Hamburg. Jules Eltern mussten einen Anwalt einschalten, damit ihre Tochter auf die Wunschschule darf. Andere Eltern warten weiter.
Mehr als 30 Verbände und Organisationen fordern gleiches Recht auf freie Schulwahl für Eltern von Kindern mit Behinderung. „Während nur 5,5 Prozent aller Kinder ihre Wunschschule in Klasse eins und fünf nicht erhalten, sind es bei Kindern mit Behinderung 31 Prozent“, heißt es in einem Aufruf des Bündnisses.
Verantwortlich für die fast sechsmal höhere Ablehnungsquote des Erstwunsches seien behördliche Verordnungen, aber auch angeblich rechtswidrige Entscheidungen der Schulbehörde, die gegen das Hamburger Schulgesetz und daraus resultierende Handreichungen und Richtlinien sowie gegen einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verstießen.
Schwerpunktschulen sollen mehr Kinder mit Behinderung aufnehmen
Das Bündnis fordert, dass Schwerpunktschulen für Kinder mit Behinderung vier statt nur zwei dieser Kinder pro Klasse aufnehmen. Wenn sich Eltern für eine Nicht-Schwerpunktschule entscheiden, weil der Schulweg zum Beispiel deutlich kürzer und für das Kind besser zu bewältigen ist, dann soll das möglich sein, wenn die Schule eine „hinreichende Förderung und Betreuung“ für das Kind individuell gewährleistet. Die Schulbehörde hat den Erstwunsch in solchen Fällen bislang häufig mit der pauschalen Begründung abgelehnt, die „hinreichende Förderung und Betreuung“ sei an einer spezialisierten Schwerpunktschule besser gewährleistet.
Das Bündnis fordert die Schulbehörde schließlich auf, einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 31. August 2017 konsequent umzusetzen. Die Richter hatten festgelegt, dass es ein Ablehnungsgrund sein kann, wenn die (staatlichen) Mehrkosten für die Schulweghilfe unverhältnismäßig hoch sind. Wenn die Eltern im Einzelfall jedoch auf eine Schulbusbeförderung verzichten, soll dieser Ablehnungsgrund entfallen. Dem Bündnis gehören neben zahlreichen Betroffenenorganisationen unter anderem der DGB, die GEW, Ver.di, das Diakonische Werk, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Verband Hamburger Schulleitungen, die Patriotische Gesellschaft sowie die Initiative Gute Inklusion an.
Erst ein Anwalt brachte die Wende für Jule – sie darf an ihre Wunschschule
Das Abendblatt hatte Anfang Mai über die hohe Zahl der Ablehnungen von Erstwünschen der Kinder mit Behinderung berichtet – auch über die Familie Senckpiehl aus Altona. Ohne die Hilfe eines Anwalts hätte es die Familie wohl nicht geschafft, dass ihre Tochter Jule nach den Sommerferien doch auf ihre Wunschschule kommt. „Wir haben damit gedroht, vor das Verwaltungsgericht zu gehen, falls die Antwort auf unseren Widerspruch weiter ausbleibt“, so Oliver Senckpiehl. „Daraufhin haben wir ein Vergleichsangebot der Schulbehörde bekommen und angenommen.“ Jule wird nun ihrer Wunschschule zugewiesen.
Wie berichtet, sollte die Elfjährige der Stadtteilschule Bahrenfeld zugewiesen werden, obwohl ihre Eltern das Mädchen an der Stadtteilschule Eppendorf anmelden wollten. Aus gutem Grund: Dort hat das Mädchen mit Downsyndrom nach einer Leukämieerkrankung kurze Wege zu ihren Therapien am UKE. Senckpiehl: „Andere Familien, die Widerspruch eingelegt, aber bisher keinen Anwalt eingeschaltet haben, warten dagegen immer noch auf eine Antwort.“ Der ursprüngliche Bescheid wurde am 5. April verschickt, die Widerspruchsfrist betrug einen Monat. Die Behörde habe ausreichend Zeit gehabt, Klarheit zu schaffen, dies aber offensichtlich nur in wenigen Ausnahmefällen getan.
„Ich finde es unsäglich, wie die Behörde hier vorgeht. Dass man als Eltern 500, 1000 Euro oder mehr Anwaltskosten investieren muss, um seinem Kind den ihm zustehenden Schulplatz zu verschaffen“, so Senckpiehl.