Hamburg. Vier Wochen vor Beginn des neuen Schuljahres sind mehr als 300 Widerspruchsverfahren immer noch nicht entschieden.

In gut vier Wochen beginnt das neue Schuljahr, doch mehr als 300 künftige Erst- und Fünftklässler wissen immer noch nicht, auf welche Schule sie gehen werden. Ihre Eltern sind nicht einverstanden mit der von der Schulbehörde zugewiesenen Schule und haben dagegen Widerspruch eingelegt.

Zum Beispiel Riana: Die Zehnjährige soll laut Schulbehörde die Stadtteilschule Meiendorf besuchen, obwohl die Schule mehr als fünf Kilometer von ihrem Wohnort entfernt liegt. Eine Zusage für ihre Wunschschule – die nur gut drei Kilometer entfernte Stadtteilschule Oldenfelde – hat Riana nicht erhalten. Dagegen hat ihr Vater Detlef Möller Widerspruch eingelegt. „Es ist sehr beunruhigend und frustrierend, noch immer keine Antwort bekommen zu haben. Ein sorgsamer Umgang mit der Zukunft unserer Kinder sieht für mich anders aus“, sagt Möller.

Der Widerspruch stützt sich vor allem darauf, dass andere Kinder, die weiter entfernt von der Stadtteilschule Oldenfelde wohnen, eine Zusage bekommen haben. Die Entfernung vom Wohnort zur Schule ist das entscheidende Kriterium im Verteilungsverfahren. Vorrang haben Kinder, deren Geschwister die gewünschte Schule schon besuchen, sowie förderbedürftige Kinder. Immerhin hat Möller jetzt die Zusage erhalten, dass die Behörde über den Widerspruch vor dem Schulstart entscheiden will.

Drei Wunschschulen sind möglich

Sollte Möller mit dem Ergebnis nicht einverstanden sein, bliebe noch die Möglichkeit, vor dem Verwaltungsgericht zu klagen. Selbst im Eilverfahren würde es noch einmal sechs Wochen bis zu einer Entscheidung dauern. „Aber welcher Vater oder welche Mutter mutet das seinem Kind zu, wenn der Unterricht längst begonnen hat?“, sagt Möller.

Eltern können drei Wunschschulen bei der Anmeldung ihrer Kinder für die erste Klasse der Grundschule oder die fünfte Klasse der weiterführenden Schule angeben. Die „Erfüllungsquote“ des Erstwunsches für die Grundschulen lag in diesem Jahr nach Angaben der Schulbehörde bei rund 95 Prozent. Bei den fünften Klassen der Gymnasien und Stadtteilschulen bei 94 Prozent. Einschließlich des Zweit- und Drittwunsches liegt die Quote sogar bei 98,5 Prozent. „Das ist im Bundesvergleich sehr hoch. Berlin etwa erfüllt nur bei 90 Prozent der Anmeldungen einen der drei Schulwünsche“, sagt ein Sprecher der Schulbehörde.

Zahl der Widersprüche leicht gestiegen

Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist die Tendenz der vergangenen Jahre, dass die Zahl der Widersprüche von Eltern zugenommen hat. Gab es 2011 noch gut ein Prozent der Erstklässler, deren Eltern gegen die Schulzweisung Widerspruch einlegten, so waren es 2018 mit 2,29 Prozent mehr als doppelt so viele. Erstaunlich: Während im vergangenen Jahr 336 Widersprüche registriert wurden, so sank deren Zahl in diesem Jahr erstmals leicht auf 292, obwohl die Gesamtzahl der Erstklässler von 14.666 auf 15.428 gestiegen ist.

Von den 292 Widersprüchen sind 105 noch nicht entschieden. Von den 187 entschiedenen Fällen wies die Behörde 48 Widersprüche zurück, in 16 Fällen setzten sich die Eltern durch. Weitere 123 Fälle haben sich dadurch erledigt, dass sich Behörde und Eltern auf eine andere Schule geeinigt haben, der Widerspruch zurückgezogen wurde, die Familie weggezogen ist oder das Kind im Nachrückverfahren doch einen Platz an der Wunschschule bekommen hat.

Klagefreudigkeit nimmt zu

Bei den weiterführenden Schulen nimmt die Klagefreudigkeit der Eltern dagegen weiter zu. Die Zahl der Widersprüche stieg von 280 (2018) auf 300. Dabei sank die Zahl der Fünftklässler sogar leicht von 14.499 auf 14.358. Bei den weiterführenden Schulen sind zwei Drittel der Widersprüche (207 Fälle) noch nicht entschieden. Von den 93 beendeten Verfahren gingen 28 zugunsten der Behörde aus, in sechs Fällen setzten sich die Eltern durch. Weitere 66 Verfahren wurden abgeschlossen, weil eine Einigung gefunden oder der Widerspruch zurückgezogen wurde. Zurzeit haben Eltern in 23 Fällen bereits Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht. Nur in einem Fall haben die Richter bislang auch entschieden.

„Bei den Grundschulen beobachten wir eine leichte Entspannung. Bei den weiterführenden Schulen ist die Lage zum Teil dramatisch“, sagt Frank Hansen, Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Weil es nicht genug Plätze an vielen Wunschschulen gebe, würden den Kindern Schulen zum Teil weit außerhalb ihres Stadtteils zugewiesen. Die Kanzlei Hansen & Münch vertritt Eltern in mehr als 60 Widerspruchsverfahren. „Bei rund einem Drittel der Fälle kommt es zu einer Einigung, weil die Behörde doch noch eine Schule angeboten hat, die die Eltern akzeptieren“, sagt Hansen.