Hamburg. In Kürze startet der Verkauf der für den Verkehr zugelassenen Modelle. Verleihdienste wie Voi und Lime wollen in Hamburg antreten.

Ein neues Massenfortbewegungsmittel rollt auf Hamburg zu. Busse, Bahnen, Autos, vor allem aber Fahrräder bekommen Konkurrenz. Elektrisch betriebene Tretroller, auch E-Scooter genannt, dürfen von Sonnabend an theoretisch auf Radwegen in ganz Deutschland benutzt werden. In der Praxis wird es noch ein wenig dauern. Denn zunächst müssen die Fahrzeuge den Prozess der Verkehrszulassung durchlaufen haben. Dies wird in etwa zwei Wochen der Fall sein. Die kleinen, klappbaren Roller können in Bussen und Bahnen mitgenommen werden und dann auf den letzten Metern zum Ziel eingesetzt werden. Viele freuen sich auf die neue Art der Fortbewegung. Sie finden: Rollern macht Spaß.

„Die Mikromobilität hat ein enormes Zukunftspotenzial“, sagt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Zugleich ist allerdings auch die Sorge groß, dass es zu chaotischen Verhältnissen kommen könnte. Verleihdienste könnten gerade in Großstädten wie Hamburg schlagartig Massen von Rollern aufstellen, um sich Marktanteile zu sichern. Das Problem: Niemand kann die Verleiher daran hindern. Eine Lizenz wird nicht benötigt, nicht einmal eine Vorab-Information ist erforderlich. In der Hamburger Verkehrsbehörde wird deshalb gerade daran gearbeitet, zumindest eine Vereinbarung auf freiwilliger Basis abzuschließen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum neuen Trend.

Wie muss ein Roller ausgestattet sein, um für den Verkehr zugelassen zu werden?

Die Höchstgeschwindigkeit muss auf 20 Kilometer pro Stunde begrenzt sein. Die Gefährte brauchen eine Lenk- oder Haltestange, eine Beleuchtung und eine Bremsanlage. Roller, die die Verkehrszulassung nicht bekommen haben, dürfen auf öffentlichen Straßen und Wegen nicht benutzt werden. Um die Zulassung müssen sich die Hersteller der Fahrzeuge kümmern. Zuständig ist das Kraftfahrt-Bundesamt. Dort sind bislang 99 Interessensbekundungen eingegangen. „Fünf Hersteller haben von uns eine sogenannte Anfangsbewertung bekommen“, sagt Stephan Immen, Sprecher des Kraftfahrt-Bundesamtes. In dieser Bewertung geht es unter anderem um die Frage, ob die Firmen grundsätzlich in der Lage sind, Roller in identischer Ausführung herzustellen. Zulassungsanträge können ab dem 17. Juni gestellt werden. Denn die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung, die rechtliche Basis für die Zulassung, tritt voraussichtlich am 15. Juni in Kraft. Gibt es beim Zulassungsverfahren keine Probleme, könnte binnen zwei Wochen die Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) erteilt werden. Dann stünde dem Rollerspaß nichts mehr im Wege.

Darf ich mit dem Roller auf der Straße fahren?

Nein. Es müssen die Radwege benutzt werden. Wenn allerdings ein Radweg fehlt, kann auch auf der Straße gefahren werden.

Welche Vorschriften gelten für den Roller-Fahrer?

Es gilt ein Mindestalter von 14 Jahren. Ein Führerschein wird nicht benötigt, auch eine Helmpflicht gibt es nicht. Aber es gibt eine Versicherungspflicht. Der Eigentümer des Tretrollers muss also eine Versicherung abgeschlossen haben. „Derzeit ist das allerdings noch nicht möglich“, sagt Henning Engelage, Sprecher des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft. Die Versicherer warten derzeit auf die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung. „Noch wissen die Versicherer ja nicht, was dort genau drinsteht“, so Engelage. „Nach der Veröffentlichung wird es aber recht schnell Haftpflichtversicherungen geben.“ Die Kosten liegen voraussichtlich bei 40 bis 60 Euro pro Jahr.

E-Scooter: Reporterin testet Elektro-Roller

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    Was muss bei einem Kauf beachtet werden?

    Ein Kauf ist erst sinnvoll, wenn die für den Straßenverkehr zugelassenen Modelle auf den Markt kommen. Vorsicht ist also geboten. Wer bei einer Werbeanzeige den manchmal sehr klein gedruckten Satz „Benutzung nur auf öffentlich nicht zugänglichem Privatgelände“ übersieht und sich zum Kauf bewegen lässt, der hat ein Produkt erworben, das er in der Stadt nie wird benutzen können.

    Welche Verleihdienste werden in Hamburg Elektro-Tretroller anbieten – und wann starten sie?

