Hamburg. Hamburg wird zwei Abgeordnete ins EU-Parlament entsenden – keiner von ihnen gehört zu einer der großen Parteien.

Die Europawahlen haben auch in Hamburg zu einem politischen Beben geführt. Die Grünen sind auch in Hamburg die großen Gewinner der Europawahlen und hier zum ersten Mal bei einer Wahl stärkste Kraft. Die SPD ist dagegen klare Verliererin, sie muss deutliche Stimmenverluste hinnehmen. Die CDU verliert ebenfalls Stimmanteile, wenn auch auf niedrigerem Niveau als die Sozialdemokraten.

Hamburg wird mit Svenja Hahn (FDP) sowie Nico Semsrott (Die Partei) zwei Abgeordnete ins EU-Parlament entsenden.

Nachdem alle 1740 Hamburger Stimmbezirke ausgezählt waren, lagen die Grünen mit 31,2 Prozent mit weitem Abstand vor der SPD, die auf 19,8 Prozent kam, und der CDU mit 17,7 Prozent.

2014 war die SPD noch auf 33,8 Prozent gekommen, die CDU erreichte 24,6 Prozent und die Grünen 17,2 Prozent. Die Linke kommt aktuell auf 7 Prozent (2014: 8,6 Prozent), die AfD auf 6,5 Prozent (2014: sechs Prozent) und die FDP auf 5,6 Prozent (2014: 3,7 Prozent). „Die Partei“ kann ihr Ergebnis von 0,9 Prozent (2014) auf 3,8 Prozent verbessern.

So hat Hamburg bei der Europawahl gewählt

Grüne sprechen vom „historisch besten Ergebnis“

„Das ist ein sensationelles grünes Ergebnis! Wir freuen uns riesig über diesen Erfolg“, sagte die Grünen-Landesvorsitzende Anna Gallina. „Unser historisch bestes Ergebnis bei einer Europawahl ist gleichzeitig der Auftrag für die historisch größte Aufgabe: die Bewältigung der Klimakrise“, sagte Gallina. „Das ist das beste gesamtdeutsche Ergebnis in der Geschichte der Grünen. Ich bedanke mich sehr herzlich bei allen Hamburgerinnen und Hamburgern, die so viel Vertrauen ins uns gesetzt haben“, sagte Katharina Fegebank, Spitzenkandidatin der Grünen für die Bürgerschaftswahl 2020.

Als eine der ersten Politikerinnen hatte sich die SPD-Landesvorsitzende Melanie Leonhard zu Wort gemeldet und die Niederlage ihrer Partei eingeräumt. „Wir haben uns als SPD mehr erhofft. Natürlich müssen wir das Ergebnis ordentlich analysieren, vor allem aber müssen wir noch engagierter dafür sorgen, dass wir mit unseren Antworten auf der Höhe der Zeit sind“, sagte Leonhard.

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SPD-Mann Fleckenstein nicht wieder im Europa-Parlament

Schnell war auch klar, dass der einzige aktuelle Hamburger Europaabgeordnete, der Sozialdemokrat Knut Fleckenstein, den Sprung ins Brüsseler und Straßburger Parlament nicht geschafft hat. Fleckenstein stand auf Platz 18 der bundesweiten SPD-Europaliste.

Damit Fleckenstein die Wiederwahl schafft, hätte die SPD bundesweit mindestens 18 Prozent holen müssen – davon war sie deutlich entfernt. „Ich danke vor allem Knut Fleckenstein, der in den vergangenen zehn Jahren viel für Hamburg in Brüssel und Straßburg erreicht hat. Unermüdlich ist auch Knut Fleckenstein im Wahlkampf unterwegs gewesen und hat bis zuletzt alles gegeben“, sagte die SPD-Vorsitzende.

