Hamburg. In diesem Teil geht es um die idyllischen Walddörfer ebenso wie um dicht bebaute Quartiere in Jenfeld oder Eilbek.
Kein anderer Stadtbezirk in Hamburg ist so tief gespalten wie Wandsbek mit seinen 435.200 Einwohnern. Der bevölkerungsreichste Bezirk der Hansestadt ist fast so groß wie Duisburg. Nur hübscher, wenn man in den wohlhabenden, an Villen reichen Walddörfern im Norden wohnt und nicht in den armen, südlichen Vierteln wie Jenfeld. Während die einen darin Vielfalt sehen, sorgt sich der Hamburger Sozialverband Deutschland darum, dass Bezirke wie Wandsbek weiter auseinander driften. Klaus Wicher, 1. Landesvorsitzender Sozialverband Deutschland (SoVD), fordert deshalb mehr Quartiersarbeit. „Das betrifft die Kinder- und Jugendarbeit genauso wie die Hilfe für Senioren oder auch eine gute Beratung rund um die Themen Job, Miete, Rente und andere soziale Fragen.“
Die rot-grüne Wandsbeker Koalition hat das Problem seit Langem auf der Agenda. So soll das Haus der Jugend Tegelsbarg (Hummelsbüttel) zu einem sozialen Zentrum im Quartier entwickelt und das Jugendzentrum Großlohe neu gebaut werden. Stadtteilarbeit, Mobilität, Stadtgrün und Naturschutz – das sind momentan die großen Themen in jenem Bezirk, in dem der Literat und Schöpfer des Liedes „Der Mond ist aufgegangen“, Matthias Claudius, zwischen 1771 und 1775 als Redakteur bei der Zeitung „Wandsbecker Bothe“ arbeitete. Das beherrschende Thema in Wandsbek der Gegenwart, darin sind sich alle einig, ist der boomende Wohnungsbau.
Im Koalitionsvertrag von 2014 hatten Wandsbeker Grüne und SPD gemeinsam festgelegt, sich auch „in den kommenden Jahren mit großer Leidenschaft dafür einzusetzen, dass das Wohnen in Hamburg bezahlbar bleibt und dabei ökologisch und klimafreundlicher wird“. Grünen-Spitzenkandidatin Maryam Blumenthal findet, dass dieser Anspruch in der vergangenen Legislaturperiode realisiert wurde, gerade der ökologische Aspekt.
Schließung des Freibades Wiesenredder
Tatsächlich wurde im Bezirk Wandsbek die Zielzahl von jährlich 1800 zu genehmigenden Wohneinheiten teilweise deutlich übertroffen. Allein im vergangenen Jahr waren es 2252, im Jahr 2016 sogar 3105. In diesem Jahr (Stand April 2019) hat das Bezirksamt mit Bezirksamtsleiter Thomas Ritzenhoff (SPD) an der Spitze bereits 944 Genehmigungen für Wohneinheiten erteilt. Die Schwerpunkte lagen unter anderem beim Großprojekt Jenfelder Au, Moosrosenweg, Bramfelder Dorfplatz, Bramfelder Dorfgraben und im Brauhausquartier.
Allerdings schlägt die Schließung des beliebten Freibades Wiesenredder zugunsten des Wohnungsbaus weiterhin Wellen. Der Rahlstedter CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Karl-Heinz Warnholz hatte zur Zukunft des Freibades immer wieder „Schriftliche Kleine Anfragen“ gestellt, die stets ausweichend beantwortet wurden. Jetzt ist klar: SPD und Grüne planen auf dem Gelände eine dreigeschossige Wohnbebauung mit 130 bis 150 Wohnungen.
Nur 30 Prozent davon sollen auf Sozialwohnungen im 1. Förderweg entfallen. Gerhard Bauer, Bezirksabgeordneten der Linken, sagt: „Die zwischen Arm und Reich immer größer werdende Schere macht es umso wichtiger, Freiräume zu erhalten, in denen Jugendliche und Familien mit Kindern jenseits finanzieller Unterschiede Orte der Erholung finden.“ Bauer kritisiert, dass dazu ein Bürgerbegehren nicht zugelassen wurde.
