Hamburg. „Er wollte Menschen verletzen.“ 36-Jähriger wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt – die bisher höchste Strafe.

Am Ende, nach einem langen Prozess, in dem ihn augenscheinlich kaum etwas aus der Ruhe hatte bringen können, wirkte der Angeklagte Jörg R. plötzlich wie vom Donner gerührt. Und der 36-Jährige brauchte einen Augenblick, um sich von seinem Stuhl zu erheben. Denn der Hamburger kommt in Untersuchungshaft, nachdem das Schöffengericht ihn zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hat, die als die bisher höchste im Zusammenhang mit den G-20-Krawallen vom Juli 2017 verhängt wurde: Jörg R. erhielt vier Jahre Haft.

Mit diesem Strafmaß ging am Montag ein Prozess zu Ende, der in mehrerer Hinsicht rekordverdächtig ist. Nicht nur das Strafmaß ist bisher beispiellos. Es ist auch mit 50 Prozesstagen und fast 15 Monaten Verhandlungsdauer der bisher mit Abstand längste G-20-Prozess – und wohl das am längsten dauernde Verfahren vor einem Hamburger Amtsgericht überhaupt.

Und noch etwas ist außergewöhnlich: Es gab mehr als 30 Befangenheitsanträge gegen das Gericht, davon 24 allein gegen Amtsrichter Johann Krieten. Der fand im Urteil deutliche Worte: Bei dem G-20-Gipfel sei die Stadt angesichts der Gewalt, die unter anderem im Schanzenviertel und an der Elbchaussee herrschte, „in eine Art Schockstarre verfallen“, sagte der Richter. Es habe eine „Gewaltorgie sondergleichen gegeben. Damit es keine weiteren Gewaltorgien gibt, müssen klare Ansagen gemacht werden.“

„Wandelndes Fass Nitroglyzerin“

Der Vorsitzende nannte den Angeklagten Jörg R. ein „wandelndes Fass Nitroglyzerin. Er wollte das machen, was er gern macht, nämlich Menschen verletzen“. Deshalb habe der Angeklagte, der bisher 23-mal vorbestraft ist, am 7. Juli 2017 im Bereich der „Roten Flora“ insgesamt sechs leere Flaschen „zielgerichtet und kraftvoll“ auf Polizeibeamte geworfen, um diese zu verletzen. Außerdem habe Jörg R. auch noch andere angestachelt: „Los Leute, macht alle mit!“ Mit dieser Aufforderung sei der Angeklagte „für die Gewaltexzesse mit verantwortlich“ und müsse dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

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Bei dem Urteil von insgesamt vier Jahren nahm allerdings vor allem eine weitere Körperverletzung, die Jörg R. unabhängig von G 20 im März 2017 in einer Kneipe begangen hatte, einen hohen Anteil an der Gesamtstrafe ein. Der 36-Jährige hatte einen für jeden erkennbar behinderten Mann, der seinen Geburtstag in der Bar hatte feiern wollen, provoziert. Dann hatte R. das Opfer mit Faustschlägen und Tritten so massiv traktiert, das dieser unter anderem einen Arm- und einen Nasenbeinbruch davontrug und noch anderthalb Jahre nach der Tat unter dem Geschehen litt. Der Angeklagte habe sich über dieses Tatopfer sichtlich „amüsiert“, kritisierte Krieten. Die Staatsanwaltschaft hatte insgesamt drei Jahre Freiheitsstrafe für den 36-jährigen Angeklagten gefordert.

Kontrovers geführte Verhandlung

Kritiker von Krieten verweisen darauf, dass der Richter zwei der bisher härtesten Urteile im Zusammenhang mit G-20-Verfahren verhängt hat, einmal zwei Jahre und sieben Monate Freiheitsstrafe, einmal dreieinhalb Jahre. Beide Urteile fielen in der Berufungsinstanz niedriger aus. Aber wer dem Amtsrichter unterstellt, er verhänge in Sachen G 20 durchweg harte Strafen, liegt falsch: Auch Bewährungsstrafen im unteren Bereich beziehungsweise Geldstrafen gab es bei ihm für G-20-Taten.

