Raus in Wimbledon, Streit mit Ex-Manager: Der Hamburger Tennisstar erlebt erstmals eine schwere Krise. Er muss sie lösen.
Bevor in Wimbledon, beim berühmtesten Tennisturnier der Welt, der Spielbetrieb startet, erhalten die 530 akkreditierten Medienvertreter die Möglichkeit, die Stars der Szene zu sprechen. 14 der weltbesten Damen und Herren wurden also am vergangenen Wochenende nacheinander im großen Medienraum präsentiert. Angelique Kerber, die Titelverteidigerin aus Kiel, und Serena Williams, ihre Finalgegnerin von 2018, waren dabei, Roger Federer, Novak Djokovic und Rafael Nadal ebenso. Sie alle beantworteten mehr oder minder motiviert die ihnen gestellten Fragen. Am Ende des Interviewmarathons waren sich die deutschen Reporter einig: Gäbe es einen Preis für den lustlosesten Auftritt, dann hätte ihn Alexander Zverev verdient.
Umso größer der Kontrast, der sich zwei Tage später bot, nachdem der amtierende Weltmeister aus Hamburg sein Erstrunden-Aus gegen den Tschechen Jiri Vesely erklären musste. Da saß plötzlich ein Mensch auf dem Podium, der Emotionen zeigte, der verletzt und verletzlich wirkte, der den Tränen nah schien, als er vom Rechtsstreit mit seinem Manager Patricio Apey und dessen Auswirkungen auf seine sportliche Leistungsfähigkeit berichtete. In jenem Moment, in dem der Jungstar seine Sorgen teilte wie ein normaler 22-Jähriger, der die Last der Welt auf seinen Schultern spürt und darunter zusammenzubrechen droht, konnte man kaum anders, als Mitgefühl zu empfinden.
Zverev ist nicht schuldlos an seiner aktuellen Situation
Mitleid, werden manche sagen, ist unangebracht für einen wie Zverev, der gesund ist, eine Familie besitzt, die ihn auffängt, und bereits 17,2 Millionen Dollar Preisgeld verdient hat in seinen bislang fünf Jahren auf der Profitour. Und dass er nicht schuldlos ist an seiner aktuellen Situation, steht ebenfalls außer Frage. Die Trennung von seinem Manager hat Zverev selbst initiiert. Die genauen Gründe für den Konflikt liegen, da das Verfahren läuft, im Dunkeln. Zu vermuten ist, dass es um viel Geld geht und unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie dieses in Zukunft aufzuteilen wäre.
Dennoch gehört zum Gesamtbild auch der Fakt, dass Alexander Zverev zum ersten Mal in seinem Leben mit der harten Realität konfrontiert wird. Als zweiter Sohn ambitionierter Tenniseltern, deren erster Sprössling Mischa (31) selbst erfolgreich als Profi aktiv ist, war er groß geworden in der Blase des Profisports. 2012 startete Patricio Apey sein Projekt, aus dem Supertalent eine globale Marke zu schmieden. Alexander Zverev, der durchaus viele andere Interessen hat, musste sich um nichts anderes kümmern, als erfolgreich Tennis zu spielen.
Zverev verfängt sich im Wirrwarr der Anweisungen
Das tat er bis Ende 2018. Dann kam die Trennung von Apey, es folgte ein Kompetenzstreit in seinem Trainerteam. Vater Alexander senior, der über viele Jahre die Hauptarbeit geleistet hatte, versteht sich nicht mit dem vom Sohn engagierten Honorarcoach Ivan Lendl. Beide wollen die Richtung vorgeben, ohne aber am selben Strang zu ziehen. Wer sich im Wirrwarr der Anweisungen verfängt, ist Zverev.
Nun steht er hilflos vor den Trümmern, die er selbst geschlagen hat und die kein anderer als er selbst aus dem Weg räumen kann. Er muss Klarheit schaffen in den kommenden Wochen, indem er vielleicht versucht, persönlich den Streit mit Patricio Apey beizulegen, anstatt ein monatelanges Verfahren durchzupauken. Und er muss, wenn er von Ivan Lendl überzeugt ist, die Abnabelung vom Vater vollziehen, was angesichts der extrem engen Familienbindung kaum vorstellbar erscheint, oder aber sich von Lendl trennen.
Bruder Mischa fehlt die "Killermentalität"
Helfen kann ihm vor allem sein Bruder. Mischa fehlte, um es ganz nach oben zu schaffen, vor allem die Rücksichtslosigkeit gegenüber Mitmenschen, die man Spitzensportlern wie Alexander gern als „Killermentalität“ attestiert. Aber er besitzt „Soft Skills“ wie Offenheit, Ehrlichkeit und Einfühlungsvermögen, die unabdingbar sind, wenn man Konflikte lösen will.
Gemeinsam haben die Zverevs den Weg an die Spitze gemeistert, nun müssen sie gemeinsam die besten Lösungen suchen, damit Alexander zu sich finden kann. Es wäre sein größter Sieg. Denn wenn er scheitert, wird er viel mehr verlieren als nur ein Tennismatch.