Hamburg. Die Woche im Rathaus: In vier Bezirken ist die Ökopartei stärkste Kraft geworden. Suche nach neuen Bezirksamtsleitern hat begonnen.
Nach der Euphorie über den in dieser Höhe nicht erwarteten Erfolg bei den Europa- und Bezirksversammlungswahlen am 26. Mai ist bei den Grünen eine nüchtern-sachliche Betrachtung der Lage eingetreten. In vier der sieben Bezirksversammlungen sind die Grünen stärkste Kraft – daraus ergibt sich ein Gestaltungsanspruch. In Altona, Eimsbüttel und Hamburg-Nord ist der Abstand deutlich, in Mitte nur sehr knapp. Es geht darum, einerseits den grünen Machtwechsel in den Bezirken dem eigenen Anspruch entsprechend zu organisieren, ohne andererseits allzu viel Porzellan im Rathaus zu zerschlagen, wo die Grünen als Juniorpartner mit der SPD weiterregieren wollen.
Es wird, so viel ist schon jetzt klar, ein nicht ganz einfacher Prozess. Zunächst müssen die Grünen-Fraktionen, die sich ja erheblich vergrößert haben, zusammenfinden. Wie „ticken“ die Neuen und teilen alle Abgeordneten die gleichen Schwerpunkte und haben sie die gleiche Marschrichtung? Schon kursiert die Geschichte aus einer Fraktion, in deren erster Sitzung eine neue Abgeordnete saß, die niemand kannte.
Wie kommt SPD mit Machtverlust klar
Außerdem gibt es für die Grünen in der Regel zwei Optionen für Koalitionen – in Altona sind sogar drei Varianten möglich. Zwar gibt es durchaus Bezirksversammlungen ohne förmliche Koalitionen, in denen mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt wird (so war es in Altona und Bergedorf in der vergangenen Legislaturperiode), aber spätestens für das vornehmste Recht der Bezirksabgeordneten – die Wahl eines Bezirksamtsleiters oder einer Leiterin – braucht es eine verlässliche Mehrheit, die in der Regel auch an inhaltliche Verabredungen und Zugeständnisse geknüpft ist.
Besonders heikel ist das Verhältnis zwischen SPD und Grünen, wobei die spannende Frage ist, wie die Sozialdemokraten damit klarkommen, dass sich die Machtverhältnisse in den vier Bezirken nun umgekehrt haben, was schwer am Selbstbewusstsein der SPD nagt. Soweit es bislang erkennbar ist, führen die Grünen in der Regel zunächst Sondierungsgespräche mit allen Parteien außer der AfD.
Dennoch ist ein gewisse Präferenz für die SPD zu erkennen. In Eimsbüttel und Nord würden die Grünen das Bündnis mit den Roten gern fortsetzen, in Mitte fehlt es ein wenig an realistischen Alternativen und selbst in Altona, wo sich SPD und Grüne nicht besonders grün sind, wollen beide miteinander reden.
Es gibt ein Glaubwürdigkeitsproblem
Obwohl alle Kreisverbände der Grünen (wie auch der anderen Parteien) empfindlich auf Einflussnahmen „von oben“ aus dem Rathaus reagieren, scheint es doch so zu sein, dass die Anregung des Grünen-Bürgerschafts-Fraktionschefs Anjes Tjarks beherzigt wird, zunächst einmal auszuloten, was mit der SPD möglich ist. Das sagt aber noch nichts über die Realisierungschancen rot-grüner Bündnisse, denn die Sozialdemokraten werden einige Kröten schlucken müssen – eine politische Übung, die früher eine Domäne der Grünen war.
Beispiel Eimsbüttel: Hier haben die Grünen unmittelbar nach der Bezirkswahl deutlich gesagt, dass sie einen neuen (grünen) Bezirksamtsleiter wählen wollen. Aber es gibt ein Glaubwürdigkeitsproblem: Amtsinhaber Kay Gätgens (SPD) ist erst vor zweieinhalb Jahren mit den Stimmen der Grünen gewählt worden. Nun wird von grüner Seite diskret darauf hingewiesen, an welchen Stellen die Zusammenarbeit mit Gätgens nicht so gut geklappt hat.
Da die Wahlperiode des Sozialdemokraten noch dreieinhalb Jahre läuft, ist aus Sicht der Grünen vorstellbar, einen Kompromiss hinsichtlich des Zeitpunkts für einen Wechsel zu finden, statt sofort darauf zu drängen. Allerdings haben die Eimsbütteler Sozialdemokraten bislang signalisiert, sich an einer Abwahl ihres Parteifreundes Gätgens nicht beteiligen zu wollen.