Großes Thema der nächsten Wahlperiode
Das große Thema der nächsten Wahlperiode dürfte der Nahverkehr sein. Die Parteien sind sich einig, dass für die Entwicklung des ÖPNV mehr getan werden muss. Aber bei der Umsetzung gibt es verschiedene Ansichten. CDU-Spitzenkandidatin Franziska Hoppermann hat da klare Vorstellungen: „Die P+R-Gebühren gehören abgeschafft. Und wir setzen uns für getrennte Radwege von der Straße ein.“ Radstreifen auf Hauptstraßen seien keine sinnvolle Förderung des Radverkehrs. „Wir halten nichts von den veralteten Velorouten. Unser Schwerpunkt liegt auf dem Ausbau der Radwege zu den Bahnhaltestellen.“
Der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Hamburg Richtung Bad Oldesloe zur S 4 sollte nun endlich beginnen, wünschen sich viele Pendler. Bezirks- und Bürgerschaftsabgeordnete wie Ole Thorben Buschhüter (SPD) haben jahrelang dafür gekämpft. Sollten die Bauarbeiten im Jahr 2020 beginnen, könnte die erste Teilstrecke zwischen Hamburg-Hauptbahnhof und Rahlstedt 2025 fertig sein.
Die Inbetriebnahme der gesamten Strecke ist für 2027 geplant. Was eine Entlastung für den ÖPNV bringt, erzürnt freilich einige Anwohner im Bezirk. Sie fürchten, dass künftig auf dieser Trasse verstärkt lange Güterzüge von Skandinavien bis nach Südeuropa rollen sollen. Die Politiker, heißt es bei Bürgerinitiativen, sollten den Protest ernster nehmen.
Neues Gewerbegebiet
Als einen Erfolg bewertet die rot-grüne Koalition die Entwicklung eines neuen Gewerbegebiets, das in Kooperation mit Schleswig-Holstein realisiert wird. Südlich und östlich des Gewerbestandorts Merkurpark soll der Victoriapark entstehen. Das Gelände ist 78 Hektar groß. Davon werden, heißt es im Bezirksamt Wandsbek, 28,5 Hektar auf Gewerbeflächen, acht Hektar auf Straßen und 41,5 Hektar auf Grünflächen entfallen. Ziel sei der Landschaftsausbau „Große Heide“. Die Bebauungspläne für die Landschaftsschutzgebiete wie der Hummelsbütteler Feldmark werden dagegen von der Opposition und Bürgern als politische Fehlentscheidung kritisiert.
Was noch in Wandsbek ansteht: ein funktionierendes und nicht mehr unterfinanziertes Bezirksamt. Franziska Hoppermann von der CDU sagt: „Dafür braucht es eine Leitung, die zum Wohle des Bezirks entscheidet und nicht die Senatspolitik einfach durchregiert.“
Anja Quast
Die langjährige SPD-Fraktionschefin Anja Quast macht Politik, seit sie denken kann. Mit 18 Jahren trat sie in die SPD ein und stritt in Jusokreis, Distrikt und Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen für die Rechte derer, die nach Meinung der dreifachen Mutter zu wenige hatten oder sie nicht recht wahrnahmen. Quast studierte Politik, Geschichte und Pädagogik und arbeitete lange für Abgeordnete. Vor drei Jahren wechselte sie in die Sozialbehörde und suchte im Koordinierungsstab für die Flüchtlinge zuerst Grundstücke und dann kraft ihres politischen Amtes den Ausgleich mit denjenigen Anwohnern, die keine oder nur wenige Neuankömmlinge akzeptieren wollten.
„Gestalten ist besser als zugucken“ sagt die Duvenstedterin, die deshalb die Bezirkspolitik für sich entdeckte. „In Verkehrs- und Baufragen können wir direkt vor der Haustür sehr viel regeln.“ Quast legt Wert auf gute Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg, was in der „kleinen Politik“ anhand konkreter Fragen leichter fällt als im Streit um „große Linien“.
