Hamburg. „Boutique Fitness“ mit Schlittenfahren, Spinning im Dunkeln und Performance Consultant. Hamburgs neue Fitness im Abendblatt-Test.
Der Winter ist vorbei, doch wir gehen Schlitten fahren. Megaformer heißt der Schlitten offiziell, er besteht aus einer längeren Platte in der Mitte und zwei kürzeren an den Enden, die über Federn miteinander verbunden sind. Wer seine Muskeln nicht im Griff hat, für den werden die nächsten 45 Minuten eine rutschige Angelegenheit. Also für mich.
Dabei dachte ich eigentlich, sportlich zu sein, und hatte in einer Mischung aus Neugier und kompletter Selbstüberschätzung vorgeschlagen, an drei aufeinanderfolgenden Tagen in Hamburg vier verschiedene der sogenannten Boutique Fitness Studios auszusuchen und mir diese natürlich nicht nur anzugucken. Nein, ich wollte richtig mitmachen, um herauszufinden, woher dieser Trend plötzlich kommt, wieso immer mehr Menschen lieber in kleineren Gruppen trainieren, anstatt weiterhin in die normalen Fitnessstudios zu gehen.
„Meinst du nicht, das wird zu anstrengend?“, hatte mich der Fotograf vor unserem ersten Termin vorsichtig gefragt. Doch ich befand mich noch ganz im Rausch von Dirk Nowitzkis Rücktritt und dessen Megakarriere, und ein Sportler wie er beschwert sich ja auch nicht über seine 1.522 NBA-Spiele.
Streckbank: Leider bin ich nicht Dirk Nowitzki
Problem an der Sache nur: Ich bin nicht Dirk Nowitzki. Wussten bis zu dem Zeitpunkt alle bis auf mich. Deshalb mache ich Scherze, als ich mich auf den Schlitten begebe: „Sieht aus wie eine Streckbank, was wird das hier, Folter?“ Ich lache. Die junge Frau neben mir antwortet gut gelaunt: „Ja, Folter trifft es ganz gut.“ Wir befinden uns im Studio von BodyMethod in der Barmbeker Straße. Die Loft-Atmosphäre zaubert einen Hauch von Brooklyn nach Winterhude, da turnt es sich doch gleich viel kosmopolitischer.
Vor uns steht Kaya Ahrens, die gemeinsam mit ihrer Schwester Linda das Fitness-Konzept von Amerika nach Deutschland holte. Sie möchte, dass ich einen „Reversed Wheelbarrow“ mache. Aha. Ich habe keine Hand frei, um die genaue Übersetzung nachzuschlagen, denn ich muss auf der Frontplattform knien und dabei das Becken nach vorne senken. „Von hier bewegen sich nur noch die Arme vor und zurück. Bauch maximal auf Spannung,“ sagt Kaya, die ununterbrochen spricht.
BodyMethod: Schneller als ein Raketenstart
Ohne Punkt und Komma erklärt sie die Übungen, sagt an, was wir in 9,8,7,6,5,4,3,2,1 Sekunden tun. Raketenstart ist nichts gegen einen BodyMethod-Kurs. Ich muss so viel zuhören und nachmachen, dass ich gar nicht dazu komme, mich über die Anstrengung zu beschweren oder über die ungewöhnlichen Namen zu wundern. Wir machen „Scrambled Eggs“, „Escalator Lunge“, einen „Mermaid Twist“ und den „Tailbone Angel“.
Da die Gruppe nur aus zehn Personen besteht, kann der Coach darauf achten, dass jeder die Bewegungen korrekt ausführt. Bedeutet natürlich: verstecken geht nicht. Voller Fokus und voller Einsatz, eigentlich handelt es sich hier um ein Personal Training. Es sind halt nur noch ein paar andere dabei. „Genau darin liegt der Unterschied zu den großen Studios“, sagt Mitturnerin Stephanie Betz nach unserer gemeinsamen 55-minütigen Schlittenfahrt. Die 29-Jährige PR-Beraterin kann anders als ich noch sprechen: „Hier werde ich jedes Mal gefordert, habe jedes Mal Muskelkater. Ich war früher in verschiedenen Fitnessstudios angemeldet, doch ich hatte nie einen solchen Trainingseffekt.“
"Community bringt mehr als schöner Popo"
Studioleiterin Linda Stork erklärt, nur in kleinen Gruppen könne man den Einzelnen über den Punkt bringen, an dem er normalerweise aufhören würde. „Wir motivieren die Leute, weiterzumachen, erst dann wird es effektiv“. Stork selbst nahm sieben Kilo in drei Monaten ab, doch es sei nicht nur der Körper, der hier gestärkt würde, sondern auch der Geist. „Ich gehe jetzt ganz anders mit Herausforderungen um. Wir sind ja auch eine Community, die bringt dir noch viel mehr als ein hübscher Popo.“
In der Tat begrüßen sich alle, als kämen sie zu einem Kaffeeklatsch zusammen. Wie war dein Urlaub? Hast du die Präsentation geschafft? In diesem Umkleiden sind Freundschaften entstanden. „Wir leben in einer Welt, in der alles immer technischer und anonymer wird, doch dafür ist der Mensch nicht geschaffen“, glaubt Kaya Ahrens, die jeden Kunden mit Namen kennt. „Der Mensch verspürt eine große Sehnsucht nach Zugehörigkeit.“ Beim Italiener an der Ecke freut man sich ja auch, wenn der Wirt einen knutscht und fragt: „Hallo Yvonne, wie immer Penne all’arrabbiata?“ Der Mensch will erkannt werden.
