Flughafen zum Kiez ganz unprätentiös in die S-Bahn gesetzt.

„Ich habe unglaublich viele Erinnerungen, viel hier mit meinem Vater erlebt und möchte den Schmerz ein bisschen auf die Schultern von vielen Leuten verteilen“, sagte der sichtlich gerührte Lucas Cordalis.

Auch heftiger Regen kann den Schalgermove nicht stoppen

Auch heftige Regengüsse konnten die Laune der laut Veranstalter 350.000 (laut Polizei 300.000) Fans nicht trüben. Sie tanzten barfuß auf dem Asphalt, ausstaffiert mit Lockenperücken, Blumenkleidern und Schlaghosen. Nach dem Umzug feierten 14.000 Schlager-Enthusiasten in den Partyzelten auf dem Heiligengeistfeld bis 2 Uhr morgens.

Insgesamt blieb die Stimmung friedlich, die Polizei registrierte nur wenige Delikte wie Körperverletzung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt. Nach den ersten Eindrücken ging auch das Konzept zum Schutz genervter Anwohner auf. Im Abstand von sechs Metern standen mobile WC, viele Reinigungsteams waren im Einsatz. Wichtig für Klingner, schließlich hatten 2018 mehrere Bezirkspolitiker dafür plädiert, den Umzug weg vom Kiez zu verlegen. So aber scheint der Schlagermove auch 2020 gesichert. Peter Sebastian will dann einen größeren Rolli-Truck organisieren.