Brutale Änderung
Bemerkenswert ist wiederum, dass die SPD-Landesvorsitzende Melanie Leonhard im Abendblatt-Interview Anfang der Woche sagte, dass die Abwahl von Gätgens keinen Koalitionsfall für Rot-Grün im Rathaus bedeuten würde. Letztlich ist es also die Frage, ob die SPD im Bezirk weiterhin eine politische gestaltende Rolle spielen will oder nicht. So brutal können sich die Machtverhältnisse nach einer Wahl ändern.
Das Eimsbütteler Beispiel zeigt aber auch ein grundsätzliches Problem: Die Amtszeit der Bezirksamtsleiter ist nicht an die Wahlperiode der Bezirksversammlungen gekoppelt. Die politische Willensbildung nach einer Wahl wäre einfacher, wenn auch das Spitzenamt der Bezirksverwaltung neu besetzt werden müsste (und sei es durch Wiederwahl des Amtsinhabers). In Altona und Hamburg-Nord ergibt sich tatsächlich eine Vakanz, aber aus anderen Gründen: Die Altonaer Bezirksamtsleiterin Liane Melzer geht im September in den Ruhestand, und in Nord hat die Ticketaffäre im Zusammenhang mit dem Rolling-Stones-Konzert 2017 dazu geführt, dass es derzeit keine Verwaltungschefin gibt. In Altona haben sich die Fraktionen bereits auf eine Ausschreibung für die Melzer-Nachfolge verständigt.
Verhältnisse in Mitte sind speziell
Wie so häufig sind die politischen Verhältnisse in Hamburg-Mitte speziell. Ausgerechnet hier, in der Zitadelle des sozialdemokratischen Selbstbewusstseins, liegen die Grünen vor der SPD – wenn auch mit 29,3 zu 27 Prozent nur knapp. Auf grüner Seite kam nicht gut an, dass der Bundestagsabgeordnete und SPD-Kreisvorsitzende Johannes Kahrs am Freitag im Abendblatt sagte: „Bezirksamtsleiter Falko Droßmann ist von SPD und Grünen bis 2022 gewählt. Ich gehe davon aus, dass das steht.“ Das klang sehr nach einem „Weiter so“, als ob es keine Bezirkswahl gegeben hätte.
Droßmann selbst hatte zuvor in einem „Welt“-Interview gesagt, die Grünen könnten ihn ja mit den Stimmen von CDU und Linken abwählen, wohl wissend, dass das ein unmögliches Bündnis ist. Deswegen empfanden das manche beim bisherigen Koalitionspartner Grüne als höhnisch. Überhaupt ist die Stimmung zwischen SPD und Grünen schon länger getrübt. Das hängt auch mit einem Vorgang zusammen, der den profiliertesten Mitte-Grünen in der Bezirksversammlung das Amt kostete: Fraktionschef Michael Osterburg.
Verwaltungserfahrung erforderlich
Nachdem Anfang des Jahres darüber berichtet worden war, dass Osterburg angeblich seinen Lebensmittelpunkt nicht im Bezirk Mitte hat, sondern bei seiner Lebensgefährtin, Parteichefin Anna Gallina, und den gemeinsamen Kindern in Eimsbüttel lebt, hatte Osterburg seinen Rückzug angekündigt. Das Wahlgesetz schreibt vor, dass derjenige, der für die Bezirksversammlung kandidiert, auch im Bezirk leben muss.
Viele Grüne sind überzeugt davon, dass hinter der Durchstecherei Mitte-Genossen stecken. Beweisen lässt sich das wohl kaum. Unvergessen ist auf grüner Seite auch, dass es vonseiten der SPD im vergangenen Jahr die Drohung gab, man werde das Bezirksbündnis mit den Grünen aufkündigen, falls Osterburg erneut kandidiere. Auch wenn das Einvernehmen zwischen SPD und Grünen nicht gut ist, fehlt es der Ökopartei doch an echten Alternativen.
Viel wird bei dem erstrebten Machtwechsel davon abhängen, ob es den Grünen gelingt, überzeugende Kandidatinnen oder Kandidaten für den Chefposten an der Spitze der Bezirksämter zu finden. Für die Nahtstelle zwischen Bezirkspolitik, Verwaltung und Senat ist ausgewiesene Verwaltungserfahrung erforderlich. Eine, die über reichlich Expertise verfügt, hat abgewinkt: „Kein Interesse“, sagte Heike Opitz, Ex-Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete und Abteilungsleiterin im Amt für Wohnen, Stadtentwicklung und Bodenordnung. Opitz ist mit Justizsenator Till Steffen (Grüne) verheiratet.
Die grünen Headhunter sollen ihren Blick auch schon mal über die Stadtgrenze nach Schleswig-Holstein geworfen haben, wo es ebenfalls kompetente Parteimitglieder gibt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Weg zum Machtwechsel etwas länger dauern wird. „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, pflegt ein prominenter Sozialdemokrat zu sagen. Vielleicht bald auch ein grünes Motto ...