    Viele der großen Anbieter, die in anderen europäischen Städten bereits aktiv sind, halten sich bedeckt. Nur die Firma Voi hat bereits angekündigt, in Hamburg starten zu wollen (siehe Artikel unten). Ein Sprecher der Firma Lime (ist in den USA aktiv, aber auch in Kopenhagen, Linz, Prag, Athen, Madrid, Paris und Lissabon) sagt immerhin: „Grundsätzlich ist für 2019 geplant, in allen größeren deutschen Städten und Regionen aktiv zu sein, darunter auch Hamburg. Wann, wo und demzufolge wie viele E-Scooter in Deutschland tatsächlich starten, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit Sicherheit sagen.“

    Es seien bereits Gespräche mit verschiedenen Städten aufgenommen worden. „Wichtig ist für uns: Wir arbeiten stets mit den Städten und lokalen Entscheidern zusammen und wollen ein Partner für Städte sein. Nur so können wir die nötige Akzeptanz für neue Mobilitätsangebote schaffen.“

    Der Anbieter Hive ist bereits in Hamburg tätig – allerdings nicht auf öffentlichen Straßen und Wegen, sondern auf dem Desy-Firmengelände. Ob das Unternehmen in der gesamten Stadt antritt, war nicht zu erfahren. Vorstandschef Tristan Torres Velat sagt: „Wir konzentrieren uns derzeit darauf, unser Produkt und unseren Service in unseren sechs aktiven Städten weiter zu optimieren und Hive so auf den Deutschland-Start vorzubereiten. Wir sind davon überzeugt, dass eine hohe Qualität in Produkt und Service am Ende wichtiger als die Startgeschwindigkeit sein werden. Aufgrund der Besonderheiten des deutschen Marktes mit einem sehr speziellen Reglement gehen wir davon aus, dass diese Vorbereitungen noch ein paar Monate dauern werden.“ Hive-Roller können momentan in Lissabon, Athen, Paris, Warschau, Wien und Breslau gemietet werden.

    Ein Sprecher der Firma Bird antwortet auf eine entsprechende Anfrage: „Wir freuen uns, bald in Deutschland – hoffentlich auch in Hamburg – unseren Service anbieten zu dürfen. Noch kann ich leider keine Details verraten.“

    Wie funktioniert das Ausleihen?

    Mittels einer Handy-App und einem Strichcode am Gefährt. Die Roller können überall in der Stadt abgestellt/abgegeben werden, es gibt keine festen Standorte, wie man sie beim StadtRad kennt. Das Aufladen der Gefährte funktioniert nachts. Die Sharingdienste arbeiten dafür mit Subunternehmern zusammen. Die sammeln die Roller ein, schließen sie ans Stromnetz an und verteilen sie später wieder in der Stadt.

    Was kostet das Ausleihen?

    Das ist noch unklar. In Paris verlangt der Anbieter Lime einen Grundpreis von einem Euro. Für jede Nutzungsminute werden 15 Cent berechnet. Für eine 10-minütige Rollerfahrt werden also 2,50 Euro fällig. Eine Stunde kostet 10 Euro.

    Welche Erfahrungen haben andere Städte mit den Verleihdiensten gemacht?

    In Bamberg ist ein Pilotprojekt zufriedenstellend verlaufen. Paris hat gerade eine Regelsystem für die Verleiher eingeführt. Dort gibt es momentan zwölf Betreiber mit insgesamt 20.000 Leihroller. Sie stehen oder liegen oft unbenutzt auf Gehwegen und an anderen Orten herum. Paris will nun feste Stellplätze zur Verfügung stellen. Das Abstellen auf Gehwegen und in Parks wird verboten. Die Bürgermeisterin Anne Hidalgo beklagte, die Zahl der Roller in der Stadt habe sich „auf anarchistische Weise“ vervielfacht.

    Wie reagiert die Politik?

    Die Hamburger Bürgerschaft begrüßt die Verordnung des Bundes, sieht aber Regelungsbedarf bei den Verleihdiensten. Das geht aus einem aktuellen Beschluss hervor. Die Abgeordneten fordern den Senat auf, ein Konzept zu entwickeln, um der „möglichen Gefahr“ zu begegnen, „dass die Fahrzeuge nach Beendigung der Leihvorgänge im gesamten Stadtgebiet verteilt stehen gelassen und zu Störfaktoren werden“. Die Verleihdienste sollen bestimmte Daten an die Stadt weiterleiten, damit „das Abstellen der Fahrzeuge dauerhaft kontrolliert werden“ kann. Die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Dorothee Martin fordert zudem, erlaubte Abstellflächen zu definieren und für andere Flächen ein Verbot auszusprechen, „zum Beispiel für den Jungfernstieg und die Parkanlagen“. Die Linke wiederum will, dass die Bezirke materiell und personell so ausgestattet werden müssten, dass sie „verkehrsbehindernd abgestellte E-Tretroller kurzfristig entfernen“ können. Der CDU-Abgeordnete Carsten Ovens wirft dem Senat vor, viel zu spät aktiv geworden zu sein. „Es ist versäumt worden, den Anbietern rechtzeitig Vorgaben zu machen“, sagt er.

    Was sagt der ADFC zu der neuen Konkurrenz auf den Radwegen?

    „E-Tretroller sind nur dann ein gutes Fortbewegungsmittel, wenn sie die Leute aus dem Auto locken“, sagt Dirk Lau vom ADFC Hamburg. Er glaubt aber, dass die Rollerfahrer in Hamburg wenig Freude haben werden. „Bei der schlechten Qualität der hiesigen Radwege werden sie ständig aufsetzen“, sagt er. Dennoch befürchtet er, dass es auf den Radwegen „neue Konflikte“ geben werde - denn es werde dort ja nicht mehr Platz geschaffen. „Durchaus möglich, dass die Roller die Radler ausbremsen.“

    Kann ich den Roller in Bussen und Bahnen des HVV mitnehmen?

    Ja – wenn es ein klappbarer Roller ist. Für alle anderen Modelle gelten die vom Radtransport bekannten Sperrzeiten: werktags zwischen 6 und 9 Uhr sowie zwischen 16 und 18 Uhr.