Hamburg. Sandra und Vater Peter-Michael Reichel, die neuen Organisatoren des Tennis-Turniers, sprechen über Ziele und Visionen.

In ihrem Büro im Tennisstadion am Rothenbaum erleben und vor allem hören Sandra und Peter-Michael Reichel in diesen Tagen die Beachvolleyball-WM hautnah mit. Nur zwei Wochen nach dem Finale an diesem Sonntag beginnt mit den „Hamburg European Open“ das nächste Highlight für die Sportfans der Hansestadt. Es ist die Premiere für die Nachfolger des bisherigen Organisators Michael Stich. Passend zum Neustart bringen das Abendblatt und das „Tennis Magazin“ in Kooperation ein 108-seitiges Heft „Mythos Rothenbaum“ auf den Markt (siehe unten).

Frau Reichel, Herr Reichel, mit welchem Gefühl verfolgen Sie die Beachvolleyball-Weltmeisterschaft?

Sandra Reichel Einfach toll, wie der Sport in Hamburg angenommen wird und wie groß die Begeisterungsfähigkeit der Menschen ist. Natürlich hoffen wir, dass wir einige der Zuschauer auch für unser Turnier gewinnen können.

Beim Beachvolleyball greift weiter das Prinzip des kostenlosen Zugangs auf die Anlage. Auch beim Tennis war der Zugang zur Anlage in den vergangenen Jahren frei. Sie haben sich dagegen entschieden. Warum?

Sandra Reichel Das ist natürlich umstritten. Aber ich glaube, um dem Turnier die Wertigkeit zu geben, ist es wichtig, diesen Schritt zu gehen. Es gibt kein 500er-Turnier in Europa, bei dem man nicht Eintritt zahlt. Vor allem sehe ich auf dem M1- und M2-Court tolles Tennis. Man wertet die Sportler auf, und man wertet das Turnier auf.

Peter-Michael Reichel Wir sind ja kein Gasthausbetrieb, wo Leute hinkommen, um ein Bier zu trinken im Garten und dann vielleicht ein bisschen zuschauen. Das ist nicht der Sinn des Turniers, sondern die Zuschauer sollen zu einem Tennisturnier gehen.

Sandra Reichel Und es muss rundherum das Programm stimmen. Wir haben eine Bühne mit täglichen Talks. Das Catering-Angebot wird verbessert. Wir planen einen Mini-Center-Court für Kids. Einen großen Spielplatz für Kinder werden wir extra bauen, damit es ein Angebot für die ganze Familie gibt.

Was hat Sie an Hamburg gereizt?

Peter-Michael Reichel Die Tradition des Turniers, das ist eines der ältesten der Welt, das war eine einmalige Chance für unser kleines Familienunternehmen, das in diesem Business seit 30 Jahren arbeitet. Diese berühmte Veranstaltung leiten zu dürfen, ist eine großartige Geschichte, eine hohe Motivation. Wir hoffen, dass wir auch liefern können.

Was versprechen Sie sich von der Premiere?

Sandra Reichel Wir wünschen uns, dass die Hamburger bei diesem Neustart zum Turnier kommen und uns unterstützen bei dieser Herausforderung. Wie ich es einschätzen kann, sind die Hamburger sehr treu und werden für einen vollen Center Court sorgen. Natürlich wissen wir, dass wir uns im ersten Jahr beweisen müssen. Das spüren wir auch. Man wartet ab: Was machen die jetzt neu, was wird anders? Der wichtigste Schritt ist allerdings schon getan mit dem geplanten Stadionumbau, vor allem das Dach war ein großer Kritikpunkt unter den Spielern und bei der ATP. Hier ist die Aufbruchstimmung greifbar. 2020 wird sich die Anlage dann insgesamt in einem noch frischeren Look präsentieren. Das ist auch unser Ziel: Wir wollen jünger, innovativer, moderner werden.

Peter-Michael Reichel Jeder, der über das Turnier liest oder es besucht, sollte spüren: Hier gibt es einen Neustart. Jeder sollte sich freuen, dass Bewegung in das Ganze gekommen ist ...

Sandra Reichel ... und dem Turnier eine Chance geben. Klar ist auch, dass man nicht alles von heute auf morgen ändern kann, außerdem gibt es auch Dinge, die gut gelaufen sind. Und wir werden auch viel lernen.

Peter-Michael Reichel Meine Tochter versucht mich ständig zu bremsen mit allen Aussagen, was wir wollen, weil sie Angst hat, dass die Erwartungshaltung für 2019 so groß wird, dass wir sie nicht erfüllen können. Diesen Zwiespalt haben wir in der Diskussion ständig. Ich sage aber: Wir müssen es neu verkaufen, neue Partner, neue Zuschauer, neue Medien gewinnen, das können wir nicht, indem wir sagen: Es wird genauso wie im Vorjahr, aber wir malen es neu an. Der Inhalt muss besser werden, das ist vor allem das Spielerfeld. Wir können eines der stärksten Teilnehmerfelder der vergangenen zehn Jahre präsentieren. Aber auch der Look spielt eine große Rolle. Wenn der Zuschauer das Stadion betritt, soll er das Gefühl haben: Oh, das ist schön ...