Schon von Prozessbeginn an war deutlich geworden, dass diese Verhandlung sehr kontrovers geführt werden und vermutlich ungewöhnlich lange dauern würde. Denn Amtsrichter Krieten gilt als einer, der klare Kante zeigt. Jemand, der sich durch zahllose Anträge, provokante Bemerkungen oder schwierige Zeugen nicht ermüden lässt, sondern bei dem es fast scheint, als wecke die Konfrontation sportlichen Ehrgeiz. Und Verteidiger Uwe Maeffert, der gemeinsam mit Lino Peters den Angeklagten vertrat, ist für ausführliche – manche sagen langatmige – Monologe und seine Diskussionsfreude bekannt. Einige nennen ihn gewieft, andere auch unbeherrscht. Es war ein Verfahren, in dem Krieten auch schon mal Maeffert das Mikrofon abdrehte, wenn sich dieser trotz Ermahnungen nicht in seinem Redefluss stoppen ließ.

Widersprüche und Beanstandungen

Die Verteidiger hatten schon in den ersten Verhandlungstagen ein wahres Dauerfeuer eröffnet mit Anträgen, Widersprüchen und Beanstandungen. Doch der Richter wies viele der Anträge zurück, was Maeffert ihm als „Ablehnungsmaschinerie“ vorwarf. Auch Maefferts Kollege Peters kritisierte den Vorsitzenden: „Wir sind auf Kneipenniveau gesunken bei Ihnen.“

Bilder vom G20-Gipfel 2017:

