Hamburg. Ob Großprojekte oder die Umsetzung von EU-Recht – die Union ist in der Hansestadt sehr präsent. Sogar bei Übungen im Hafen.

Es war nur ein einziger Satz. Aber manchmal genügt das schon, um im Hamburger Rathaus Jubel oder Depressionen auszulösen. „Decision finding that the measures do not constitute aid“, verkündete die EU-Kommission am 15. April auf ihrer Homepage. Etwas frei übersetzt: „Die Entscheidung lautet, dass die Maßnahmen keine staatliche Beihilfe darstellen.“

Es ging um den Rückkauf des Fernwärmenetzes durch die Stadt, und mit dieser Entscheidung machte Brüssel den Weg dafür frei. Dass Hamburg mehr für das Netz an Vattenfall bezahlen muss, als es einem Gutachten zufolge wert sein soll, sahen die Kommissare nicht als unlauteren Wettbewerb. Damit kann nach dem Rückkauf des Strom- und des Gasnetzes auch der letzte Schritt bei der Rekommunalisierung der Energienetze gegangen werden, die immerhin die Hamburger 2013 per Volksentscheid durchgesetzt hatten. Die Erleichterung im Rathaus über denen einen Satz aus Brüssel – die ausführliche Begründung folgt erst noch – war so groß, dass der Senat tags darauf zu einer Pressekonferenz einlud, um seiner Freude Ausdruck zu verleihen, nun endlich den Willen der Bürger vollends umsetzen zu können.

Viele bedeutende Fälle

Dies ist nur der aktuellste von vielen bedeutenden Fällen, in denen Hamburg von Entscheidungen auf europäischer Ebene abhängig ist. Und die sind keineswegs immer so erfreulich wie bei der Fernwärme. So hatte ebenfalls die EU-Wettbewerbskommission die letzte große Rettungsmaßnahme der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein für ihre HSH Nordbank im Mai 2016 nur unter der Auflage genehmigt, die Bank zu privatisieren – und das bis Februar 2018, also innerhalb von weniger als zwei Jahren.

Das hatte manchen Regierenden, insbesondere den damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und seine Kieler Amtskollegin Monika Heinold (Grüne), unter enormen Druck gesetzt. Wie groß der war, zeigte sich am 28. Februar 2018: Als der Verkauf geglückt und verkündet war, fielen sich Tschentscher und Heinold­ erleichtert in die Arme.

602 Projekte werden von EU gefördert

Schon legendär ist das Thema Elbvertiefung. Auch hier war es unter anderem EU-Recht, das das Projekt immer wieder verzögerte, genau genommen die europäische Wasserrahmenrichtlinie. Die schreibt vor, dass sich die Bedingungen eines Gewässers nicht verschlechtern dürfen. Inwiefern das im Falle einer Ausbaggerung der Elbe der Fall sein würde, wie gravierend das wäre und ob nicht der Nutzen für Hafen und Wirtschaft höher zu bewerten sind – diese Fragen beschäftigten über Jahre die Gerichte, vor allem deutsche, aber auch den Europä­ischen Gerichtshof (EuGH). Hier fiel die finale Entscheidung zwar nicht auf EU-Ebene, sondern vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dennoch atmete man im Rathaus auf, als die letzte Hürde genommen war.

„Viele Entscheidungen, die in Brüssel und Straßburg getroffen werden, wirken sich direkt auf unser Leben aus“, sagt Staatsrätin Annette Tabbara, Hamburgs Bevollmächtigte beim Bund und bei der EU. Sie hat dabei nicht nur die großen Leuchtturmprojekte im Auge, sondern auch viele kleine. Insgesamt 602 Projekte in Hamburg würden derzeit aus EU-Mitteln gefördert, sagte Tabbara.

Drei große Fördertöpfe

Die Masse der Mittel fließt über drei große Fördertöpfe: Der bekannteste ist noch der Europäische Sozialfonds (ESF), dessen Ziel es sei, „faire Bedingungen für jeden Einzelnen zu schaffen, zugleich nationale Arbeitsmärkte zu stärken und so eine Angleichung der Lebensverhältnisse in den EU-Ländern zu erreichen“, so die Sozialbehörde. In Hamburg wurden in dieser Förderperiode, die von 2014 bis Ende 2020 läuft, 79 Projekte mit bislang 78 Millionen Euro gefördert – wobei wie bei vielen großen EU-Fördertöpfen gilt, dass das Empfängerland, in diesem Fall also Hamburg, die gleiche Summe dazugeben muss.

