Hamburg. SPD und Grüne stehen vor Einigung mit Volksinitiative. Vattenfall erwägt, das Kohlekraftwerk auf andere Brennstoffe umzurüsten.
Ein Volksentscheid über den Kohleausstieg in Hamburg ist abgewendet: Nach Abendblatt-Informationen haben sich die Bürgerschaftsfraktionen von SPD und Grünen im Grundsatz mit der Volksinitiative „Tschüss Kohle“ auf einen Kompromiss verständigt. Dieser wurde am Montagabend von den beiden Fraktionen gebilligt und wird am Dienstag vorgestellt.
Zuerst hatte der Radiosender NDR 90,3 über die Einigung berichtet. Demnach sieht sie vor, dass die Fernwärmeerzeugung in der Hansestadt bis spätestens 2030 ohne Einsatz von Kohle auskommen soll. Das würde den Plänen des rot-grünen Senats entsprechen, der das Fernwämenetz kürzlich von dem Versorger Vattenfall zurückgekauft hatte – die Rekommunalisierung aller Energienetze war der Auftrag eines Volksentscheids aus dem Jahr 2013. In diesem Punkt hätte demzufolge die Volksinitiative nachgegeben, die ursprünglich gefordert hatte, bereits Ende 2025 die Fernwärme kohlefrei zu produzieren.
Ziele entsprechen weitgehend denen des Senats
Zweitens soll die Vereinbarung vorsehen, das Steinkohleheizkraftwerk Tiefstack bis 2030 durch ein Gaskraftwerk zu ersetzen – auch das entspricht den Senatsplänen. Ferner soll zudem das alte Kohleheizkraftwerk in Wedel bis 2024 durch viele kleinere dezentrale Anlagen ersetzt werden. Auch das ist ohnehin vorgesehen, allerdings war das Abschaltdatum für Wedel in den vergangenen Jahren mehrfach geändert worden – von 2021 bis 2026 reichte dabei die Spanne. Nun das Jahr 2024 anzupeilen, wäre insofern neu und relativ ambitioniert.
Unklar ist noch, wie die Einigung bezüglich der zentralen Forderung der Initiative aussieht, bis 2030 in Hamburg auch keinen Strom mehr aus Kohle zu produzieren. Würde man sich darauf einigen, müsste die Stadt auf Vattenfall einwirken, das erst 2015 in Betrieb genommene Kohlekraftwerk Moorburg, eines der neusten und größten seiner Art in Deutschland, wieder stillzulegen. Inwiefern das Unternehmen dazu gedrängt werden könnte, dürfte umstritten sein.
Vattenfall bekräftigt Strategie
Allerdings hat der schwedische Staatskonzern ohnehin beschlossen, langfristig aus der Kohleverstromung auszusteigen. Und auf Abendblatt-Nachfrage bestätigte Vattenfall, dass man eine Umrüstung des Kohlekraftwerks Moorburg auf andere Brennstoffe jedenfalls in Erwägung ziehe. „Wir überprüfen ständig unser Portfolio und richten es analog unserer Strategie, innerhalb einer Generation ein fossilfreies Leben zu ermöglichen, konsequent aus. In diesem Kontext betrachten wir auch kontinuierlich, welche Optionen für eine Brennstoffumstellung unserer Kraftwerke bestehen, sowohl in Berlin als auch in Hamburg im Steinkohlekraftwerk Moorburg“, sagte eine Vattenfall-Sprecherin.
Sie betonte allerdings auch: „Es gibt keinerlei Vorentscheidungen und der Prozess ist ergebnisoffen. Neue technologische Möglichkeiten sowie Erfahrungen anderer Anlagen werden dabei ebenso betrachtet wie Fragen der technischen und finanziellen Machbarkeit.“
Das Unternehmen betont stets, dass das Kraftwerk Moorburg „eines der modernsten und effizientesten Steinkohlekraftwerke in Deutschland und Europa“ sei und und maßgeblich zur Sicherheit der Stromversorgung in Norddeutschland beitrage. „Die Empfehlungen der Kohlekommission sehen eine Stromerzeugung auf Steinkohlebasis bis zum Jahr 2038 vor“, sagte die Vattenfall-Sprecherin. „Wir suchen dennoch weiter nach Möglichkeiten, das CO2 Profil der Anlage zu verbessern.“
CDU und Linkspartei üben Kritik
Unterdessen übten die Fraktionen von CDU, Linkspartei und FDP in der Bürgerschaft bereits Kritik an dem Kompromiss mit der Volksinitiative. „Die Einigung ist eine reine Mogelpackung“, sagte Stephan Gamm, umweltpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. „Viele Punkte waren schon vorher Ziele des Senats.“ Die Initiative habe sich „als reiner Steigbügelhalter für die Grünen erwiesen“, die auf diesem Wege sicherstellen wollten, dass ihr Umweltsenator Jens Kerstan sein Gaskraftwerk für 300 Millionen bauen könne, so Gamm. „Absurd ist, dass damit die Verbrennung fossiler Energieträger auf Jahrzehnte zementiert wurde, da auch das neue 300-Millionen-Gaskraftwerk nicht einfach nach ein paar Jahren wieder vom Netz genommen werden kann. Diese 300 Millionen kann man sinnvoller für innovativen Klimaschutz investieren.“
Der energie- und umweltpolitische Sprecher der Links-Fraktion, Stephan Jersch, sagte: „Dieser Kompromiss ist einfach zu wenig, um darüber jubeln zu können. Der gesellschaftliche Druck hinter der Forderung der Volksini nach einem kompletten Kohleausstieg bis 2025 ist enorm, Hamburg ist eine der reichsten Städte Europas, ihr gehören die Anlagen – und trotzdem verschleppen SPD und Grüne den dringend nötigen Kohleausstieg, vertrösten die Hamburger_innen auf eine schönere Zukunft.“ Seine Fraktion werde diesem Kompromiss kaum zustimmen können.
FDP-Fraktionschef Michael Kruse bezeichnete die Einigung als "rot-grünes Blendwerk". Die wesentlichen Elemente der Einigung zur kohlefreien Fernwärme ab 2030 seien im aktuellen Senatskonzept ohnehin enthalten. "Tatsächlich wäre eine umweltfreundlichere Fernwärmeversorgung möglich, wenn die Dreckschleuder Wedel früher vom Netz ginge", so Kruse. "Dafür bräuchte es weniger Ideologie und mehr Pragmatismus bei den Verhandlern auf beiden Seiten."