„Ich bin enttäuscht. Niemand kandidiert, um nicht gewählt zu werden“, sagte Knut Fleckenstein. „Ich sehe die Ursache für unser schlechtes Ergebnis in der Europapolitik in Berlin. Wir wurden nicht als Europapartei wahrgenommen“, sagte Fleckenstein, der allerdings das Engagement von SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley ausdrücklich lobte.

CDU-Heintze verpasst Sprung nach Europa

Auch der Hamburger CDU-Spitzenkandidat Roland Heintze hat den Sprung nach Europa erneut verpasst. Die CDU hat als einzige Partei keine Bundesliste. Wer die Partei in Brüssel vertritt, wurde nach einem komplizierten Rechenverfahren im Laufe der Nacht ermittelt. Zwar hatte Heintze "bis zuletzt gehofft, dass es doch noch klappt", aber am Montag bestätigte er auf Abendblatt-Anfrage, dass er nicht ins Europaparlament einziehen wird.

Heintze zeigte sich enttäuscht vom Abschneiden seiner Partei in Hamburg und Deutschland insgesamt, lobte aber die hohe Wahlbeteiligung. Diese zeige, "dass Europa als Idee lebt und den Menschen wichtig ist". Mit Blick auf das neue Europaparlament sagte er: "Ich hoffe, dass unsere Stadt und ihre Interessen auch weiterhin gut in Brüssel vertreten werden. Darauf werden wir achten, denn wir in Hamburg sind wie kaum eine andere deutsche Stadt auf Europa angewiesen."

FDP entsendet Hamburger Abgeordnete nach Brüssel

Wie bereits erwartet, hat die FDP-Kandidatin Svenja Hahn, die auf Platz 2 der FDP-Bundesliste antrat, das Ticket nach Europa gezogen. „Ich freue mich sehr, aber ich hätte mir mehr Kollegen aus Hamburg im Europaparlament gewünscht“, sagte Hahn dem Abendblatt. „Es ist gut, dass wir gerade bei jungen Wählern ein überdurchschnittliches Ergebnis erzielt haben, allerdings haben wir nicht unser ganzes Potenzial genutzt.“

Hamburger Kabarettist im EU-Parlament

Nach den ersten bundesweiten Hochrechnungen war bereits klar, dass auch „Die Partei“ mit zwei oder drei Abgeordneten ins EU-Parlament einziehen würde. Auf Platz 2 trat der Hamburger Kabarettist Nico Semsrott und auf Platz 3 Lisa Bombe, ebenfalls aus Hamburg an. Auf Facebook kommentierte Semsrott, bundesweit bekannt durch die „Heute Show“, eine Stunde nach Schließung der Wahllokale nur drei Buchstaben: „lol“ (die Abkürzung im Netz für Laughing out Loud, laut lachen).

In einem Interview mit der „FAZ“ hatte der Künstler sein Wahlziel so definiert: „Europa stärken, Deutschland schwächen.“ Ein Wahlprogramm habe seine Partei nicht: „Weil ‚Die Partei‘ eine Anarcho-Gruppe ist und aus 35.000 Flügeln besteht. Da kann jeder machen, was er will.“ Über sich selbst sagt er: „Mit mir können sich Wähler identifizieren. Ich bin ein ganzer normaler Mensch mit Selbstzweifeln, Selbsthass, und ich fühle eine große Einsamkeit.“

Deutlicher Anstieg der Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung hat sich gegenüber der vorangegangenen Europawahl am 25. Mai 2014 deutlich erhöht, das war im Laufe des Wahltags schnell klar. Danach haben mehr als 61 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Vor fünf Jahren waren es nur 43,5 Prozent gewesen.

„Die gestiegene Wahlbeteiligung auch in Hamburg ist ein Grund zur Freude und eine Bestätigung für unsere Demokratie. Das große Interesse war schon im Vorfeld spürbar und hat sich nun bestätigt“, sagte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). „Es ist gut, dass sich die Menschen in politisch bewegten Zeiten nicht abwenden, sondern ihre Stimmen einsetzen.“

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