Beim Wohnungsbau dreht sie aber lieber am großen Rad und verweist darauf, dass die Mieten in Hamburg klar langsamer steigen als in anderen deutschen Metropolen. Wenn sie nicht politisiert, kocht sie gern. Auf dem Heimweg in der U-Bahn klärt sie per WhatsApp, wer alles zu Hause ist und was serviert wird. axö
Franziska Hoppermann
Die CDU-Spitzenkandidatin Franziska Hoppermann verbindet Scharfsinn und Bissigkeit mit einer großen Portion Warmherzigkeit. Bezeichnend für ihren Politikstil sind die freundlichen, aber bestimmten Erklärungen, die sie in Ausschusssitzungen der Verwaltung angedeihen lässt, wenn diese mal den Wald vor lauter Bäumen bzw. die Schliche durch das Dickicht der Verwaltungsvorschriften nicht sieht. Der Widerstand der Beamten hält selten lange an.
Bemerkenswert auch, dass sich die 37-jährige als Sozialpolitikern unter den jungen, eher konservativen Hirschen der Wandsbeker CDU-Fraktion an die Spitze kämpfen konnte. Die leitende Regierungsdirektorin aus der Justizbehörde sitzt seit 2004 in der Bezirksversammlung. Sie sieht drei große Aufgabenfelder im Bezirk. Das Umsteigen vom Auto auf die Bahn sei durch bessere Radwege zu den Bahnhöfen und gebührenfreie P&R-Parkhäuser zu fördern.
Für ein besseres Leben mit dem Zuzug müssten die Kürzungen bei den sozialen Einrichtungen korrigiert und die Grünflächen gesichert werden. Ein neuer Flächennutzungsplan solle sagen, was grün bleiben und was besiedelt werden könne. Außerdem müsse das Bezirksamt seine Aufgaben abarbeiten können. Dafür fehle derzeit Personal für sechs Millionen Euro. Die Diplomkauffrau Hoppermann ist verheiratet und hat einen Sohn. axö
Maryam Blumenthal
Sie spielt in ihrer Freizeit Basketball, bildet an einer Beruflichen Schule in Bad Oldesloe Erzieherinnen aus und hat drei Kinder. Doch nicht nur das: Die 33-jährige Maryam Blumenthal ist seit 2014 Mitglied der Grünen-Fraktion-Wandsbek und inzwischen Parlamentarische Geschäftsführerin. Jetzt kandidiert die gebürtige Iranerin, die als kleines Mädchen als politischer Flüchtling nach Deutschland kam, als Spitzenkandidatin für die Grünen bei der Bezirkswahl in Wandsbek.
Zu den Erfolgen der vergangenen Legislaturperiode zählt sie: „Wir haben es geschafft, dass Geflüchtete und Zugezogene ein Dach über den Kopf bekommen haben.“ Die Wohnungspolitik mit ihren ökologische und sozialen Parametern sei erfolgreich gewesen. „Stolz bin ich auch, dass wir bei der Inklusion viel geschafft haben.“ Blumenthal, die mit Mann und Kindern in Volksdorf lebt, will sich in der nächsten Legislaturperiode vor allem für die Verkehrspolitik einsetzen.
„Das ist mein Herzensthema.“ Als Mutter und Erziehungswissenschaftlerin bleibt ihr auch künftig das Thema Chancengleichheit wichtig. „Die Kinder sind die Schwächsten in der Gesellschaft, die müssen besonders berücksichtigt werden.“ Jedes Kind, fügt sie hinzu, müsse die gleichen Chancen haben. Sie selbst, das zeigt die Biografie der in Teheran Geborenen, hat die Chancen in Deutschland genutzt. esh
Rainer Behrens
Dieser Wandsbeker trägt sein Herz links. Der gelernte Diplom-Ingenieur Rainer Behrens sitzt seit 2008 im Regionalausschuss Walddörfer und kämpft darum, dass Wohnraum, Bildung, Kultur und Dienstleistungen auch in den vermeintlich gut situierten Walddörfern bezahlbar bleiben. Auch hier gebe es Menschen, die sich niemals einen Besuch des Wiener Caféhauses in der neuen Ohlendorff’schen Villa leisten können, sagt er.
