Hamburg. Der Koch startet heute seinen Podcast „Fiete Gastro“, in dem er alle zwei Wochen einen Überraschungsgast empfängt.
Die Tür muss aufbleiben. So kleine geschlossene Räume, das liegt Tim Mälzer nicht. Am liebsten würde er beim Reden auch herumlaufen, erzählt er vor seiner Premiere, aber gut, die Holzbank in dem kleinen OMR-Podcast-Studio tut es auch. Mälzer trägt einen sehr pinken Kapuzenpulli. Pinker kommt nicht mal Kim Kardashian daher. Eigentlich schade, dass hier heute keine Kamera läuft, diesen Look sollte man gesehen haben. Doch in den nächsten zwei Stunden wird der berühmte Gastronom und Fernsehkoch (der 48-Jährige hasst diese Kategorisierung) beweisen, wie überflüssig sein Anblick ist. Klingt jetzt irgendwie gemein, soll jedoch ein Lob sein. Denn um gut unterhalten zu werden, braucht es weder pinke Pullis noch dieses mälzertypische dynamische Herumspringen zwischen verschiedenen Töpfen.
Es braucht nur diese eine Zutat, die der Hamburger richtig gut verwendet: seine Stimme. Was kann der Junge labern! Drei Sterne. Die Aufnahme startet, Tim Mälzer stellt sich den Zuhörern vor: „Mälzer mein Name, von Beruf Koch, 1,81 Meter groß, 103,4 Kilo schwer, die sich sehr attraktiv verteilen. Ich mag Panieren, Yoga, Freelatics und lebe nicht vegan.“ Keine Ahnung, ob Mälzer je eine Freelatics-Übung gemacht hat. Sieht irgendwie wenig danach aus, doch bei ihm weiß man nie. Mälzers Leben ist ein Abenteuerspielplatz, er macht alles, klettert hoch, fällt runter, wieder von vorne: „Ich finde es toll, dass ich so viele Baustellen betreten darf. Bei mir liegen Sieg und Niederlage immer nah beieinander.“ Hier nur eine kurze Zusammenfassung: Tafelhaus, Goldene Kamera für die Kochsendung „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“, Bullerei, Burn-out, Pause, Deutscher Fernsehpreis 2017 und 2018 für die Vox-Show „Kitchen Impossible“.
Er übt einen Mädchenberuf aus
Sein neuestes Projekt, das nun seit wenigen Minuten läuft, heißt „Fiete Gastro“. Mit dem „revolutionären Kultinarikpodcast“ möchte er eine personifizierte Sicht auf die Kulinarik abliefern. Das Konzept: Gastronom (er) und Gast (in jeder Folge ein anderer, von dem Mälzer zuvor nichts weiß) setzen sich an einen Tisch und unterhalten sich. Zur Einstimmung spricht Mälzer jedoch immer ein paar Minuten mit Sebastian Merget, den er konsequent „Redakteur“ nennt, woraufhin Merget gerne antwortet, er sei „kreativer Direktor“.
Auf jeden Fall ist Merget der Side-Kick, kümmert sich um die Suche und Verpflichtung von Gästen und bereitet den Podcast inhaltlich vor. So liegen Papiere mit möglichen Gesprächsthemen hübsch ausgedruckt auf dem Tisch vor Tim Mälzer – am Ende der zwei Stunden wird er über ganz andere Dinge geredet haben. Was schon das Erfolgsgeheimnis des Gastgebers lüftet. Er kann spontan sein, weiß immer weiter, spricht lustig und hat gute Anekdoten drauf. Ein Entertainer halt, nicht nur ein guter Koch. Inhaltlich geht es ein wenig um Kulinarik: „Ist ja ein Mädchenberuf, den ich ausübe, doch ich mag es rustikal, also koche ich mit Gas, obwohl Induktion die intelligenteste Lösung wäre“, sagt Mälzer, oder er gibt Tipps für das korrekte Zubereiten von Eierpfannkuchen („Zucker auf den Boden der Pfanne verstreuen, dann wird es außen kross und innen fluffig“) und Rührei („Erst anschließend salzen wegen der besseren Bindung!“)
Doch große Teile des Podcasts wirken wie eine gesprochene Biografie. Selten kam einem Tim Mälzer so nah vor. „Mit 18 habe ich mal versucht zu kiffen, doch das mochte ich nicht. Trinken sorgt irgendwie für den langsameren Zerfall. Ich will kein Hoch auf den Suff feiern, doch 22 Uhr, das ist die beste Zeit in der Gastronomie. Ich liebe es, dann durch mein Restaurant zu gehen. Da glänzen die Gesichter, es wird geknutscht, gelacht, gestritten, und alle verstehen sich noch.“ Später könnte es dann manchmal anders werden.