Die stärksten Bilder vom G20-Gipfel 2017

Auch wenn es um wichtige Politik gehen sollte: Die Ausschreitungen, die den G20-Gipfel in Hamburg begleitet haben, bestimmten die Bilder im Juli 2017.
Auch wenn es um wichtige Politik gehen sollte: Die Ausschreitungen, die den G20-Gipfel in Hamburg begleitet haben, bestimmten die Bilder im Juli 2017. © dpa | Markus Scholz
In der Nacht zum 8. Juli schickte die Polizei Spezial-Einsatzkräfte, um die verbarrikadierten Bereiche des Schanzenviertels zu stürmen. Randalierer hatten Feuer gelegt, warfen Pflastersteine und plünderten Läden.
In der Nacht zum 8. Juli schickte die Polizei Spezial-Einsatzkräfte, um die verbarrikadierten Bereiche des Schanzenviertels zu stürmen. Randalierer hatten Feuer gelegt, warfen Pflastersteine und plünderten Läden. © dpa | Axel Heimken
Ein starkes Bild vom Tag zuvor: Diese Demonstrantin war auf ein gepanzertes Räumfahrzeug geklettert. Polizisten versuchten, sie mit Pfefferspray wieder herunterzubekommen.
Ein starkes Bild vom Tag zuvor: Diese Demonstrantin war auf ein gepanzertes Räumfahrzeug geklettert. Polizisten versuchten, sie mit Pfefferspray wieder herunterzubekommen. © dpa | Sebastian Willnow
In der Nähe der Reeperbahn stellten sich dieser Demonstrant einem Wasserwerfer entgegen.
In der Nähe der Reeperbahn stellten sich dieser Demonstrant einem Wasserwerfer entgegen. © dpa | Boris Roessler
Maskierungen sind auf Demonstrationen ausdrücklich verboten. Dieser Demonstrantin war das offenbar egal.
Maskierungen sind auf Demonstrationen ausdrücklich verboten. Dieser Demonstrantin war das offenbar egal. © Thomas Lohnes
Und selbst, als der Gipfel vorüber war, endeten die Krawalle nicht. Nachdem die Staats- und Regierungschefs Hamburg verlassen hatten, gab es in der Nacht zum 9. Juli (Sonntag) weiter Ausschreitungen.
Und selbst, als der Gipfel vorüber war, endeten die Krawalle nicht. Nachdem die Staats- und Regierungschefs Hamburg verlassen hatten, gab es in der Nacht zum 9. Juli (Sonntag) weiter Ausschreitungen. © dpa | Daniel Bockwoldt
Sie zogen die Wut vieler Demonstranten auf sich: Bundeskanzlerin Merkel, Gastgeberin dieses G-20-Gipfels, oder der russische Präsident Wladimir Putin. Sieht vielleicht unhöflich aus, war’s aber gar nicht: Hier ist die Begrüßung nur gerade vorbei.
Sie zogen die Wut vieler Demonstranten auf sich: Bundeskanzlerin Merkel, Gastgeberin dieses G-20-Gipfels, oder der russische Präsident Wladimir Putin. Sieht vielleicht unhöflich aus, war’s aber gar nicht: Hier ist die Begrüßung nur gerade vorbei. © dpa | Bernd Von Jutrczenka
Historischer Handschlag: US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Putin trafen in Hamburg zum ersten Mal persönlich aufeinander.
Historischer Handschlag: US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Putin trafen in Hamburg zum ersten Mal persönlich aufeinander. © Handout
Mit Spannung war dieses Treffen erwartet worden. Das Gespräch dauerte deutlich länger als erwartet und endete mit einer vereinbarten Waffenruhe in Syrien.
Mit Spannung war dieses Treffen erwartet worden. Das Gespräch dauerte deutlich länger als erwartet und endete mit einer vereinbarten Waffenruhe in Syrien. © dpa | Evan Vucci
Diese Geste sagt vermutlich nicht das, was viele Trump-Gegner gern hineininterpretieren würden, schließlich ist Angela Merkel – im Gegensatz zum selbsterklärten Nicht-Politiker Trump – Vollprofi.
Diese Geste sagt vermutlich nicht das, was viele Trump-Gegner gern hineininterpretieren würden, schließlich ist Angela Merkel – im Gegensatz zum selbsterklärten Nicht-Politiker Trump – Vollprofi. © dpa | Meek, Tore
Das attestierte der Präsident der Kanzlerin denn auch: Sie habe einen guten Job als Gastgeberin dieses Gipfels gemacht, sagte der 71-Jährige – und das sei nicht einfach gewesen.
Das attestierte der Präsident der Kanzlerin denn auch: Sie habe einen guten Job als Gastgeberin dieses Gipfels gemacht, sagte der 71-Jährige – und das sei nicht einfach gewesen. © dpa | Michael Kappeler
Auch Trumps Tochter Ivanka ist voll der Bewunderung für die deutsche Kanzlerin.
Auch Trumps Tochter Ivanka ist voll der Bewunderung für die deutsche Kanzlerin. © REUTERS | POOL
Mit Frankreich pflegt Kanzlerin Merkel gute Beziehungen, so etwa zum neuen französischen Ministerpräsidenten Emmanuel Macron. Hier sind die beiden im Gespräch mit Donald Trump zu sehen.
Mit Frankreich pflegt Kanzlerin Merkel gute Beziehungen, so etwa zum neuen französischen Ministerpräsidenten Emmanuel Macron. Hier sind die beiden im Gespräch mit Donald Trump zu sehen. © dpa | John Macdougall
Kulturprogramm: Die Macrons und und die Trumps nach dem Konzert in der Elbphilharmonie.  
Kulturprogramm: Die Macrons und und die Trumps nach dem Konzert in der Elbphilharmonie.   © Pool
In Hamburg traf auch die amerikanische First Lady Melania Trump zum ersten Mal auf den russischen Präsidenten Putin.
In Hamburg traf auch die amerikanische First Lady Melania Trump zum ersten Mal auf den russischen Präsidenten Putin. © REUTERS | SPUTNIK