Wer von Ihnen hatte die Idee, beim Rothenbaum-Turnier einzusteigen?

Sandra Reichel Mein Vater, der Visionär. Ich habe zu ihm gesagt: Das kriegen wir nie, das lohnt sich nicht, überhaupt ein Angebot zu schreiben.

Und wie haben Sie dann Ihre Tochter überzeugt, doch einen Brief aufzusetzen?

Peter-Michael Reichel Ich habe ihr gesagt: Man hätte nicht auch einen österreichischen Veranstalter eingeladen, wenn man nicht ernsthaft an ihn denkt. Und ich war der Meinung, dass wir ein gutes Konzept liefern können. Wir wissen, wie ein Verband denkt. Dass wir die Mitglieder des Verbandes, den Vorstand ins Boot holen und die sagen: Aha, die denken auch an uns. Die gehen nicht an uns vorbei.

Sandra Reichel Man darf nicht vergessen, dem DTB gehört das Turnier, der ist der Eigentümer, den sollte man auch entsprechend gut behandeln. Es geht ja um ein gemeinsames Projekt für Tennis in Deutschland. Der DTB hat 1,4 Millionen Mitglieder …

Peter-Michael Reichel ... der größte Verband der Welt.

andra ReichelS Genau, das ist solch ein Potenzial, was man nicht ausgeschöpft hat, und wirklich zu schauen, dass ganz Tennis-Deutschland sich in Hamburg trifft, das ist eigentlich ein Ziel, und das schafft man auch nur, wenn man zusammenarbeitet, mit den Verbänden, mit dem DTB. Das ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig. Das ist etwas, was wir können und auch wollen.

Peter-Michael Reichel Wir beginnen mit kleinen Schritten, bevor wir 2020 dann hoffentlich Großes machen.

Wie kompliziert waren die Gespräche mit den vielen Parteien, der Stadt, dem DTB, dem Club an der Alster?

Sandra Reichel Der Schlüssel war für mich, dass es gelungen ist, im v ergangenen Oktober alle an einen Tisch zu bringen. Nur gemeinsam konnte die Neugestaltung der Anlage gelingen. Ich muss schon sagen, dass Innensenator Andy Grote sehr viel zu diesem Prozess beigetragen hat. Und natürlich war auch die Hilfe von Alexander Otto (spendet acht Millionen Euro, die Red.) extrem wichtig. Jeder hat sofort gewusst: So funktioniert es. Ich weiß nicht, ob wir sonst hier sitzen würden.

Es gab immer Diskussionen über den Termin, den Bodenbelag. Wie ist die künftige Ausrichtung?

Peter-Michael Reichel Es gab in diesem Jahr keine Chance, am Termin etwas zu verändern. Das gilt auch für 2020 mit den Olympischen Spielen im August in Tokio. Wir haben glücklicherweise mit Dominic Thiem, von einem der Top-fünf-Spieler der Welt, eine Zusage für 2019 und 2020 bekommen. Er wird nicht nach Tokio fahren und dort auf Hard Court, sondern auf Sand in Europa spielen, auch im kommenden Jahr. Das heißt, wir können rechtzeitig mit ihm werben, was wichtig ist. Wie es dann 2021 aussieht, ja, das ist die Frage. Theoretisch könnte man irgendeinen Termin suchen im Frühjahr. Da muss man wirklich aufs Wetter aufpassen. In Hamburg ist ja alles möglich in der Jahreszeit, vom Schneefall bis zu 30 Grad.

Aber ist nicht ein Terminwechsel zwangsläufig, wenn Sie die großen Spieler nach Hamburg holen wollen?

Peter-Michael Reichel Aktuell käme nur die Barcelona-Woche infrage (Ende April­, die Red.). Der Mai ist mit Madrid und Rom besetzt. Gegen München können wir auch nicht antreten. In der Barcelona-Woche spielen die Großen nicht, kein Federer, kein Djokovic. Nadal spielt, weil es ein Heimturnier in Barcelona ist. Es ist die Frage, ob das attraktiver als der Juli-Termin ist, wo die großen Spieler nach Wimbledon in den Urlaub fahren.

Wie sieht es mit dem Bodenbelag aus? Man könnte auf Hartplatz spielen.

Sandra Reichel Auf Hard Court umzustellen ist schwierig. Da braucht man zuerst mal das Einverständnis des hier ansässigen Club an der Alster, vier bis fünf Courts in Hartplätze umzubauen. Temporäre Courts zu errichten, ist auch nicht einfach und nicht gerade preiswert.

Peter-Michael Reichel Keiner hat uns ein garantiertes Angebot unterbreitet …

Sandra Reichel … weil niemand versprechen kann, dass der Boden wegen des Untergrunds nicht aufquillt.

Was sagt die ATP?

