Hamburg. Drittklässler haben ein Lied geschrieben und im Studio der berühmten Band aufgenommen. Dahinter steckt ein pädagogisches Konzept.

Sie sind erst acht und neun Jahre alt – und doch schon kleine Profis. In Vierergruppen betreten die Drittklässler die Aufnahmekabine, setzen sich Kopfhörer auf und stellen sich um das Mikrophon, das von der Decke baumelt. Hinter einer Glasscheibe sitzt Sebastian Schilde, Mitglied der Band Scooter. Er nimmt die Hymne der Grundschule Lemsahl-Mellingstedt auf, die heute von den Schülern eingesungen wird.

Vor zwei Jahren haben sie das Musikstudio in Ottensen das erste Mal betreten. Damals waren sie Erstklässler – und der Besuch in den Räumen, in denen die Band Scooter ihre Songs aufnimmt, war der Startschuss für das Kooperationsprojekt Schule@Wirtschaft. Ins Leben gerufen haben es Klassenlehrer Benjamin Miller und Jens Thele, Gründer von Kontor Records und Vater eines der Schüler. Sie wollten das Anliegen des Netzwerks SchuleWirtschaft aufgreifen, feste Partnerschaften zwischen Schulen und Unternehmen zu bilden. „Das funktioniert auch mit sehr jungen Schülern schon gut“, sagt Miller, der auch didaktischer Leiter der Grundschule ist.

Konzept auch von anderen Schulen nutzbar

Für das Projekt hat er das Konzept TeamPad© entwickelt, das in kindgerechter Struktur die Schritte festlegt und auch von anderen Schulklassen für Kooperationen mit Unternehmen genutzt werden kann.

Benjamin Miller ist Klassenlehrer und didaktischer Leiter an der Grundschule Lemsahl-Mellingstedt.
Benjamin Miller ist Klassenlehrer und didaktischer Leiter an der Grundschule Lemsahl-Mellingstedt. © Thorsten Ahlf

„Egal, ob Tischlerei, Blumenladen oder Zahnarztpraxis“, so Miller, „es geht immer um dieselben Aufträge: um eine in den Augen von Unternehmen und Schule gleichermaßen sinnvolle Zielsetzung, um das Zusammentragen von Vorstellungen, wie diese erreicht werden kann, und dann um Umsetzung, Präsentation und Reflexion.“

Eigentlich haben die Schüler all diese Schritte bereits bewältigt: Sie haben ein erstes Mal die Schulhymne gesungen und aufgenommen, sich den Namen Spotibobs gegeben (das kommt, sagt Hugo, „von Spotify und den roten Bobby Cars“), sie haben ein CD-Cover gestaltet und dann ein professionelles Video gedreht (das auf der Homepage der Schule Lemsahl-Mellingstedt zu sehen ist). Anschließend haben sich auf ein Thema für einen eigenen Song geeinigt (Klimaschutz), diesen „Der Blaue Planet“ genannt und – immer mit Unterstützung von Theles Mitarbeitern – geschrieben und aufgenommen. Nach einer „Generalprobe“ auf dem Rathausmarkt, im Rahmen eine „Friday for Future“-Demonstration ist das Lied mittlerweile bei Youtube zu hören, wo er in den drei ersten Tagen mehr als 600 mal aufgerufen wurde. Auch beim Streamingdienst Spotify ist es verfügbar.

Schüler und Unternehmen profitieren

Aber den Schülern reicht das noch nicht. „Umweltschutz ist ein wichtiges Thema. Wir wollen, dass alle Menschen auf uns hören“, sagen Sarah und Tjark. Wie sie das anstellen können, wird eine der nächsten Aufgaben ihres fächerübergreifenden Projekts sein, mit dem sie sich schon im Deutsch-, Musik- und Kunstunterricht beschäftigt haben. Eine weitere Idee ist, die Geschichte der Spotibobs literarisch zu verarbeiten, als Buch für Gleichaltrige.

Auf die Idee zu TeamPad© kam Miller durch das 2010 erschienene Handbuch „Partnerschaft Schulen - Unternehmen“. Darin regt die Schulbehörde an: „Partnerschaften zwischen Schulen und Unternehmen sollen Bestandteil des schulischen Lernens sein, in ein Qualitätsmanagement eingebunden und sowohl in der Schule als auch im Unternehmensystematisch verankert sein.“ Er sei davon überzeugt,dass in der Kooperation zwischen Schule und Wirtschaft ein enormes Lernpotenzial für beide Seiten stecken könne, sagt Miller. Häufig sei jedoch der„Respekt“ vor so einer Kooperation groß. „Die Frage ist, ob so ein Zusammenarbeiten denn pragmatisch und dennoch nachhaltig aufgebaut und organisiert werden kann.“ Fragt man die Schüler, ihren Lehrer und Kontor-Records-Chef Thele, hört man von allen Seiten ein überzeugtes „Ja!“

Scooter-Musiker reist extra aus Köln an

Klassenlehrer Miller betont, dass das Projekt den Zusammenhalt in der Klasse gestärkt habe, aber auch jedem einzelnen Schüler zugute gekommen sei. „Es geht hier um persönlichkeitsorientiertes Lernen, das entsteht, wenn Kinder Resonanz erhalten auf das, was sie tun.“ Auch die Musik- und Videoproduzenten, die Songwriter und Grafiker bei Kontor Records hätten von dem Projekt profitiert, sagt Studio-Boss Tehle. „Zuerst war die Arbeit mit den Kindern für sie nur ein Job, jetzt macht es ihnen mittlerweile richtig großen Spaß.“

Sebastian Schilde etwa ist für das erneute Aufnehmen der Schulhymne extra aus Köln angereist. Dass die Drittklässler sie heute noch einmal singen, hat mit ihrem gestiegenen künstlerischen Anspruch zu tun. Denn das Video dazu ist zwar professionell gemacht, aber ihre Stimmen klangen damals noch ein bisschen dünn. Aber da waren sie ja auch noch keine Profis. Und Erklässler.