Hamburg. Woche zwischen Vergangenheitsbewältigung und Aufbruch. Gibt es nach dem Aufstieg der Towers noch eine Party im Rathaus?

Auf den ersten Blick ist es nur ein schlichtes, steinernes Wasserbecken. Doch dank der Begabungen seiner Besitzerin zeigt Galadriels Spiegel „Dinge, die waren, Dinge, die sind, und Dinge, die vielleicht noch sein mögen“. So ein Gerät wie im Fantasie-Epos „Herr der Ringe“ hätte mancher im Rathaus derzeit auch gern.

Denn der Ausgang der Bezirkswahlen, die am 26. Mai in Kombination mit der Europawahl stattfinden, ist spannend wie lange nicht und könnte das politische Hamburg kräftig aufmischen – ebenso wie die Bürgerschaftswahl in neun Monaten. Wer möchte da nicht einen Blick in die Zukunft riskieren?

Wobei: Einen recht imposanten „Spiegel“ gibt es im Rathaus schon. So bezeichnet das Protokoll die prächtige Vorhalle vor dem Eingang zum Senatsgehege und zu den Sälen – traditionell der Ort, an dem der Bürgermeister hochrangige Gäste begrüßt oder aber wichtige Personalien verkündet. Ole von Beust zum Beispiel gab hier 2010 seinen Rücktritt bekannt.

Erschütternde Darbietungen

Womit wir bei den „Dingen, die waren“ sind. Auf der Treppe zum „Spiegel“ und im angrenzenden Phönixsaal empfing Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Dienstag die Hamburg Towers: Das Basketball-Team hatte sich nach dem Aufstieg in die erste Bundesliga auch die Meisterschaft in der zweiten Liga gesichert. Solche Erfolge sind rar in der selbst ernannten „Sportstadt“ Hamburg, das rechtfertigt schon mal eine Einladung ins Rathaus.

Tschentscher und der für Sport zuständige Innensenator Andy Grote (SPD) äußerten bei dem Empfang mit Blick auf den Branchenprimus im Basket- wie im Fußball die Hoffnung, dass „mal wieder eine Hamburger Mannschaft Bayern München schlägt“. Was natürlich umgehend die Frage nach dem HSV aufwirft und den „Dingen, die vielleicht noch sein mögen“. Denn der Bürgermeister ist nicht nur Anhänger des Clubs mit der Raute, er hatte Ende Januar bei einem Besuch beim HSV-Sponsor Emirates in Dubai schon angekündigt, im Falle eines Aufstiegs werde man diesen auf dem Rathausbalkon feiern.

Was angesichts der erschütternden Darbietungen der Kicker und dem Abrutschen in der Tabelle heute einigermaßen tollkühn wirkt, hatte damals eine reale Grundlage: Der HSV war Tabellenführer, mit ordentlichem Polster zu den Nichtaufstiegsplätzen. Dinge, die waren ...

Tschentscher auf dem Stadtrad

Wie hält es nun der Bürgermeister? Zum wohl vorentscheidenden Auswärtsspiel nach Paderborn am Sonntag könne er aus terminlichen Gründen leider nicht fahren, drücke dem Verein aber die Daumen, heißt es aus dem Rathaus. Beim letzten Heimspiel am Sonntag darauf gegen Duisburg werde Tschentscher aber im Stadion sein. Und die Party auf dem Rathausbalkon? Der Bürgermeister habe ja mittlerweile erklärt, dass der Aufstieg „keine Selbstverständlichkeit“ sei, so ein Senatssprecher. Tschentscher finde es zwar gut, den Sport und sportliche Erfolge im Rathaus zu würdigen. Ob das gemacht wird, müssten aber die jeweiligen Vereine und ihre Fans entscheiden. Das nennt man wohl eine diplomatische Anpassung an die Tabellensituation.

Vom Empfang für die Towers konnte der Bürgermeister am Dienstag fast direkt zu einem weiteren Termin eilen, der viel mit der Vergangenheit und der Zukunft der Stadt zu tun hatte: Auf dem Rathausmarkt stieg Tschentscher auf ein rotes Stadtrad und radelte mit großer Entourage und Polizeieskorte zum Spielbudenplatz – um dort den Startschuss für die Imagekampagne „Fahr ein schöneres Hamburg“ zu geben.

