Hamburg. Zwei Forscherinnen der Universität Hamburg sprechen über die Verschmutzung durch Plastik und Fischernetze. Und was die Folgen sind.

Plastik überall – Flaschen, Kanister, Tüten, Zahnbürsten. Die Liste des Drecks in den Meeren ließe sich noch lange fortsetzen. Was muss jetzt passieren? Was kann der Gesetzgeber tun, was jeder Einzelne? Was müssen wir von der Industrie verlangen? Und: Lassen sich Ozeane reinigen? Über diese Fragen sprechen Dr. Elke Fischer und Dr. Helena Herr.

Wenn wir barfuß am Strand laufen, haben wir neben Sandkörnern auch Mikroplastik unter den Füßen. Wir sehen die Partikel nicht, und dagegen wehren können wir uns auch nicht. Was wissen wir darüber?

Dr. Elke Fischer In Deutschland ist die Belastung mit Mikroplastik im Sand noch gar nicht so groß. Wir haben auf Rügen und an der mecklenburgischen Küste 20 bis 40 Partikel pro Kilo Sand gemessen. Aber es ist eine riesige Herausforderung, den Sand von Plastik zu trennen, auch weil organische Partikel dabei sind, kleinste Algenteilchen, Holzstückchen, Blätter. Diese kleinen Partikel verhalten sich physikalisch ähnlich wie Plastik. Im Labor müssen wir also erst die Organik zerstören – mit Oxidationsmitteln wie Wasserstoffperoxid. Dann versuchen wir, Mikroplastik vom Sand zu trennen, indem wir das Material in eine Lösung geben, die eine höhere Dichte hat als Wasser. Dann schwimmt das meiste Plastik obenauf. So haben wir festgestellt, dass beispielsweise der mediterrane Raum stark belastet ist.

Wie entstehen denn die großen regionalen Unterschiede – gehen wir Deutschen sorgfältiger mit Plastikmüll um?

Fischer Die Deutschen sind nicht besser als die Franzosen, Griechen oder Italiener. Die Skandinavier setzen wesentlich weniger Plastik frei als wir. Aber deren Strände sind stärker belastet – mit Mi­kroplastik, aber auch mit großen Müllteilen. Das hängt mit den Meeresströmungen zusammen. Was bei uns produziert wird und durch Flüsse in die Ostsee eingebracht wird, landet vor allem an den Küsten von Schweden und Finnland. Das ist ein Dilemma – und wirklich unfair.

Wo kommt denn das Mikroplastik her, das im Wasser landet?

Dr. Helena Herr Es gibt primäres Mikroplastik und sekundäres. Es wird direkt produziert, zum Beispiel für die Kosmetik. Das sekundäre entsteht durch Zerkleinerung von Großplastik. Makroplastik, das ins Meer gelangt und dann durch Sonneneinwirkung, Wellenschlag oder Wind zu immer kleineren Partikeln wird.

Fischer Das Fraunhofer Institut hat berechnet, woher Mikroplastik stammt. An allererster Position steht mit weitem Abstand pro Kopf und Jahr in Deutschland der Reifenabrieb.

Der Reifenabrieb gelangt mit dem Regenwasser in die Kanalisation oder die Flüsse, mit der Strömung der Flüsse ins Meer?

Fischer An unseren Autobahnen ist es sehr gut gemacht: Dort gibt es Vorklärbecken, in denen der Abrieb und die Asphaltanhaftungen landen. Der Dreck wird getrennt entsorgt. Aber auf Landstraßen oder Stadtstraßen gibt es das nicht. Auf Platz 1 der Problemverursacher steht dieser Abrieb, Mikroplastik in Kosmetika kommt erst auf Position 17.

Was soll ich daraus ableiten: Können wir Mikroplastik in Kosmetika als Problem vernachlässigen? Macht es überhaupt Sinn, beim Kauf von Kosmetika darauf zu achten, dass sie plastikfrei sind?

