Hamburg. Im Grundsatz sind sich SPD und Grüne noch einig: Das Kraftwerk Moorburg soll abgeschaltet werden – nur wie soll es ersetzt werden?

    Das waren politisch noch wunderbar einfache Zeiten damals, vor elf Jahren: Die Abgeordneten der Grün-Alternativen Liste (GAL), heute kurz Grüne, legten ihren Mitparlamentariern der damals allein regierenden CDU im Mai 2007 in bester Sponti-Manier kohlrabenschwarze Briketts auf die Abgeordnetenbänke. Dazu packten sie einen Zettel mit der spöttisch-ironischen Aufschrift „Alster, Michel, Kohle“ – mit dem Slogan „Alster, Michel, Ole“ hatte Ole von Beust 2004 die absolute Mehrheit für die Union geholt.

    Einst protestierten die Grünen mit Briketts gegen Moorburg

    Der symbolische Brikett-Gruß der Grünen sollte dazu dienen, „den Dreck zu zeigen, den die CDU mit dem geplanten Vattenfall-Kraftwerk in Moorburg nach Hamburg holt“. Ein gutes halbes Jahr später – inzwischen lief der Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl 2008 – legten die Grünen noch ein Brikett drauf. „Kohle von Beust“ war eines der Kampagnenplakate überschrieben – der Reim war eben zu verführerisch. Dazu quoll aus riesigen Schloten schwarzer Qualm. Für die Ökopartei war das Steinkohlekraftwerk von Beginn an ein „CO2-Monster“, eben eine „Dreckschleuder“ oder ein „Klimakiller“ schlechthin.

    Dann trafen die Wähler ihre Entscheidung und plötzlich saßen die Grünen mit den Schwarzen und Bürgermeister Ole von Beust am Kabinettstisch. Der war zwar wegen des Spotts nicht nachtragend, hielt aber an Moorburg fest. Schließlich hatte der alte CDU-Senat schon eine Vorab-Baugenehmigung erteilt und den Kraftwerks-Betreiber Vattenfall ermuntert, den Meiler doppelt so groß zu bauen wie zunächst vorgesehen. Die Grünen setzten in den Koalitionsverhandlungen aber durch, dass die „zuständige Behörde rechtlich über die Genehmigungs- und Erlaubnisanträge zum Bau eines Kohlekraftwerks in Moorburg entscheidet“.

    Die Partei feierte die Ersetzung der politischen durch eine rechtliche Entscheidung als Erfolg, schließlich waren die Grünen sich sicher, dass Moorburg nicht genehmigungsfähig sei. Das erwies sich als Bumerang. Verschärfend kam hinzu, dass Stadtentwicklungs- und Umweltsenatorin Anja Hajduk von den Grünen für die Genehmigung zuständig war. Am 30. September 2008 war es so weit. „Aus rechtlichen Gründen ist Vattenfall der Bau des Kraftwerks nicht zu untersagen“, räumte eine zerknirschte Hajduk ihre Niederlage ein. Zwar war die Genehmigung mit erheblichen wasserrechtlichen Auflagen versehen, aber nicht nur aus Sicht einiger Parteimitglieder hatten die regierenden Grünen einen Wählerbetrug begangen.

    Heute sind die Grünen um etliche Regierungserfahrungen reicher. Aber das Kraftwerk an der Süderelbe ist für die Ökopartei ein Stachel im Fleisch geblieben. In den Koalitionsverhandlungen über ein rot-grünes Rathausbündnis 2015 erwiesen sich die Grünen jedoch in puncto Moorburg als pragmatische Realisten, ganz so, wie es der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am liebsten hat. „Nach langer Vorlaufzeit geht das 2008 genehmigte Kraftwerk Moorburg ans Netz“, heißt es betont schlicht und knapp im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen vom Frühjahr 2015.

    Der technikfixierte Scholz hat aus seiner Sympathie für das Mega-Kraftwerk an der Elbe im Übrigen nie einen Hehl gemacht. Besonders deutlich wurde das bei der offiziellen Einweihung des Meilers im November 2015. Scholz sprach in seinem Grußwort von einem „wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer sicheren Energieversorgung Hamburgs und Norddeutschlands“. Das „leistungsstarke Kohlekraftwerk“ sei „ein Ergebnis von Ingenieurskunst nach State of the Art“. Und geradezu schwärmerisch setzte Scholz in maritimer Bildsprache hinzu, Moorburg sei „ein Tanker mit den Manövrier-Eigenschaften einer Hafenfähre“.