Lärmprobleme eindämmen

Der nicht ganz selbsterklärende Slogan wurde nicht etwa von einem Zufallsgenerator zusammengewürfelt, sondern von hoch bezahlten Werbern kreiert, deren Auftrag es ist, die Hamburger noch mehr für das Radfahren zu begeistern. Das ist Teil der Strategie des rot-grünen Senats, das nach dem Krieg als autogerechte Stadt wieder aufgebaute Hamburg langfristig zu einer „Fahrradstadt“ zu entwickeln – und damit Verkehrs-, Luft- und Lärmprobleme gleichermaßen einzudämmen. Von der Idee, für die die Grünen vor wenigen Jahren noch belächelt wurden, zeigt sich mittlerweile auch der Bürgermeister so angetan, dass er buchstäblich an der Spitze der Bewegung Richtung Kiez radelte.

Nebenbei bemerkt: Angesichts der sozialdemokratischen Drahteselbegeisterung sehen die Grünen mittlerweile mit Sorge, wie der große Partner in ihrem wichtigsten Teich fischt. Ihr Umweltsenator Jens Kerstan, obwohl offiziell gar nicht angekündigt, erschien daher auch zum Kampagnenstart und trat an Tschentschers Seite in die Pedale.

Argumente mit Unterhaltungswert

Nachdem auch die CDU unter ihrem liberalen Spitzenkandidaten Marcus Weinberg entdeckt hat, dass man durchaus ohne Verbrennungsmotor von A nach B kommen kann, wird die Schar derer, die die Fahne der autogerechten Stadt hochhalten, immer überschaubarer – wobei die Argumente mitunter Unterhaltungswert haben. Etwa am Montag: Da kanzelte der „Bild“-Kolumnist „grüne Enteignungsideen“ ab, womit er das Ziel meinte, den Autoverkehrsanteil auf 20 Prozent zu senken. Seine Rechnung ging so: „In der Stadt sind 794.618 Autos gemeldet. 635.696 (gleich 80 Prozent) müssten nach diesem Plan aus der Stadt verschwinden, verkauft oder verschrottet werden.“

Hmm. Wirklich? Antwort: Die Rechnung wäre nur dann nicht Humbug, wenn der Autoanteil derzeit bei 100 Prozent liegen würde. Tatsächlich liegt er aber bei rund 36 Prozent, Tendenz fallend. Der Rest der Bevölkerung fährt schon Bus, Bahn, Rad oder geht zu Fuß – solche Details können zwischen den großen Buchstaben schon mal untergehen.

Zwei Volksinitiativen beendet

Auch für die Volksgesetzgebung war es eine Woche zwischen Vergangenheitsbewältigung und Aufbruch. Am Dienstag stoppte das Hamburgische Verfassungsgericht das Volksbegehren für mehr Pflegepersonal, und am Mittwoch zog die Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ ihre Forderungen zurück, nachdem sie sich mit Rot-Grün auf einen Kompromiss verständigt hatte.

Doch während dieser im Rathaus mit Sekt und O-Saft begossen wurde, waren schon die nächsten Unterschriftensammler unterwegs: Eine neue Volksinitiative setzt sich für die Streichung der Schuldenbremse aus der Hamburgischen Verfassung ein. Im Gegensatz zu den Pflege- und Grünerhalt-Initiativen löst dieser Vorstoß, hinter dem diverse Hochschulgruppen und politische Nachwuchsorganisationen wie die Linksjugend und die Grüne Jugend stehen, im Rathaus aber wenig Besorgnis aus.

Blick in Galadriels Spiegel

Denn erstens steht die Schuldenbremse auch im Grundgesetz und würde daher auch nach einer Tilgung aus der Hamburgischen Verfassung noch gelten. Und zweitens haben die Initiatoren es nicht vermocht, selbst Wohlmeinende mit ins Boot zu holen. Das Anliegen sei ja sinnvoll, das Vorgehen aber nicht, meinte zum Beispiel Norbert Hackbusch (Linkspartei). Die Initiative habe kaum Unterstützung und sei daher zum jetzigen Zeitpunkt „ein politischer Fehler“.

Ähnlich argumentierte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): Nachdem sie von der Volksinitiative offiziell als „Unterstützer“ aufgeführt worden war, verwahrte sie sich am Freitag dagegen. Man lehne die Schuldenbremse zwar ab, unterstütze die Initiative aber nicht, so die GEW.

Mit anderen Worten: Der Blick in Galadriels Spiegel könnte für diese Initiative recht unangenehm ausfallen.