Spinning im Dunkeln
Auf das Studio von HICYCLE in einem Hinterhof am Eppendorfer Baum übertragen lautet diese Ansprache: „Hey Lisa, du hast doch Größe 41, richtig?“ Jeder Kunde erhält Schuhe und ein Handtuch, um für die „Party on a Bike“ gewappnet zu sein. Ich dachte immer, bei HICYCLE handele es sich nur um eine Art Spinning-Kurs im Dunkeln, doch in den nächsten 45 Minuten werde ich eines Besseren belehrt. Hier kommen Leute zusammen, um ein Organismus zu werden. Wir bewegen uns auf den Rädern im Takt zur Musik. Aufstehen, hinsetzen, mehr oder weniger Widerstand, Gas geben und durchdrehen.
Alle in einem Rhythmus. Wie in richtigen guten Clubnächten, wenn die Tanzfläche zu einer glücklichen Einheit verschmilzt. Trainer (hier nennen sie sich „Rockstars“) Lukes sagt Sätze wie „Alles ist richtig!“ oder „Schön, dass du da bist!“ Das klingt esoterisch, aber es wirkt. Ein kollektives Highsein - nur ohne Kater. In den Kursraum geht man durch eine Tür rein, nach dem Ride durch eine andere wieder hinaus. Die Botschaft: Wir schauen nie zurück, es geht immer nur voran. Rockstar Lukes verabschiedet jeden Einzelnen per Handschlag. Schweißbrüderschaft.
700 Kalorien werden in einer Stunde verbrannt, doch beim Freistrampeln wird jeder mehr los als nur Hüftspeck. „Manchmal kommen mir in einer Stunde Tränen, so viel Endorphine schütte ich aus“, sagt Claudia Schink. Die 56-Jährige trainiert sehr häufig bei HICYCLE, gerne auch mit ihrer Tochter. „Anders als auf dem Laufband oder dem Crosstrainer gucke ich hier nicht auf die Uhr. Ich merke nicht, wie sehr ich mich auspowere, und erlebe plötzlich diesen Marathon-Moment – das macht sehr süchtig.“
Ich finde alle um mich herum toll
Hätte ich vorher nie geglaubt, doch bereits nach einer Stunde geht es mir ähnlich. Ich finde alle um mich herum toll, meine Laune ist bestens, ich will sofort Mitglied werden – ach, das muss man ja gar nicht! „Niemand möchte sich heutzutage mehr zu etwas verpflichten, vor allem die Jüngeren nicht, die wissen teilweise gar nicht, wo sie in drei Monaten arbeiten werden, ob sie vielleicht umziehen müssen“, erklärt Michaela Cordes, die Gründerin von HICYCLE. „Unser Konzept geht auf die Kunden zu.“ Also keine Verträge, nur zahlen, wenn man wirklich Sport macht. Ein Kontrastprogramm zu den großen Anbietern, die auch von sogenannten Karteileichen leben.
Michaela Cordes setzt hingegen auf die Effizienz ihres Systems, alles läuft online, man bucht sich vorab in einem bestimmten Kurs ein. Manche Trainer sind so begehrt, dass sich echte Fans einen Alarm im Handy stellen, wenn Sonntags um 12 Uhr der Plan für die nächste Woche freigeschaltet wird, um sich einen Platz zu reservieren. Im März gab es insgesamt 4000 Buchungen, nach einem zähen Beginn läuft es nun rund bei HICYCLE. „Boutique Fitness ist einfach die Zukunft,“ glaubt Cordes.
Die Zahlen scheinen ihr Recht zu geben. Im Ausland laufen Fitnessboutiquen den klassischen Studios bereits den Rang ab. In den USA (und fast jeder Sporttrend kommt aus den USA) machen Boutique-Studios mittlerweile 21 Prozent des 22,4 Milliarden US Health-Club-Marktes aus. „Sie gehen einfach besser auf die Bedürfnisse der Großstadt-Millennials ein“, sagt Teiko Nielson von Urban Heroes am Gänsemarkt, wo ich als nächstes bei einer HIIT-Session mitmachen werde.