Peter-Michael Reichel Die können wegen der bestehenden US-Turniere Nein sagen. Die Amerikaner wollen eigentlich nicht, dass im Juli in Europa auf Hard Court gespielt wird.

Braucht es den absoluten Topspieler für ein erfolgreiches Turnier in Deutschland? Kann Alexander Zverev diese Rolle ausüben, oder gibt es auch einen anderen Weg?

Peter-Michael Reichel Es wäre toll, wenn Zverev wieder in Hamburg aufschlagen würde. Wir bemühen uns auch um ihn. Er will ja grundsätzlich in Hamburg spielen. Das hat er uns ausdrücklich gesagt. Es besteht derzeit aber keine realistische Aussicht darauf, dass er diesmal am Rothenbaum antritt.

Sandra Reichel Es ist immer wichtig, die Nummer eins am Start zu haben, das ist unbestritten, aber man muss sich auch davon lösen, dass man es an einzelnen Spielern aufhängt. Unser Ziel ist es, das Turnier hochwertig zu gestalten. Wir investieren in die Infrastruktur. Wir fragen uns: Was bieten wir den Besuchern sonst noch an? Wie kann man das Turnier mit Zusatzevents aufwerten? Wir müssen ein bisschen weg davon, dass nur die Besten spielen müssen. Wir möchten versuchen, die Marke wieder so stark zu machen, dass man nicht von einzelnen Spielern abhängig ist.

Peter-Michael Reichel Wir haben keinen Hauptsponsor. Er fehlt in Hamburg seit ewigen Zeiten, warum weiß ich nicht. So einen Partner brauchen wir für mehrere Jahre. Er würde das Budget entsprechend unterstützen, damit wir auch mehr investieren können.

Was erschwert die Sponsorensuche? Haben Sie damit zu kämpfen, dass mögliche Geldgeber Tennis für nicht mehr sexy halten?

Sandra Reichel Wenn man weltweit unterwegs ist, hat man nicht das Gefühl, dass es dem Tennis schlecht geht, ganz im Gegenteil. Ich frage mich, warum wird es gerade in Hamburg so runtergeschrieben oder runtergeredet? Da hast du das traditionsreichste Turnier Deutschlands. Warum hat das Turnier nicht das Standing, das es verdient?

Peter-Michael Reichel Es war in den vergangenen Jahren einfach eine Depression da. Das liegt gar nicht mal an den Veranstaltern, sondern daran, dass früher sieben, acht oder neun der besten Spieler der Welt in Hamburg aufschlugen. Nach dem Downgrading waren es vielleicht zwei, drei oder vier der ersten 20. Es gibt jetzt eine Chance mit der Neuaufstellung des Turniers, die Vergangenheit zu bewältigen, nach vorne zu schauen und zu versuchen, wieder ein neues Publikum anzusprechen.

Sandra Reichel Man darf nicht vergessen, in wie vielen Ländern dieses Turnier präsent ist und im TV übertragen wird. Es gibt 5300 Fernsehstunden in 190 Märkten zu sehen. Dazu kommt viel Social Media.

Peter-Michael Reichel Diese Veranstaltung hat eine weltweite Präsenz. Was gibt es sonst in Hamburg, was weltweit präsent ist? Da gibt es nicht so viele Möglichkeiten. Wir haben schon mit vielen gesprochen, mit der Stadt, mit den Senatoren, mit dem Tourismus. Es ist eine Informationskampagne notwendig, damit visualisiert wird, was man so unterschätzt hat.

Wer überträgt in Deutschland?

Peter-Michael Reichel Uns ist es gelungen, dass der NDR zurückkommt und das Finale übertragen wird. Ab Mittwoch gibt es zudem zwei Spiele im Internet unter sportschau.de und ndr.de.

Wie sieht es mit dem geplanten Damenturnier in Hamburg aus?

Peter-Michael Reichel Natürlich ist das beste Tennisturnier, das es auf der Welt gibt, ein kombiniertes Damen- und Herrenturnier. Dazu brauchst du aber das Budget für beide Turniere, und dann musst du schauen, dass du beides spielen darfst. Die Herrentennisorganisation ATP muss dafür die Freigabe erteilen.

Ist die Anlage groß genug?

Sandra Reichel Ja. Es werden beim Stadionumbau auch Garderoben für Damen gebaut.

Peter-Michael Reichel Wir bauen schon in diese Richtung, dass Damen und Herren spielen können. Wir werden versuchen, im nächsten Jahr die Damen mit reinzuholen. Die Stadt hat immer wieder gesagt, dass sie einen Neustart oder eine neue Veranstaltung unterstützen würde.

Und der Club an der Alster wäre mit einer Doppel-Veranstaltung einverstanden?

Peter-Michael Reichel Der Club hat einen Vertrag mit dem Deutschen Tennis Bund, ein Damen- und Herrenturnier, der Daviscup und der Fed Cup dürfen gespielt werden. Wenn wir in Absprache mit der ATP Damentennis dazunehmen dürften, würde ich versuchen, dass wir am Sonntag anfangen, um einen zweiten Sonntag zu vermarkten.