Hamburg. Spitzenkräfte und Politikwissenschaftler analysieren den Erfolg bei der Bezirkswahl. Karte zeigt das Abstimmungsverhalten.

„Irre. Total irre“, meinte eine Grüne. Ein anderer lachte laut auf, als das Abendblatt am Mittag anrief und nach einem Statement zu Platz eins bei der Bezirkswahl fragte – er hatte noch nicht gehört, dass das Landeswahlamt kurz zuvor die Zwischenergebnisse aus den Bezirken aggregiert hatte und die Grünen hamburgweit mit mehr als 30 Prozent mit Abstand an der Spitze lagen. Man habe sich ja einiges ausgerechnet, vor allem in Eimsbüttel, Altona und Hamburg-Nord, meinte der Mann. Aber stärkste Kraft? In der SPD-Hochburg Hamburg? Und das knapp neun Monate vor der Bürgerschaftswahl? „Das ist schon krass ...“

Doch die Hamburger Grünen haben mittlerweile eine gewisse Routine im Umgang mit guten Umfrage- und Wahlergebnissen entwickelt. Und dieser Strategie blieben sie auch an diesem Montag im Angesicht von Bezirks-Ergebnissen treu, die wohl nur kühne Optimisten erwartet hatten. Freude? Ja! Triumphgeheul? Nein! Selbstbewusstsein? Ja! Kampfansagen an die politische Konkurrenz oder den Koalitionspartner SPD? Nein! Zu oft schon hat die Ökopartei es in der Hansestadt und anderswo erlebt, dass hervorragende Umfragewerte am Wahltag in sich zusammenfielen. Dass eine glänzende Ausgangsposition doch noch verspielt wurde. Das soll ihnen in Hamburg nicht passieren.

Fegebank: „Ein ziemlicher Hammer“

Natürlich hoffen viele der mittlerweile 2665 Mitglieder in der Hansestadt – vor zwei Jahren waren es noch 1000 weniger – darauf, dass das Hoch bis zur Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 anhält. Und natürlich hoffen sie, dass sie danach den zweiten grünen Regierungschef nach Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg stellen können. Nur sagen mögen sie das nicht so offen – zu abschreckend ist das Beispiel von Renate Künast, die 2010 im Umfragehoch offensiv verkündet hatte, Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden zu wollen und dann mit 17,6 Prozent abgeschlagen auf Platz drei gelandet war.

Und so blieb die Frau, die ausweislich der Wahlergebnisse reale Chancen hat, die nächste Bürgermeisterin von Hamburg zu werden, im Gespräch mit dem Abendblatt in ihrem Büro im Rathaus bei ihrer bisher so erfolgreichen Strategie: Fröhlich den Ball flach halten. Ob das ein Traumergebnis sei? „Das kann man so sagen“, sagte Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und Spitzenkandidatin der Grünen für die Bürgerschaftswahl. „Das ist zumindest ein ziemlicher Hammer. Ich habe in den letzten Wochen gedacht, das kann gut werden. Aber das übersteigt meine kühnsten Erwartungen.“

Große Glaubwürdigkeit

Dass die Grünen nicht nur bei der Europawahl in Hamburg stärkste Kraft wurden – was einige erwartet hatten –, sondern auch bei den Bezirkswahlen, erklärte Fegebank damit, dass viele Inhalte von der EU-Ebene auf die Bezirke „durchgeschlagen“ hätten. Das Klimathema etwa sei zwar ein globales, „aber gelöst wird es vor Ort. Und da traut man uns offensichtlich mehr zu als das in der Vergangenheit der Fall war.“

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Katharina Fegebank zum Bezirkswahlergebnis der Grünen

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    Nicht zufällig kam die Landesvorsitzende Anna Gallina zur gleichen Analyse: Auch sie sagte dem Abendblatt, „ein Ergebnis in dieser Dimension“ habe sie nicht erwartet. Andererseits sei es auch „irgendwie logisch“, dass das Bezirks-Ergebnis dem auf EU-Ebene ähnele, denn die Themen ähnelten sich auch: „Wer im Europa-Wahlkampf für Klimaschutz eintritt, muss auch im Bezirk für die Verkehrswende streiten“, so Gallina. „Und da haben wir offensichtlich die größte Glaubwürdigkeit.“

    Veränderte Machtverhältnisse

    Ob die neue Vormachtstellung in den Bezirken Altona, Eimsbüttel, Hamburg-Nord und der knappe Vorsprung Hamburg-Mitte genutzt wird, um dort Anspruch auf die Posten der Bezirksamtsleiter zu erheben, will die Parteiführung den Mitgliedern vor Ort überlassen. „Wir gucken uns im Licht der Ergebnisse an, was geht und was nicht geht – und das machen die Leute vor Ort“, sagte Fegebank.

