Hamburg . Um einen Gewerbehof ist Streit ausgebrochen. Es geht um eine versperrte Zufahrt – und die Zukunft des gesamten Kleinods.
92 Zentimeter ragt der weiße Pfosten mit drei roten Ringen aus dem Boden. Ein Poller, wie es ihn zu Tausenden gibt, um Autos an der Zufahrt zu hindern. Dieser hier blockiert die Einfahrt zu einem Hinterhof in Ottensen an der Straße Hohenesch, ein paar Fußminuten vom Bahnhof Altona entfernt - und sorgt für massiven Unmut. „Der Poller gefährdet 80 Arbeitsplätze“, sagt Jan Hempel, der mit zwei Kollegen in seiner Firma Lichtsubjekte ungewöhnliche Lampen konstruiert.
20 Betriebe und Künstler arbeiten auf dem Gewerbehof Hagen: vom Parkettverleger über eine Gitarrenwerkstatt bis zum Saxofonlehrer. Größter Mieter mit 35 Mitarbeitern ist Koala, ein Verein für Jugendhilfe, der seit 1989 auch die Suppenküche La Cantina betreibt. Für den Altonaer Bezirksabgeordneten Christian Trede (Grüne) ist der Gewerbehof ein Kleinod: „Hier können noch Handwerker und Künstler zu bezahlbaren Bedingungen mieten, mitten im Quartier. Das müssen wir bewahren.“
Konflikt begann vor fünf Jahren
Auf den ersten Blick erinnert die Auseinandersetzung an den Streit um den Handwerker- und Künstlerhof Bernstorffstraße, der seit Monaten für Schlagzeilen sorgt. Dort wehren sich die Mieter gegen einen neuen Investor. Doch in Ottensen laufen die Frontlinien anders. Mieter und Vermieter haben sich hier sogar solidarisiert: Die Gewerbetreibenden zahlen mehr Miete, um den Rechtsstreit mit zu finanzieren.
Der Konflikt begann vor fünf Jahren, als ein Ehepaar die Immobilie auf dem Nachbargrundstück erwarb und zu drei Ferienapartments umbaute. Zu ihrem Besitz gehört auch die gemeinsame Einfahrt mit dem Gewerbehof. Und genau dies ist jetzt das Problem.
Stahlträger waren durchgerostet
„Zum damaligen Zeitpunkt war schon klar, dass die 100 Jahre alte Hofkellerdecke und auch die Stahlträger von vor 50 Jahren durchgerostet und nicht geeignet waren, um darüber zu fahren“, schreien die Inhaber der Apartments auf Abendblatt-Anfrage. Ein Statiker habe dies bestätigt, was man dem Gewerbehof auch weitergegeben habe: „Leider hat die Hagen Verwaltung dies nicht seinen Mietern mitgeteilt, die weiterhin täglich über die einsturzgefährdete Kellerdecke teils mit 3,5-Tonnen-Fahrzeugen fuhren.“ Gespräche mit der Hagen Verwaltung seien ergebnislos geblieben, daher habe man klagen müssen: „Wir haften in einem Schadensfall.“
Matthias Hagen, sein Urgroßvater kaufte 1935 den Gewerbehof, sieht das völlig anders. Zum Streit sei es gekommen, weil er eine notwendige nachbarschaftliche Zustimmung zu Umbauplänen des Ehepaars abgelehnt habe: „Ich konnte nicht zustimmen, weil das geplante Gebäude die Zuwegung auf unser Grundstück eingeschränkt hätte.“ Im Übrigen habe er den neuen Nachbarn angeboten, die Einfahrt auf seine Kosten verkehrssicher zu machen und für die Nutzung der Einfahrt ein höheres Entgelt zu zahlen. Zudem hätten auch die Mieter der Apartments über Jahre die Einfahrt genutzt.
Dreijähriges Mediationsverfahren
Die Ferienhaus-Apartment-Besitzer verweisen wiederum auf das Ergebnis eines dreijährigen Mediationsverfahrens vor Gericht: „Dort wurde als Lösung eine eigene Tordurchfahrt auf dem fast 2.000 Quadratmeter großen Gewerbegrundstück der Hagen Verwaltung GbR vereinbart, welches ich als Architektin kostengünstig hätte begleiten können.“ Das Ehepaar bezieht sich auf über hundert Jahre alte Bauzeichnungen, die aus seiner Sicht belegen, dass es eine solche Einfahrt mal gegeben habe – noch vor dem Kauf durch die Familie Hagen.