Fischer Die Untersuchung mag ein wenig enttäuschen. Aber hier können wir als Verbraucher wenigstens etwas tun. Wenn wir mit Mikroplastik belastete Kosmetika nicht mehr kaufen, wird per­spektivisch die Industrie darauf reagieren. Hier können wir sehr gut angreifen, bei Reifenabrieb eher nicht. Weniger zu fahren würde helfen. Aber vielleicht reagiert ja auch die Reifenindustrie. Die Industrie ist grundsätzlich interessiert, die Situation zu verbessern.

Herr Eine Kollegin hat Rheinwasser untersucht, Mikroplastik entdeckt und analysiert. Ein ganz bestimmtes Partikel hat sie an verschiedenen Orten auch in hoher Frequenz entdeckt. Das konnte sie auf einen Hersteller zurückführen und so eine Lampenschirmfabrik als Verursacher ermitteln. Die hat zur Streuung des Lichts die Lampenschirme mit den Mi­kroplastikpartikeln beschichtet. Aber es war dem Unternehmen nicht bewusst, dass die Partikel über die Produktion in den Rhein gelangt sind – sie waren zu fein, um rausgefiltert zu werden. Die Firma hat dann umgehend reagiert.

Das heißt doch, man kann etwas erreichen. Warum wird denn Mikroplastik überhaupt kosmetischen Artikeln beigemengt?

Fischer Zum einen als Peeling-Effekt. Zudem machen flüssige Mikroplastikbeimengungen das Produkt schön geschmeidig oder vielleicht auch nur voluminöser. Das fühlt sich dann – zum Beispiel im Duschgel – gut an auf der Haut. Und ist viel günstiger als früher, als mineralische Partikel beigemischt wurden.

Wie gefährlich ist Mikroplastik für den Menschen, wenn wir es beispielsweise über die Nahrungskette in uns aufnehmen?

Herr Dass Mikroplastik durch die ganze Nahrungskette durch aufgenommen wird, ist bekannt. Aber welche Auswirkungen das hat, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Fischer Wenn wir Fische essen, nehmen wir normalerweise kein Mikroplastik auf, da das Mikroplastik noch viel zu groß ist, um ins Gewebe einzudringen. Wie es sich bei Nanoplastik verhält, müsste noch untersucht werden. Im Magen- und Darmtrakt von Fischen finden wir Mikroplastik, aber den essen wir normalweise ja nicht.

Sichtbar, so ganz anders als Mikroplastik, sind Plastikteile, die im Meer schwimmen. Acht Millionen Tonnen könnten es sein – jährlich. Zahnbürsten, Kanister, Tüten, Feuerzeuge, Flaschen. Wo kommt all der Dreck im Meer her?

Fischer Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass circa 80 Prozent vom Land stammen und über die Flüsse eingeleitet werden. 20 Prozent kommen aus der Fischerei und der Schifffahrt.

Offensichtlich verklappen Kapitäne ihren Dreck, statt ihn im nächsten Hafen zu entsorgen. Warum ist das nicht weltweit längst verboten?

Herr Es ist bereits verboten.

Aber ohne Kontrollen und Sanktionen bringen Verbote nichts.

Herr Die IMO (Internationale Maritime Organization, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen) hat das verboten. Ost- und Nordsee gelten als besonders schützenswerte Gebiete. Aber die Hochsee ist ein Raum, in dem Kontrollen schwierig sind.

Was halten Sie von dem Vorschlag, Kapitänen, die keinen Nachweis über ordnungs­gemäß entsorgten Müll vorlegen, das Patent zu entziehen, wie extrem unzuverlässigen Autofahrern den Führerschein?

Fischer Das ist nicht naiv gedacht, aber idealistisch. Ich glaube nicht, dass man das gut kontrollieren kann. Ein großes Problem sind Netze von Hochsee­fischern, die verloren gehen – oder gekappt werden, wenn sie älter sind und nichts mehr taugen. Daran verfangen sich Plastikteile und Tiere.