Fitness à la HIIT: den Stress minimieren
HIIT ist ein Mix aus Ausdauer- und funktionellem Muskelaufbautraining, stärkt das Herz-Kreislauf-System und minimiert angeblich Stress. „Optimal für gestresste Anwälte“ heißt es auf einem Werbetext. Ob es auch optimal für gestresste Journalisten ist? Wir werden es in den nächsten 35 Minuten sehen. So kurz sind die Trainingseinheiten („Lunch Classes“) um 12.15 Uhr und 13 Uhr, extra Mittagspausen kompatibel.
Wie beim HICYCLE begeben wir uns wieder mitten am Tage in die Dunkelheit – und dennoch geht die Sonne auf. Was für eine Energie hier im Red Room pocht! Der Trainingsraum heißt wegen seines Lichtkonzeptes so, das rote Licht soll die Leistung steigern, fördert die Durchblutung, und vor allem sieht man darin gleich viel besser aus.
„Das Licht und die Musik pushen dich nach vorne, wirst sehen!“ sagt Trainer Kofi, erklärt mir kurz den Ablauf (vier Durchgänge, zwei Mal sieben, zwei Mal sechs Minuten lang) und macht mich sofort zum Familienmitglied: „Willkommen in der Hero Family!“ Fehlt eigentlich nur noch die Taufe, aber nun muss ich erst mal richtig schnell laufen.
Wir kombinieren Sprinteinheiten auf Laufbändern mit Krafttraining. Kofi bietet jeweils drei verschiedene Schwierigkeitsstufen an, für Beginner, für Heroes und für Superheroes. Ich sage mal so: Es fällt schwer, ein Held zu sein. „Die Steigung ist nicht optional, Yvonne!“ ruft Kofi. Verdammt, auch hier fällt dem Coach aufgrund der übersichtlichen Gruppe gleich auf, wenn jemand schummelt. Zuckerbrot und Peitsche scheint das Prinzip zu sein, denn gleich darauf: „Das sieht schön aus, perfekt!“ Puh. Ich will meinen Trainer und Verwandten nicht enttäuschen und halte durch. Aber es waren die längsten 35 Minuten meines Lebens.
Der Smoothie soll die verloren Mineralien zuführen
Nach dem Kurs erhält jeder zur Belohnung an der Bar einen Shake, und zwar keine Plörre aus Wasser und Proteinpulver, sondern aus echten Zutaten. Der Smoothie soll die verloren Mineralien wieder zuführen und kann gleichzeitig das Mittagessen ersetzen. „Andere haben nun ein Nudel-Tief, aber hier geht man nach seiner Pause voller Energie wieder heraus“, sagt Teiko Nielson.
Von Rot zu Rosa. Als letztes trainiere ich bei BionicFIT in den Großen Bleichen. Chef Patrick Maschke ist einer von diesen Typen, die einen eigentlich abschrecken. Jeder Muskel so definiert, dass man sich selbst aufgrund dieser Unerreichbarkeit sofort mit drei Tafeln Schokolade aufs Sofa legen möchte. Doch sein Studio, das im Mai offiziell eröffnet, sieht so schön aus, dass ich bleiben muss. Alles Rosa, sogar die Kettle Bells. Die Zielgruppe ist klar: Frauen. Instagram-Frauen.
Es gibt extra einen Lounge-Bereich, in dem sie ihre Handys aufladen und gleich nach dem Training Fotos davon posten können; Maschkes Freundin hat allein mehr als 500.000 Follower. Die Ausstattung des Studios steht dem eines Luxushotels in nichts nach, in der Umkleide bin ich sofort verliebt: die Föhne sind von Dyson! Ich meine, ein Dyson Supersonic! Der Dirk Nowitzki unter den Haartrocknern.
Maschke kennt sich aus mit Frauen
Maschke kennt sich einfach aus mit Frauen: „Die zeigen beim Training mehr Biss als Männer!“ Den brauche ich aber auch. Zum Aufwärmen erst mal 100 Hampelmänner. Zehn langsam, zehn schnell. Dann Übungen wie Squats, Walk outs, Battle Ropes und Kettle Bell Swings. Der „Performance Consultant“ kümmert sich aber nicht nur um die Muskeln seiner Kundinnen, der 33-Jährige berät sie ganzheitlich: „Mentale Stärke und ein wacher reflektierender Geist sind im Trend. Schnell zählt wieder der Mensch und nicht die vermeintlich schöne Silhouette“. Eine Übersicht über den Kursplan findet man ausschließlich über Instagram (@bionic.FIT), dort kann man auch Termine vereinbaren.
Wie schon den Verantwortlichen der anderen Boutique Fitness Studios geht es auch Maschke um das Erlebnis der Community: „Das hier soll ein Ort der Begegnung sein. Viele sind heutzutage so isoliert und so einsam, da will ich angreifen.“ .
Nach so viel Angriff ergebe ich mich jetzt. Dem Muskelkater.