Hamburg. Neue Hintergründe zur Spaltung der Grünen-Fraktion im Bezirk Mitte. Angeblich Masseneintritte mit unklarem Hintergrund.

Einen Tag nach dem exklusiven Abendblatt-Bericht über die Spaltung der Grünen-Fraktion in Hamburg-Mitte werden die Hintergründe des Eklats immer klarer. Wie berichtet, prüft die Hamburger Grünen-Spitze Parteiordnungsverfahren gegen zwei der 16 neu gewählten grünen Bezirksabgeordneten wegen des Verdachts der Nähe zum Extremismus. Vier weitere Abgeordnete solidarisierten sich mit den beiden Betroffenen, so dass die neue Grünen-Fraktion sich mit nur zehn Abgeordneten konstituieren konnte. Die anderen sechs neuen Abgeordneten blieben der Konstituierung offenbar fern. Damit stellen die Grünen trotz ihres großen Wahlsiegs derzeit nicht mehr die stärkste Fraktion in Mitte, sondern liegen hinter der SPD mit ihren 14 Sitzen.

Die beiden Betroffenen, gegen die nun ein Parteiordnungsverfahren geprüft wird, sind nach Aussagen aus der Partei noch nicht lange Mitglieder bei den Grünen. Sie sollen zusammen mit zahlreichen Gleichgesinnten eingetreten sein, heißt es von altgedienten Mitgliedern. Einem der beiden wird nach Abendblatt-Informationen vorgeworfen, dass er in den Jahren 2016 und 2018 bei Facebook zu Spenden für die islamische Hilfsorganisation Ansaar International aufgerufen hat. Der in Nordrhein-Westfalen ansässige Verein soll einen islamistisch-salafistischen Hintergrund haben. Kürzlich gab es gegen Ansaar International und einen verbundenen Verein bundesweite Razzien.

Innenminister Seehofer plant Verbot für Ansaar

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) plant nach Medienberichten ein Verbot. Der Vorwurf lautet, dass „sich das Netzwerk gegen den Gedanken der Völkerverständigung gem. Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz“ richte, wie es auf der Internetseite des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes heißt. So soll es etwa die auch von der EU als islamistische Terrororganisation eingestufte Hamas „finanziell und propagandistisch unterstützt haben.“ Man habe dessen Hintergrund vor der Aufstellung des Kandidaten für die Wahl nicht gekannt, heißt es von den Grünen.

Dem anderen Betroffenen wird vorgeworfen, der umstrittenen islamischen Bewegung Millî Görüş nahezustehen, die lange vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, und über die es im jüngsten Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz heißt, sie vertrete folgende Haltung: „Gegenwärtig dominiere mit der westlichen Zivilisation eine ‚nichtige‘, auf Gewalt, Unrecht und Ausbeutung der Schwachen basierende Ordnung. Dieses ‚nichtige‘ System müsse durch eine ‚Gerechte Ordnung‘ ersetzt werden, die sich ausschließlich an islamischen Grundsätzen ausrichte, anstatt an von Menschen geschaffenen und damit ‚willkürlichen Regeln‘.“ Zudem soll der mittlerweile gewählte Grünen-Abgeordnete bei Veranstaltungen die Gleichberechtigung von Frauen und Männern infrage gestellt und die Bedeutung des Koran für die Organisation des Zusammenlebens der Menschen betont haben.

Karenzzeit für Neu-Mitglieder?

„Wenn so gewichtige Vorwürfe im Raum stehen, müssen wir dem als Landesvorstand selbstverständlich nachgehen“, hatte die Hamburger Grünen-Chefin Anna Gallina dem Abendblatt am Sonnabend gesagt. „Wir zeigen immer klare Kante gegen Rechts und geben auch sonst niemandem einen Rabatt aufs Grundgesetz.“ Zunächst wolle die Parteiführung nun Gespräche mit den beiden führen, was bisher nicht möglich gewesen sei.

Die Hamburger Grünen-Chefin Anna Gallina
Die Hamburger Grünen-Chefin Anna Gallina © Roland Magunia

Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und designierte Spitzenkandidatin der Grünen für die Bürgerschaftswahl, sagte dem Abendblatt: „Das sind schwerwiegende Vorwürfe, die da im Raum stehen. Ich unterstütze den Parteivorstand bei der Aufklärung.“ Auf die Frage, ob das Problem mit weitgehend unbekannten neuen Abgeordneten auch ein Fluch der Wahlerfolge sei, sagte Fegebank: „Wir freuen uns über den großen Zuspruch und den Mitgliederzuwachs. Aber als Partei müssen wir noch genauer schauen und überprüfen, wen wir aufnehmen. Das ist aber Sache der Kreisvorstände.“ Die Mitgliederzahl der Grünen in Hamburg war zuletzt von rund 1600 auf mehr als 2600 angestiegen.

Manche glauben, SPD habe Finger im Spiel

Mittlerweile hegen manche Grüne in Mitte sogar den Verdacht, Personen aus der SPD könnten für Masseneintritte bei den Grünen verantwortlich gewesen sein. Hintergrund dieser Vermutungen ist offenbar, dass einer der Betroffenen sehr engagiert in einem Sozialprojekt gewesen sein soll, das aus dem SPD-Umfeld gefördert worden sei. Belege für solche Thesen gibt es bisher zwar keine, aber diese hinter vorgehaltener Hand geäußerten Vorwürfe zeigen, zu welch einer Schlammschlacht sich die Vorkommnisse in Mitte noch auswachsen könnten.

Bei den Grünen gibt es mittlerweile auch Überlegungen, eine Karenzzeit für Neu-Mitglieder einzuführen, so dass Eingetretene nicht sofort für Ämter und Mandaten kandidieren können, sondern erst nach Ablauf einer gewissen Frist. Die Grünen waren bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen am 26. Mai in Altona, Eimsbüttel, Nord und Mitte jeweils stärkste Fraktion geworden. In Mitte errangen sie dabei 16 Mandate, die SPD stellt dort in der neuen Bezirksversammlung nur noch 14 Abgeordnete, die Linke kam auf acht, die CDU auf sechs, die AfD auf vier und die FDP auf drei Mandate.