Der 68-Jährige ist Spitzenkandidat der Linken. „In Wandsbek sind die Lebensbedingungen und die politische Teilhabe zwischen dem wohlhabenden Norden und ärmeren Stadtteilen im Süden und Osten extrem unterschiedlich“, sagt Behrens, der früher beruflich in führenden Positionen der Produktentwicklung und im Marketing tätig war. Belastungen durch Zuzug und Nachverdichtung würden „opportunistisch auf die so schon schlechter gestellten Siedlungen abgeladen“.
Behrens, Fraktionsvize der Linken und Fachsprecher für Stadtentwicklung und Wirtschaft, lehnt „Regieren per Evokation und Senatsanweisung ab“, wie es so vorkomme. Statt dessen möchte der Politiker, dass die Linken „Sprachrohr der Bürgerinitiativen“ sind. Wichtig seien mehr kreative Freiräume und Ideen aus den Stadtteilen, alternative Wohnformen und Baugemeinschaften.“ esh
Dietmar Wagner
Der 1952 im hessischen Limburg an der Lahn geborene Dietmar Wagner kam vor 35 Jahren in die Hansestadt. Als Lehrer hat er an katholischen Schulen in St. Georg, Barmbek und Wandsbek unterrichtet, zuletzt als Schulleiter der Grundschule St. Joseph. Mit der Pensionierung vor eineinhalb Jahren ist der passionierte Heimwerker voll in die Politik eingestiegen. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Die Tochter studiert, der Sohn ist in der Lehre. Sein politisches „Erweckungserlebnis“ hatte Wagner in den 2010er-Jahren, als zwischen den Gymnasien Matthias Claudius und Charlotte Paulsen eine Klinik für Drogenkranke entstehen sollte. Er beteiligte sich an der Bürgerinitiative, die das Projekt verhinderte.
Heute kämpft Wagner, für den die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine „linksradikale Kaderorganisation“ ist, gegen „linksradikale Umtriebe“ an Schulen wie der Ida-Ehre-Schule, wo die Schüler „zum Tragen von Antifa-Bannern aufgefordert werden.“
Wagner wirkt konziliant, ist aber in seinen politischen Grundüberzeugungen knallhart. Er opponiert gegen Einwanderer und den „Import archaischer Strukturen, Kriminalität und Terror“, gegen den Euro und „unkontrollierten Machthunger in Brüssel“. Er will eine „geregelte Einwanderung“ und „sichere deutsche Sparguthaben, Sozialversicherungen und Renten“. axö
Birgit Wolff
Seit drei Jahren erst hat die neue FDP-Spitzenkandidatin für Wandsbek, Birgit Wolff, ihren Berliner Kiez mit dem in Hummelsbüttel getauscht. Die Wissenschaftsjournalistin ist seit 1990 FDP-Mitglied und versteht sich als Hüterin menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten. „Es ist vieles machbar, wenn man sich einbringt.“ Am Tegelsbarg unterstützt sie das Quartiersbüro bei Projekten zur Flüchtlingsintegration. Eigeninitiative und Respekt vor der Leistung anderer prägen ihr Denken.
Wandsbek sieht sie vor großen integrativen Aufgaben. Sehr arme, dicht gedrängt lebende Menschen prallen auf Begüterte im geräumigen Wellingsbüttel, überdurchschnittlich viele junge treffen auf überproportional viele alte Menschen. „Es braucht einen Rahmenplan für ganz Wandsbek.“ Beim Wohnungsbau wird ihr zu wenig Rücksicht genommen auf gewachsene Strukturen am fast ländlichen grünen Rand.
Die Mobilität müsse verbessert, das Parken in P&R-Häusern kostenlos und ein Konzept zur Förderung des Radverkehrs entwickelt werden. „Radwege soll man bauen, nicht malen“ sagt Wolff in Anspielung auf die weißen Linien der auf die Fahrbahn verlegten Radwege. Begeistern kann sie sich für große Ingenieursleistungen. „Ich sitze gern auf meinem Balkon in der Hummelsbütteler Einflugschneise und gucke den Fliegern zu. Faszinierend.“ axö
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