Mälzer macht alles im Exzess
Mälzer gibt zu, ein suchtaffiner Typ zu sein, der „alles im Exzess macht“ und Michael Jackson versteht, der an einer Überdosis des Betäubungsmittels Propofol starb. Bei einer Darmspiegelung sei er mal selbst in den Genuss des Medikamentes gekommen. „Soll ja kein Medizinpodcast hier sein, aber dieser Zustand der Scheiß-Egalität, der sich durch Propofol einstellt, danach ist man total frisch, wie von innen gesandstrahlt“, sagt Mälzer und lacht. Sowieso sind alle seine Sätze mit einem unsichtbaren Lächeln unterlegt, irgendwie richtig gut drauf, der geborene Elmshorner, der schon für die Queen und Lady Diana kochte.
Dieser Mann braucht nur ein Mikrofon, und schon sprudelt alles aus ihm heraus. Wie ein Freund von ihm beispielsweise die Hochkultur des Rausschmisses entwickelt habe: „Wenn er müde wurde und genug hatte von seinem Besuch, dann zog er sich zunächst immer die Schuhe und Socken unter seinem Glastisch aus. Die nächste Stufe bestand im Aufreißen der Fenster. Und wenn der letzte Vollpfosten dann immer noch nicht gemerkt hatte, dass der Abend vorbei war, nahm er dem Gast seinen Stuhl weg, wenn dieser zur Toilette ging.“
Tim Mälzer eröffnet neues Restaurant:
Tim Mälzer eröffnet ein neues Restaurant in luftiger Höhe
„Ich saß schon mal mit der elektrischen Zahnbürste in meinem Wohnzimmer, doch die Gäste machten immer noch keine Anstalten zu gehen“, erzählt Bettina Rust. Die Radio-Moderatorin darf in der Premierenfolge des Podcasts dabei sein (sie wird allerdings nicht als erste Sendung ausgestrahlt, in der tritt der Restaurantkritiker Julien Walther auf). Rust jedenfalls, die gerne die Nummer 92 bei ihrem Vietnamesen in Berlin bestellt, hat Mälzer ein Geschenk mitgebracht: Sonnenblumenhack für 3,99 Euro von Alnatura. „Hat einen ganz geilen Crunch!“ „Da sind aber nur 15 Gramm drin!“, stellt Mälzer fest. „Na ja, das reicht ja, um das dicke Mälzerchen satt zu machen.“
Auch „vegane Kacke“ wird angesprochen
Er kommt dann auf das sehr undelikate Thema, dass es Menschen gibt, die sich online „vegane Kacke“ bestellen, woraufhin Rust vollkommen zu Recht anmerkt, jetzt eigentlich dringend wegzumüssen, was Mälzer wiederum kontert mit: „Hey, du hast Hacke mitgebracht, darauf reimt sich Kacke.“ Typisch Mälzer: Themen werden in diesem Podcast ehrlich und ohne ein Blatt vor dem Mund angesprochen. Es bleibt jedoch nicht auf dem Spaßniveau, sondern wie bei einer Achterbahnfahrt geht es unerwartet in die Tiefe. Tim Mälzer erzählt davon, wie sich sein Opa, den er häufig sah, vor seinem Tod von ihm verabschiedete.