Doch der Bauausschuss des Bezirks lehnte die neue Zufahrt ab, da „eine Tordurchfahrt mitten durch das Gebäude einen massiven Eingriff in das Gebäude darstellt“. Außerdem handele es sich nicht um Wiederherstellung, sondern um einen Neubau, denn es habe eine solche Zufahrt nie gegeben. Die Apartment-Besitzer sind überzeugt, dass „die Lokalpolitik durch eine Vielzahl unrichtiger Schreiben“ unter Druck gesetzt wurde.
Genehmigung wurde im April widerrufen
Seit Februar blockiert nun ein Poller die Einfahrt – mit Genehmigung der Behörde. Diese wurde im April widerrufen, da das Gutachten nur anhand von Fotos erstellt worden sei, nicht durch eine Prüfung vor Ort. Ein neues Gutachten gibt es nun, es liegt dem Abendblatt vor. Dort heißt es: „Bei Überfahrt der Hofkellerdecke kann eine Gefahr für Leib und Leben nicht ausgeschlossen werden.“ Der Poller steht also noch immer.
„Besonders für den Getriebehof Altona ist das katastrophal, er ist auf eine Zufahrt angewiesen“, sagt Jan Hempel. Aber auch für seine Firma sei die Lage schwierig: „Wir müssen nun auf einer schmalen Straße mit mehreren Buslinien be- und entladen.“ Noch mehr treibt ihn die Sorge um, dass der Streit den Vermieter zum Verkauf bewegen könnten: „Wenn das geschehen sollte, verlieren nicht nur 80 Leute ihren Arbeitsplatz, sondern Ottensen ein weiteres Stück Vielfalt.“ Hempel ist überzeugt, dass genau dies das Ziel der Nachbarn sei: „Denen wäre es am liebsten, wenn ihre Mieter ungestört vom Treiben eines Gewerbehofs Urlaub machen könnten.“
Konflikt hat tiefe Narben hinterlassen
Die Ferienhaus-Besitzer schreiben dazu: „Richtig ist, dass der Bebauungsplan in erster Linie die Wohnnutzungen vor Lärm schützen soll. Es ist im besonderen Wohngebiet nur Gewerbe erlaubt, dass mit der Wohnnutzung vereinbar ist.“ Deshalb plädieren sie weiter für eine zweite Einfahrt: „Dann würde der Lärm für die Schlafräume, die direkt neben und über der Tordurchfahrt liegen, abnehmen.“ Auch für den Gewerbehof sei dies günstiger statt für die Sanierung der maroden Einfahrt zu zahlen. Matthias Hagen dagegen schätzt die Kosten einer neuen Zuwegung auf über 250.000 Euro, zudem ginge Vermietungsraum verloren.
Der seit Jahren schwelende Konflikt hat auf beiden Seiten tiefe Narben hinterlassen. „Die Veröffentlichung unserer Namen im Internet, die falsche Berichterstattung und die dauerhaften verbalen Attacken der Gewerbehofmieter mit Drohungen gegen unsere Mieter machen uns das Leben leider im Moment sehr schwer. Seit Jahren werden wir als Yuppies beschimpft, unsere Fassade mit Graffiti beschmiert und es wird in unsere Einfahrt uriniert“, schreibt das Ehepaar.
Auch Matthias Hagen sagt, dass ihn der Streit sehr belaste – finanziell („allein für Rechtsanwälte und Gutachter haben wir schon 30.000 Euro gezahlt“) wie psychisch: „Das zermürbt die Familie.“ Dennoch will er nicht verkaufen, obwohl das Grundstück in dieser Top-Lage mindestens zehn Millionen Euro wert wäre: „Da würden doch nur teure Wohnungen entstehen. Aber ich will die Arbeitsplätze erhalten und den Hof in dieser Form an nachfolgende Familiengenerationen weitergeben.“