Herr Die Entsorgung dieser Materialien ist teuer. Deshalb fällt es einigen wohl leichter, sie über Bord zu geben. Aber Sie können die Hochsee nicht kontrollieren, sie ist ein staatenfreier Raum.

Gibt es Möglichkeiten, den Müll mit Spezialschiffen aus dem Meer zu fischen?

Herr Wir können die riesigen Ozeane nicht gänzlich von Müll befreien. Strände zu reinigen ist gut und macht sie schöner. Viel wichtiger ist aber, weitere Verschmutzungen zu verhindern.

Aber wie soll das denn umgesetzt werden? Mit schönen Worten und guten Argumenten allein sicher nicht.

Herr Das Wichtigste ist Aufklärung. Unsere Gesellschaft ist viel weiter aufgeklärt als viele andere. Und trotzdem ist die Masse an Plastik, die in den Handel gelangt, sehr groß. Plastik ist langlebig. Weniger Plastik ist besser für uns alle. Jeder von uns kann sich selbst hinterfragen, wie viel Plastik man verwendet. Neben der Aufklärung sind Regelungen wichtig. Kenia hat Plastiktüten unter Strafe verboten, schon bei der Einreise am Flughafen drohen hohe Strafen. Das Land ist viel sauberer geworden.

Herr Wenn wir viele sind, die den eigenen Plastikverbrauch senken, wird das Auswirkungen haben auf die Herstellung auch von Alternativen.

An den Verstand oder den Idealismus der Verbraucher zu appellieren ist sicher notwendig. Aber das reicht doch nicht. Die EU verbietet Strohhalme, Plastikgeschirr oder -besteck – warum nicht generell auch Plastiktüten. 20 Cent Kosten sind doch minimal.

Fischer Wir müssen, was Plastiktüten betrifft, nachziehen. Wir rühmen unser Umweltbewusstsein gern, aber dass es noch Plastiktüten gibt ist beschämend.

Herr Ich verspüre eine gewisse Resignation. Die Politik guckt oft zu, wenn ökonomische Interessen Umweltinteressen entgegenstehen.

Warum verpflichtet der Gesetzgeber Indus­trie und Handel nicht dazu, Plastikverpackung zurücknehmen zu müssen? Oder besteuert Plastikverpackungen so spürbar, dass auch die Industrie Interesse hat, Alternativen zum Plastik oder zumindest schnell abbaubares Material zu entwickeln?

Fischer Es gibt schon Ersatzstoffe – aber Bioplastik ist nicht leichter abbaubar. Eine Plastiksteuer könnte funktionieren.

Herr Nach dem Vorbild des Pfandflaschensystems? Ich bin skeptisch. Durch das Pfandflaschensystem haben wir noch keine einzige Plastikflasche eingespart.

Fischer Plastik ist leicht, gut zu tragen, günstig. An sich ist Plastik ein fantastisches Material. Es dürften sich nur wenige Wissenschaftler in der Plastikforschung finden, die sagen, Plastik müsse komplett verbannt werden. Aber wir müssen den Umgang damit hinterfragen.

Herr Ich komme aus der Wal-Forschung, und in meiner Community ist Plastik verdammt, auch wenn man nicht komplett an ihm vorbeikommt. Wir Europäer produzieren Jahr für Jahr etwa 26 Millionen Tonnen Plastikmüll. Aber nur 30 Prozent werden wieder aufgearbeitet. Gigantische Mengen werden exportiert.

Müsste man nicht Müll- und Plastikmüllexporte in Länder der Dritten Welt komplett verbieten, wenn man nicht will, dass er dort einfach nur weggekippt wird?

Herr Ich wäre sofort dafür. Wir können sofort anfangen, das zu unterstützen.

Fischer Es ist unser Müll und unser Problem. Wir müssen uns hier darum kümmern. Die Verantwortung haben wir. In vielen Ländern Südostasiens ist der Fluss die Müllhalde. Diese Länder haben anders als wir keine gut organisierte Abfallwirtschaft, keine Kläranlagen und kein Abwassermanagement.