    Dass die veränderten Machtverhältnisse die Koalition mit der SPD auf Landesebene belasten, sieht die Zweite Bürgermeisterin nicht so: „Ich hoffe, dass das möglichst geringe Auswirkungen hat. Wir haben das Mandat, mindestens bis Februar 2020 miteinander zu regieren, und ich habe das Gefühl, dass die Menschen das von uns auch erwarten. Die wollen nicht, dass wir auf offener Bühne Kämpfe miteinander austragen.“

    Fortsetzung der Koalition?

    Entsprechend blieb sie auch auf die immer wieder gestellte Frage, ob sie sich nicht doch „Bürgermeisterkandidatin“ nennen müsste, unbeirrbar. „Ich lass mich da überhaupt nicht kirre machen“, sagte Fegebank. „Ich habe schon mehrfach gesagt: Wer eine grüne Bürgermeisterin will, der kann sie wählen. Das gilt auch heute noch.“ Sie sei bereit, jede Verantwortung zu übernehmen, „die die Hamburger mir geben“. Aber ihre Devise sei: „Cool bleiben, weiterarbeiten.“

    Natürlich ist diese Linie mit der Parteiführung abgestimmt. Ergo betont auch Gallina: „Auf Ebene von Senat und Bürgerschaft bleibt ja alles wie es ist. Wir haben einen Regierungsauftrag und wollen den gut zu Ende führen.“ Sie spricht sich sogar für eine Fortsetzung der Koalition aus: „Unsere Präferenz bleibt es, auch über die nächste Bürgerschaftswahl hinaus mit der SPD zusammenzuarbeiten.“ Wobei das offen lässt, wer dann Koch und wer Kellner ist ...

    Auch Anjes Tjarks, einflussreicher Fraktionschef in der Bürgerschaft, bekennt sich klar zum derzeitigen Mehrheitslager. „Die rot-grüne Koalition im Rathaus hat in Hamburg ein starkes Mandat, die Zusammenarbeit funktioniert gut.“ Dennoch freut er sich über „sensationelle Ergebnisse“ seiner Partei, die eine „große Verantwortung“ mit sich brächten. „Die Hamburgerinnen und Hamburger wollen mehr grüne Politik in den Bezirken.“ Und mehr Grün heißt im Zweifelsfall halt weniger Rot.

    Fegebank als Bürgermeisterin?

    Wohin das führt? Der Hamburger Politikwissenschaftler Professor Kai-Uwe Schnapp sieht jedenfalls gute Chancen für Fegebank, Bürgermeisterin zu werden: „Für die Grünen ist angesichts dieser Ergebnisse kaum anderes möglich, als eine Bürgermeisterkandidatin aufzustellen“, sagte Schnapp dem Abendblatt. „Die Chance, dass Hamburg in einem Jahr nicht mehr von einem SPD-Bürgermeister, sondern von einer grünen Bürgermeisterin regiert wird, halte ich für groß.“

    Für den Sensationserfolg der Grünen im Bund und besonders in Hamburg, die Verluste der CDU und das Debakel der SPD sieht der Professor der Uni Hamburg vor allem zwei Ursachen. „Erstens hat das Klimathema massiv an Bedeutung gewonnen“, so Schnapp. „Und nicht nur wegen der „Fridays for Fu­ture“-Demos, sondern auch wegen der jüngeren Berichte des Weltklimarates, die gut zu den eigenen Wettererfahrungen passen, oder dem jüngsten Bericht über das Artensterben. Klima ist im Moment das Top-Thema und davon profitieren fast ausschließlich die Grünen.“ Zweitens hätten dann auch YouTuber wie Rezo das Thema sehr „schlagkräftig aufgegriffen, um die jungen Wählerinnen zu mobilisieren“, so Schnapp.

    Bester Laune: Katharina Fegebank am Montag im Rathaus.
    Bester Laune: Katharina Fegebank am Montag im Rathaus. © Funke Foto Services | Andreas Laible

    Allein die 16- und 17-Jährigen, die im Unterschied zur Europawahl an den Bezirkswahlen teilnehmen durften, können allerdings nicht den Ausschlag für den Erfolg der Grünen gegeben haben. Denn zu dieser Altersgruppe gehören nur 28.000 Wahlberechtigte, von 1,4 Millionen. Es ist wohl eher so, dass die Grünen langsam zur neuen Volkspartei werden. Jedenfalls in Hamburg.

    Die Hochburgen der Parteien bei der Europawahl