Hamburg. An der Friedensallee entstehen mehr als 1100 Wohnungen. Auf dem Areal arbeiten Motorrad-Mechaniker und Tischler.

Das Geschenk hatte Gewicht. Einen Schiffskolben, 110 Kilo schwer, übergaben die Manager von Rheinmetall Immobilien am Montag Tobias Trapp, Vorsitzender der Genossenschaft Kolbenwerk. Der Kolben wird künftig in der runderneuerten historischen Halle 7 seinen Platz finden.

Hier haben kleine Handwerksbetriebe – von Tischlereien über eine Schmiede bis zu einer Werkstatt für Sportwagen – und Künstlern wie Kurzfilmmachern eine Heimat gefunden. Der Kolbenhof wird das Herz eines neuen Quartiers mit mehr als 1100 Wohnungen, das in einer Filetlage von Altona auf einer Fläche von zwölf Fußballfeldern entsteht.

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Abriss des Weißen Riesen

„Ich bin sehr froh, dass wir hier Mischbebauung schaffen werden“, sagte Bezirksamtschefin Liane Melzer. Genau genommen handelt es sich um drei verschiedene Projekte: Auf dem früheren Kolbenschmidt-Werksgelände an der Friedensallee entstehen bis 2023 rund 420 Wohnungen. Drei Jahre später sollen 255 Wohnungen auf dem benachbarten Henkel-Schwarzkopf-Areal am Hohenzollernring übergeben werden. Komplettiert wird das Ensemble durch die Ottenser Höfe mit 460 Wohnungen auf dem Gelände der Unternehmenszentrale des Kreditversicherers Euler-Hermes. Hier investiert der Konzern Quantum.

Wie das Abendblatt berichtete, wird das erst 1981 eingeweihte Hochhaus („Weißer Riese“) abgerissen, da es den energetischen Ansprüchen nicht mehr genügt. Für 150 Millionen Euro errichtet Euler-Hermes ein neues Bürogebäude mit Klinkerfassade – erst dann kann das Hochhaus den geplanten Wohnungen weichen. Die Abbrucharbeiten sollen im zweiten Quartal 2020 beginnen. Bei allen Projekten gilt der Hamburger Drittelmix: ein Drittel Eigentums-, ein Drittel Miet- und ein Drittel Sozialwohnungen.

Politischer Druck half

Der Vertrag zwischen Handwerkern und Investor entstand in langen Verhandlungen. Die Betriebe wollten unbedingt eine Lösung im Eigentum, fast alle hatten zuvor an anderen Standorten die negativen Konsequenzen eines Mietverhältnisses erlebt – von der Kündigung wegen Umwandlung der Immobilie in ein Wohnhaus bis zu horrenden Mietsteigerungen.

Für den Kauf schlossen sich die Kleinbetriebe zu einer Genossenschaft zusammen, das Eigenkapital für den Kauf sowie notwendige Umbauten sammelten die Mitglieder auch bei Fördergenossen ein. Das Zeichnen von Einlagen, die derzeit mit zwei Prozent verzinst werden, ist noch immer möglich.

Bei den Verhandlungen mit Rheinmetall profitierte die Genossenschaft Kolbenwerk auch von dem politischen Druck: Die Parteien in der Bezirksversammlung Altona wollten einen Streit wie bei dem Projekt „Zeise 2“ verhindern. Hier hatte die Auseinandersetzung um den Bau eines Bürokomplexes neben dem Zeise-Kino in Ottensen sogar in ein Bürgerbegehren gemündet.

Rheinmetall setzte daher früh auf Transparenz und ein gutes Verhältnis zu zu den Handwerkern, die zunächst nur Zwischenmieter waren. Zudem holte der Investor den Altonaer Spar- und Bauverein mit ins Boot, die Altoba wird 215 Wohnungen bauen. Auch Baugemeinschaften sollen zum Zuge kommen.

Wie sich Gewerbe und Wohnen vertragen

Die spannende Frage wird nun sein, wie sich Gewerbe und Wohnen vertragen werden. Genossenschaftsvorstand Trapp, Inhaber einer Motorrad-Werkstatt, ist optimistisch: „Wir haben eine hohe Akzeptanz im Quartier.“ Die Handwerker suchen den Kontakt zu Schulen, bieten Praktikumsplätze, veranstalten Sommerfeste. Mehr als 65 Dezibel dürfen nicht nach außen dringen, was in etwa dem Lärm in einer Kantine entspricht. Zwischen 22 und 6 Uhr muss Nachtruhe herrschen.

Auf die Rückendeckung aus der Politik kann sich die Genossenschaft verlassen. Das neue Quartier, geplant vom Hamburger Architekturbüro Coido, gilt in der Szene schon jetzt als ein Beispiel für gelungene Nachverdichtung. Auch ökologisch – schließlich mindert die Kombination von Wohnen und Gewerbe den Verkehr. „Unsere Kunden leben in der Nähe“, sagt Trapp: „Die wollen nicht weit fahren, um sich ihr Motorrad reparieren zu lassen.“ Auf dem Gelände sind 100 Arbeitsplätze entstanden.

Im Schnitt zahlen die Genossen nur 6,50 Euro pro Quadratmeter, in dieser Lage für Gewerbe konkurrenzlos günstig. Entsprechend viele Interessenten gibt es, sagt Trapp: „Wir haben aber nichts mehr frei.“ Eine Warteliste mache keinen Sinn. Wer hier Quartier gefunden habe, gehe nicht mehr weg. Mit etwas Sorge sieht Trapp nur dem Abriss des Hochhauses entgegen: „Das wird ordentlich laut.“ Eine Sprengung ist nicht möglich, das Gebäude, 86 Meter hoch, muss Etage für Etage abgetragen werden.