Der Protest gegen den G20-Gipfel war nicht nur gewalttätig: Zehntausende G20-Gegner demonstrierten friedlich – und sehr kreativ, wie bei dieser Gruppe. Hunderte Schauspieler demonstrierten für mehr Menschlichkeit.
Der Protest gegen den G20-Gipfel war nicht nur gewalttätig: Zehntausende G20-Gegner demonstrierten friedlich – und sehr kreativ, wie bei dieser Gruppe. Hunderte Schauspieler demonstrierten für mehr Menschlichkeit. © GettyImages | Sean Gallup
Die Botschaft dieses Demonstranten dürfte klar gewesen sein.
Die Botschaft dieses Demonstranten dürfte klar gewesen sein. © dpa | Georg Wendt
Gewaltfreier Protest: Eine Demonstrantin formte vor Polizisten mit den Händen einen Herz.
Gewaltfreier Protest: Eine Demonstrantin formte vor Polizisten mit den Händen einen Herz. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Doch die Bilder, die an Krisengebiete erinnern, werden bleiben. Demonstranten suchten Schutz vor Wasserwerfern.
Doch die Bilder, die an Krisengebiete erinnern, werden bleiben. Demonstranten suchten Schutz vor Wasserwerfern. © dpa | David Young
Ein Anwohner des Schanzviertels in Hamburg.
Ein Anwohner des Schanzviertels in Hamburg. © Thomas Lohnes
Der Name der Eröffnungskundgebung der Anti-G20 Demonstration war offenbar Programm:
Der Name der Eröffnungskundgebung der Anti-G20 Demonstration war offenbar Programm: "Welcome to Hell" am 6. Juli (Donnerstagabend). Dieser Teilnehmer setzte auf musikalische Deeskalation. © dpa | Markus Scholz
Doch schon in der Nacht zu Freitag gab es im Schanzenviertel auch gewaltsame Ausschreitungen.
Doch schon in der Nacht zu Freitag gab es im Schanzenviertel auch gewaltsame Ausschreitungen. © dpa | Axel Heimken
Polizisten im Nebel der Wasserwerfer.
Polizisten im Nebel der Wasserwerfer. © dpa | David Young
Zusammenstöße zwischen G20-Gegnern und Polizei.
Zusammenstöße zwischen G20-Gegnern und Polizei. © REUTERS | PAWEL KOPCZYNSKI
Zusammenstöße zwischen G20-Gegnern und Polizei.
Zusammenstöße zwischen G20-Gegnern und Polizei. © REUTERS | KAI PFAFFENBACH
Bis Samstag waren schon mehr als 200 Polizisten bei den Ausschreitungen verletzt worden. Wie viele Demonstranten verletzt wurden, wurde zunächst nicht bekannt.
Bis Samstag waren schon mehr als 200 Polizisten bei den Ausschreitungen verletzt worden. Wie viele Demonstranten verletzt wurden, wurde zunächst nicht bekannt. © dpa | Bodo Marks
Neben der Gewalt schockierten auch die Plünderungen mehrerer Geschäfte in Hamburg viele Menschen.
Neben der Gewalt schockierten auch die Plünderungen mehrerer Geschäfte in Hamburg viele Menschen. © REUTERS | PAWEL KOPCZYNSKI
Davon bekamen sie nur am Rande mit. Erinnerungsfoto: die G-20-Teilnehmer mit ihren Partnern.
Davon bekamen sie nur am Rande mit. Erinnerungsfoto: die G-20-Teilnehmer mit ihren Partnern. © dpa | Michael Kappeler
Nach dem Konzert aßen die Gipfel-Gäste gemeinsam in der Elbphilharmonie.
Nach dem Konzert aßen die Gipfel-Gäste gemeinsam in der Elbphilharmonie. © REUTERS | POOL
Die erste Arbeitssitzung aller G20-Mitglieder, geleitet von Kanzlerin Merkel. Direkt neben ihr saßen Chinas Präsident Xi Jingping (links) und einen Platz weiter US-Präsident Trump.
Die erste Arbeitssitzung aller G20-Mitglieder, geleitet von Kanzlerin Merkel. Direkt neben ihr saßen Chinas Präsident Xi Jingping (links) und einen Platz weiter US-Präsident Trump. © dpa | John Macdougall
Während die Staats- und Regierungschefs mit ihren Mitarbeitern das Arbeitsprogramm absolvierten, gab es für die Ehefrauen und -männer der Politiker und Politikerinnen Programm – etwa den Besuch des Hamburger Rathauses.
Während die Staats- und Regierungschefs mit ihren Mitarbeitern das Arbeitsprogramm absolvierten, gab es für die Ehefrauen und -männer der Politiker und Politikerinnen Programm – etwa den Besuch des Hamburger Rathauses. © dpa | Jens Büttner
„Engelchen flieg“: Vor den Ausschreitungen bezauberte viele dieses Bild von der Ankunft Justin Trudeaus. Kanadas Premier brachte nicht nur seine Frau Sophie, sondern auch den jüngsten Sohn Hadrien mit nach Hamburg.
„Engelchen flieg“: Vor den Ausschreitungen bezauberte viele dieses Bild von der Ankunft Justin Trudeaus. Kanadas Premier brachte nicht nur seine Frau Sophie, sondern auch den jüngsten Sohn Hadrien mit nach Hamburg. © Morris MacMatzen
Aufräumen nach den Krawallen.
Aufräumen nach den Krawallen. © dpa | Christian Charisius
Was bleibt vom G-20-Gipfel in Hamburg?
Was bleibt vom G-20-Gipfel in Hamburg? © dpa | Kay Nietfeld
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Krieten konterte, die Verteidiger hätten ihn als „Diva“, „Kobold“ und „Sphinx“ bezeichnet. Es sei anstrengend und nur schwer erträglich gewesen,
Maefferts langatmigen Ausführungen zu seinen früheren Erfolgen und über seine Bücher zuzuhören. Und dass der Anwalt einen Schöffen angeschrien habe, sei schlicht „ungehörig“.
Maeffert sagte auf die Frage, ob er Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen werde: „Auf jeden Fall!“