Er gab ihm 50 D-Mark und eine Tafel Schokolade und sagte: „So, mein Junge, wir sehen uns dann ja nicht mehr.“ Woraufhin Tim irritert guckte und meinte: „Hä? Wir sehen uns doch gleich beim Mittagessen, Opa.“ Doch dieser setzte sich ein paar Minuten später hin und starb. „Er wusste einfach, seine Zeit war gekommen“, sagt Tim Mälzer. So abzutreten, das sei nicht das Schlechteste. „Meine Welt des Sterbens ist eine gute.“ Als Zuhörer hat man bei einem Podcast ja eh nichts zu sagen, doch in dieser Sekunde ist man dann sprachlos.
Genau solche Momente sind es, die den derzeit unaufhaltsamen Siegeszug der Podcasts befeuern. „Kein anderes Medium kann eine solche Tiefe erreichen“, erklärt Matze Hielscher, der in seinem Podcast „Hotel Matze“ prominente Künstler interviewt (die Gespräche dauern manchmal mehr als zwei Stunden) und damit regelmäßig 70.000 bis 80.000 Zuhörer erreicht. Hielscher war selbst mal bekannt. Als Bassist bei Virginia Jetzt tourte er jahrelang erfolgreich durch die Weltgeschichte, später veranstaltete er Partys und Events in Berlin und führt nun das Medienunternehmen „Mit Vergnügen“, eine Art digitales Stadtmagazin.
Erfolg der Podcasts: Jemand flüstert in dein Ohr
In seinem Podcast spricht Hielscher sehr ruhig, er stellt Fragen, weil sie ihn persönlich interessieren, und nicht, um anschließend daraus eine Headline zu entwickeln. Es war ihm zunächst auch egal, ob er Geld mit dem Podcast verdienen werde. Darum dürfe es bei diesem Format seiner Ansicht nach keineswegs gehen, sondern um Konstanz: „Es ist leicht, einen Podcast zu machen, aber schwer, einen Podcast zu entdecken. Darum muss man dranbleiben. Läufer laufen auch bei Regen oder Schnee und nicht erst im März los oder wenn ihnen jemand ein Trikot schenkt“, sagt der 39-Jährige.
Seine Geduld würde man gerne haben. Auf das Gespräch mit Nora Tschirner, das er gerade führte, habe er zwei Jahre lang gewartet. Zwei Jahre vorher wäre es wahrscheinlich nicht so gut gelungen, glaubt Hielscher und streicht langsam über seine gelbe Strickmütze. In der Ruhe liegt die Kraft. Irgendwann will er Angela Merkel sprechen, die Anfrage läuft. Der Erfolg der Podcasts hat für Hielscher auch mit der ungeteilten Aufmerksamkeit zu tun, die man dem Medium schenkt: „Podcasts hört man fast immer ganz alleine. Ein intimer Moment. Da flüstert jemand in dein Ohr, wer kommt denn schon so nah an dich heran?“
Außerdem berichten die Menschen in Podcasts Erlebnisse, die sie in keiner TV-Show je erzählen würden. „Das Gefühl ist ein anderes, das mit diesem Medium transportiert wird“, sagt Philipp Westermeyer, dessen Firma OMR den neuen Podcast mit Tim Mälzer produziert. „In Podcasts habe ich schon Informationen bekommen, die ich nirgendwo sonst erhalten hätte. Paul Ripke erzählte zum Beispiel mal, dass er sich sterilisieren lassen will.“ Sehr intim, in der Tat. Und sehr frei. Unbegrenzt. Wenn es gut läuft, würde man immer noch weiterhören wollen. Womit wir die Kurve zum Essen wieder bekommen. „Die Kunst der Sterneküche besteht darin, den Gast hungrig zurückzulassen. Er sollte sich unbedingt nach einem weiteren Löffel sehnen“, sagt Tim Mälzer. „Satt findet nur im Kopf statt.“ Vor diesem Hintergrund: Von „Fiete Gastro“ würde man gerne noch mehr probieren.