    Der damalige Bürgermeister wünschte der Anlage folglich ein langes Leben. „So ein Kraftwerk wie Moorburg erfordert mittlerweile milliardenschwere Investitionen. Es läuft vermutlich 40 oder 50 Jahre“, sagte Scholz. Für den Koalitionspartner von den Grünen, die Moorburg lieber heute als morgen abschalten würden, war das natürlich ein ziemlich grobes Foul.

    Nun ist Scholz nicht mehr Bürgermeister, sondern Bundesfinanzminister, Vizekanzler und weit weg. Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und Umweltsenator Jens Kerstan (beide Grüne) haben die Volksinitiative „Tschüss Kohle“ unterschrieben, die ein Abschalten von Moorburg bis 2030 verlangt – also schon in zwölf statt erst in 40 oder 50 Jahren (siehe unten stehenden Text). Ob die Obergrünen auch unterschrieben hätten, wenn Scholz sein Büro noch im Rathaus hätte?

    Die Sache ist nicht völlig frei von innerer Komik. Fegebank und Kerstan fordern über den außerparlamentarischen Umweg von sich selbst eine Korrektur der Politik, die sie einst mitgetragen haben und bis heute mitvertreten (müssen). Und: Der Senat ist verpflichtet, das Verfassungsgericht anzurufen, falls er Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Volksinitiative hat. Kerstan und Fegebank müssten also im Senat letztlich eine Entscheidung über eine Initiative treffen, die sie selbst unterstützen. Sehr unabhängig kann die Entscheidung dann nicht wirklich sein.

    Diese Umstände hatte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vermutlich im Blick, als er im Abendblatt unmittelbar nach seiner Wahl sagte, die Unterschriften der beiden grünen Senatsmitglieder seien zwar kein Affront für ihn, jedoch hinzufügte: „Aber man muss ja sagen, wer das Kraftwerk genehmigt hat. Das war der damalige Senat mit grüner Beteiligung.“

    Von Tschentscher, wie von der SPD insgesamt, gibt es keine Festlegung auf einen Termin zur Abschaltung von Moorburg. Tschentscher will Vattenfall, das sagte er im Interview, „Planungssicherheit“ geben. Das wäre nach den Moorburg-Kapriolen seit 2007 ja mal etwas ganz Neues. So viel ist klar: Das Abschaltdatum 2030, wie es Fegebank und Kerstan fordern, ist im Senat alles andere als einvernehmlich.

    Immerhin: Die Landesregierung von Schleswig-Holstein und der Senat haben auf ihrer gemeinsamen Kabinettssitzung in der vergangenen Woche als politisches Ziel beschlossen, ihre Länder bis 2035 nur noch mit Strom aus regenerativen Energien zu versorgen. Aber das bedeutet keine strenge Verpflichtung, wie die Volksinitiative sie verlangt. Und sogar Vattenfall-Chef Tuomo Hatakka hat als Unternehmensziel verkündet, das Geschäft „innerhalb einer Generation zu dekarbonisieren“, also auf Energieerzeugung aus Kohle zu verzichten.

    Im Grundsatz sind sich also alle einig: Wie der Atomstrom steht nun auch der Kohlestrom auf dem politischen Index. Und genau diese Botschaft versuchten auch die beiden Fraktionsvorsitzenden Dirk Kienscherf (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne) am Freitagmorgen auf dem Rathausmarkt zu verbreiten, schon um alle rot-grünen Zwistigkeiten zu zerstreuen.

    Tjarks und Kienscherf hatten die Ordner der „Tschüss Kohle“-Initiative mit den 22.494 Unterschriften symbolisch entgegengenommen. „Das ist ein Signal, dass alle daran arbeiten sollen, dass wir den Kohleausstieg relativ schnell hinkriegen“, sagte Kienscherf. „Uns geht es darum, dass das sozial verantwortlich geschehen muss. Das heißt: Es darf nicht dazu kommen, dass die Energiepreise stark ansteigen oder dass es zu einer Lücke im Wärmenetz kommt.“ Wie lange Moorburg noch laufe, sei eben auch eine wirtschaftliche Frage. „Ich glaube nicht, dass es noch 30 Jahre am Netz ist“, sagt Kienscherf, der damit Olaf Scholz widersprach.

    „Ein Ausstieg aus der Energieversorgung durch Kohle bis 2030, den die Initiative fordert, ist nicht unrealistisch, wenn man sich als Bundesrepublik auf den Weg macht, den Kohleausstieg zu wollen“, sagte dagegen Tjarks, der die Initiative nicht unterschrieben hat, weil sie sich an die Bürgerschaft richtet.

    2030, 2035, 2045 oder doch erst 2055? Da lauert noch manch politischer Zwist beim Zankapfel Moorburg.