Hamburg. Extremismusvorwürfe seit Anfang 2019 bekannt. Kreisvorsitzende erhebt Vorwürfe gegen abtrünnige Abgeordnete.
Der Eklat bei den Grünen in Hamburg-Mitte wird immer rätselhafter. Nachdem das Abendblatt am Wochenende über den Extremismus-Verdacht gegen zwei Bezirksabgeordnete und die folgende Spaltung der Fraktion in der Bezirksversammlung berichtet hatte, räumte die Parteiführung nun ein, schon seit Anfang des Jahres mit dem Vorgang befasst zu sein. „Es gab Ende Januar/Anfang Februar verschiedene Hinweise aus der Mitgliedschaft, denen der Landesvorstand im Rahmen seiner Möglichkeiten nachgegangen ist“, teilte die Partei auf Nachfrage mit.
Fraglich ist, warum die betreffenden Personen dennoch erst nominiert und auch gewählt wurden, bevor die Vorwürfe öffentlich wurden. „Das war kein trivialer Vorgang und bedurfte einer gewissen Sorgfalt“, hieß es aus der Parteizentrale. Wie berichtet, wird nun geprüft, ob gegen die beiden neuen Abgeordneten Shafi Sediqi und Fatih-Can Karismaz ein Parteiordnungsverfahren eingeleitet wird. Einer der beiden soll bei Facebook zu Spenden für die islamische Hilfsorganisation Ansaar International aufgerufen hat, einen Verein mit mutmaßlich islamistisch-salafistischem Hintergrund. Dem anderen Betroffenen wird vorgeworfen, der umstrittenen islamischen Bewegung Millî Görüş nahezustehen, die lange vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.
Betroffene sind noch nicht lange Mitglieder
Infolge der Vorwürfe solidarisierten sich vier weitere Grünen-Abgeordnete mit den beiden Kollegen und traten der neuen Fraktion nicht bei. Diese besteht daher nur noch aus zehn statt 16 Abgeordneten, wodurch die Grünen trotz ihres Wahlsiegs nicht mehr die stärkste Fraktion in Mitte stellen, sondern hinter der SPD mit ihren 14 Sitzen liegen.
Die beiden Betroffenen, gegen die nun ein Parteiordnungsverfahren geprüft wird, sind nach Aussagen aus der Partei noch nicht lange Mitglieder bei den Grünen. Sediqi ist allerdings auch Beisitzer im Kreisvorstand und Sprecher der Stadtteilgruppe Horn.
Enormes Wachstum
Wie berichtet, erleben die Hamburger Grünen seit zwei Jahren ein enormes Wachstum: Lag die Mitgliederzahl über viele Jahre bei rund 1600, stieg sie seitdem auf aktuell 2792 an – ein Plus von 75 Prozent. In dem Zuge sind alle sieben Kreisverbände kräftig gewachsen, mitunter auch sprunghaft, was oft mit aktuellen politischen Entwicklungen zusammenhängt. Auch die Entwicklung in Hamburg-Mitte, wo die Mitgliederzahl seit Anfang 2018 von 291 auf 412 anstieg, liegt in diesem Rahmen.
Dass es unter diesen 412 Grünen brodelt, ist schon länger bekannt. Als im Januar die Mitglieder vor den Wahlen die Bezirksliste aufstellten, soll im Bürgerhaus Wilhelmsburg „eine aggressive Stimmung“ geherrscht haben – so berichten Teilnehmer. Schon bei der Wahl zum Platz 1 gab es eine Kampfkandidatur zwischen der Kreisvorsitzenden Sonja Lattwesen und Meryem Dagmar Celikkol, die jetzt zu der Gruppe der abgespaltenen Abgeordneten gehört. Schließlich konnte sich Lattwesen durchsetzen, und Celikkol kam auf Platz 3. Von den mehr als 100 Grünen, die sich im Bürgerhaus Wilhelmsburg versammelt hatten, sollen etwa 45 Teilnehmer „dem Lager“ von Faith-Can Karismaz und Shafi Sediqi angehört haben.
Parteiinterne Querelen
Doch die parteiinternen Querelen hatten bereits kurz vorher angefangen, und im Mittelpunkt stand Michael Osterburg, der immerhin 15 Jahre lang Fraktionschef in Mitte war. Denn damals scheiterte der 51-Jährige, als er auf Platz 2 im Wahlkreis Hamm kandidierte. Mit 17 zu 8 Stimmen setzte sich der bis dato unbekannte Larry Wendt durch. Davor hatte es auffällig viele Neueintritte bei den Grünen in Mitte gegeben. Auch dabei soll Shafi Sediqi mitgemischt haben – sagen seine Gegner. Es war wohl wie ein Warnschuss für Osterburg. Der Wirtschaftsingenieur kündigte daraufhin seinen Rückzug aus der Bezirkspolitik an. Pikant daran: Osterburg ist der Lebensgefährte von Parteichefin Anna Gallina, die nun qua Amt die Aufklärung in dieser Angelegenheit vorantreiben muss.
Dass es in Mitte rumorte, war auch der Kreisvorsitzenden Lattwesen bereits im Januar klar: „Als plötzlich mir bislang unbekannte Personen kandidierten, da bemerkte ich, dass da etwas nicht stimmt. Dass es bei den Grünen bei der Kandidatenaufstellung zu Unstimmigkeiten kommt, ist ja nichts Neues. Ich hätte aber gedacht, dass sich die Aufregung wieder legt und nicht, dass die Fraktion gespalten wird.“ Auch der neu gewählte Grünen-Fraktionschef Manuel Muja hätte damit wohl nicht gerechnet: „Natürlich hätte ich mir einen anderen Start in meinem Amt als Fraktionschef gewünscht. Aber wir müssen jetzt nach vorne schauen und trotz der veränderten Mehrheiten unsere grünen Themen im Bezirk Mitte umsetzen. Nun steht am Donnerstag erst mal die konstituierende Sitzung der Bezirksversammlung an.“
Ärger über die Spaltung der Fraktion
Lattwesen verhehlt ihren Ärger über die Spaltung der Fraktion nicht: „Ich bin über das Verhalten der vier Abgeordneten, die sich nun abgespalten haben, schockiert. Ich erwarte eine Erklärung, denn ich stelle mir immer die Frage, warum haben die vier so gehandelt?“ Im Vorfeld der konstituierenden Sitzung seien die Abgeordneten darüber informiert worden, dass gegen Sediqi und Karismaz ein Parteiordnungsverfahren geprüft werde. Dagegen habe es keine Einwände gegeben. Doch dann seien drei Abgeordnete (Anm. d. Red. Nicole Kistenbrügger, Miriam Natur und Ilknur Birgül) gar nicht erst zur konstituierenden Sitzung erschienen.
Zunächst hatte Celikkol dem Abendblatt eine schriftliche Erklärung für alle sechs Abgeordneten angekündigt. Diese kam aber bis zum Abend nicht. Auch der Landesvorstand bemühe sich bislang vergeblich um ein Gespräch, hieß es: „Auf unseren wiederholten Versuch, mit beiden einen Termin zu finden, haben wir noch keine Antwort bekommen.“