Herr Wir brauchen die vorhin angesprochene Rücknahmepflicht von Plastikverpackungen.

Nach dem Absturz des Linienflugs MH370 ist unbeabsichtigt bei der Suche nach Wrackteilen die Meeresverschmutzung deutlich geworden. Vermeintliche Trümmerteile stellten sich als Plastik-Ansammlungen heraus.

Herr Ich habe jahrelang Meeressäuger in der Nord- und Ostsee vom Flugzeug aus gezählt. Als „Beiprodukt“ erfassen wir Müll. Wir haben große Flächen zusammengetriebenen Abfalls entdeckt. Das sieht aus wie ein Müllteppich. Wir haben mit den Müllzählungen nur angefangen, damit unsere Schweinswal-Beobachter nicht ermüden, wenn sie eine halbe Stunde aufs Wasser starren und nichts sehen. So hat man alle paar Minuten eine Sichtung: Müll. Dadurch haben wir flächendeckende Kartierungen erstellt, wie sich treibender Müll in Nord- und Ostsee verteilt.

Ganze Tierarten sind vom Aussterben bedroht, weil sie im Irrglauben, es sei Nahrung, Plastik fressen.

Herr 2016 sind 30 Pottwale in der Nordsee gestrandet, die sich verirrt hatten. Wir haben 16 seziert. Europaweit wurde 22 der Magen-Darm-Trakt geöffnet. In neun von ihnen haben wir Müll gefunden, in einem haben wir sogar 24 Kilo Müll im Magen entdeckt. Der hatte ein 14 Meter langes Fischernetz gefressen. Eimer haben wir gefunden, Fischereihaken, Motorteile, eine Kaffeekapsel. Dass die Wale das gefressen haben, ist nicht zufällig, eher haben sie es mit Nahrung verwechselt. Seevögel haben ein ähnliches Problem. Sie fischen Plastik von der Oberfläche ab, fressen es, bauen damit Nester. Treibende Fischernetze stellen ein weiteres Problem dar: Meeressäuger, Vögel oder Schildkröten verheddern sich darin und können ertrinken.

Mir war nicht bewusst, welches Problem die Fischerei darstellt.

Herr Diese Geisternetze sind für die Meeresfauna noch fast das größte Pro­blem, weil sie ewig lange halten, im Meer treiben und ihren Zweck, Tiere zu fangen, weiterverfolgen.

Fischer Den Müll, den Sie an der Meeresoberfläche sehen, ist die kleinere Menge. Etwa 70 Prozent sacken auf den Meeresboden ab. Das Thema Plastik ist sehr präsent zurzeit. Das ist für uns Wissenschaftler Fluch und Segen. Wir haben viel Aufmerksamkeit. Wir sind noch nicht so weit, dass wir sehr viele belegbare Daten oder Prozesse schildern könnten. Ich hoffe sehr, dass die Öffentlichkeit sich nicht beginnt zu langweilen. Das Thema wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen.

Die Forscherinnen

Dr. Elke Fischer hat an der Universität Göttingen Geografie mit Schwerpunkt Landschaftsökologie studiert. Sie arbeitet im Institut für Geografie des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Uni Hamburg. Fischer leitet dort das Labor. Sie hat unter anderem das „Vorkommen von Mikroplastik in marinen Arten entlang der schleswig-holsteinischen Wattenmeerküste“ untersucht. Zu ihren Schwerpunkten gehören „Landschaftsökologische Analyse und Stoffbilanzierung“ sowie „Mikroplastik in limnischen und marinen Ökosystemen“.

Dr. Helena Herr hat über das „Vorkommen von Schweinswalen in Nord- und Ostsee – im Konflikt mit Schifffahrt und Fischerei?“ promoviert. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität am Centrum für Naturkunde. Zu den Forschungsschwerpunkten gehören „Populationserfassungen von Meeressäugern“ und „Ökologie und Verbreitung von Walen“. Herr ist Mitglied des Wissenschaftsausschusses der Internationalen Walfangkommission.