Der zweite große Topf ist der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der vor allem Wachstum und Beschäftigung fördert. Aus ihm erhielt Hamburg in der aktuellen Förderperiode bislang 55 Millionen Euro. Zu den 25 unterstützten Projekten gehören unter anderem die Errichtung eines neuen Forschungsbaus für das Fraunhofer Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML) sowie die Förderung junger Hamburger Firmen.

Erfahrungen sammeln

Deutlich voluminöser, aber dennoch kaum bekannt ist das Programm „Horizont 2020“, das vor allem Spitzenforschung fördert. Fast 200 Millionen Euro sind daraus von 2014 bis 2018 nach Hamburg geflossen, unter anderem in das Projekt „My Smart Life“: Damit sollen angesichts von Bevölkerungswachstum und Klimawandel digitale Lösungen für Zusammenleben, Mobilität, Produktion und Konsum erforscht werden. In Hamburg werden dafür in einer Region nahe dem Bergedorfer Zentrum allerlei technische Innovationen ausprobiert: etwa Straßenlaternen, die gleichzeitig WLAN bieten und Verkehrsdaten erfassen oder eine voll elektrifizierte Pkw-Flotte des Bezirksamts. Ein Ziel ist zudem, die örtlichen E-Busse ausschließlich mit lokal produziertem Ökostrom zu versorgen. „Wir haben es durch EU-Fördermittel geschafft, ein Testlabor in Bergedorf einzurichten“, sagt Tabbara. Die Erkenntnisse daraus könnten später auf andere Teile Hamburgs ausgedehnt werden.

Auch bei dem Projekt „Hazard“ geht es darum, Erfahrungen zu sammeln: Es zielt darauf ab, durch die Zusammenarbeit europäischer Partner Unfälle und Notfälle in großen Seehäfen möglichst zu verhindern und die Risiken des Gefahrgüterumschlags zu minimieren.

Umstrittene Verordnung

Wie stark der Einfluss der europä­ischen Ebene mittlerweile auf Hamburg ist, zeigen auch die juristischen Verflechtungen: Zwischen 150 und 200 sogenannte Rechtsakte der Kommission und des EU-Parlaments erreichen den Stadtstaat Jahr für Jahr. Das sind zum einen Verordnungen wie die umstrittene Datenschutz-Grundverordnung, die unmittelbar gelten.

Andererseits handelt es sich um EU-Richtlinien, die in Bundes- oder Landesrecht überführt werden müssen. Und hier haben Bund und Länder einen gewissen Spielraum, den manche Akteure auch politisch zu nutzen versuchen. Grundsätzlich gilt in der EU das Subsidiaritätsprinzip. Es besagt, dass öffentliche Aufgaben möglichst bürgernah wahrgenommen und die EU nur dann tätig werden soll, wenn die Ziele auf den unteren Ebenen der Staaten und der Länder nicht erreicht werden können.

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    Federführend bei der Subsidiaritätsprüfung in Hamburg ist das Referat Europapolitik der Senatskanzlei mit 13 Mitarbeitern. Die eingehende inhaltliche Prüfung übernehmen die Fachbehörden, in denen sich rund 20 Referenten ganz oder teilweise mit den EU-Rechtsakten beschäftigen. Alle Stellungnahmen landen im Europaausschuss der Bürgerschaft, der abschließend darüber berät.

    Frühzeitig auf Planungen Einfluss nehmen

    Äußerstenfalls kann Hamburg eine Subsidiaritätsrüge beschließen und sich um eine Mehrheit unter den Ländern im Bundesrat bemühen. Doch selbst Insider können sich nicht an den Beispielfall einer Subsidiaritätsrüge erinnern. „Hamburg ist eines der europafreundlichsten Länder Deutschlands. Das zeigt sich auch darin, dass wir mit Vorschlägen der EU-Kommission konstruktiv umgehen“, sagt Henrik Lesaar, Referatsleiter Europapolitik in der Senatskanzlei.

    Die Hamburger Europapolitik setzt darauf, möglichst frühzeitig auf Planungen der EU Einfluss zu nehmen. In diesem Zusammenhang sind die Hamburger Europaabgeordneten wichtig – derzeit gibt es mit Knut Fleckenstein (SPD) allerdings nur einen. Als eine Art „Frühwarnsystem“ funktioniert vor allem das Hanse-Office in Brüssel, das Lobby-Arbeit für die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein betreibt. „Es geht darum, frühzeitig an Informationen darüber zu kommen, was in Brüssel geplant ist“, sagt Lesaar. „Das Hanse-Office leistet in dieser Hinsicht sehr effektive Arbeit.“