Hamburg. In Wellingsbüttel sind 16 Schüler erkrankt. Kinder, die Immunität nicht beweisen konnten, mussten zu Hause bleiben.

Überzogen und unverhältnismäßig – so empfindet Familie T. aus Wellingsbüttel das, was sich gerade an der Grundschule ihrer Töchter zugetragen hat. Weil es an der Strenge-Schule aktuell 16 Fälle von Windpocken gibt, durften Emilia (10) und Clarissa (9) zuletzt nicht am Unterricht teilnehmen, obwohl sie vor einigen Jahren bereits an Windpocken erkrankt waren und seitdem immun sind. Doch weil sie das nicht beweisen konnten, entschied das Gesundheitsamt: ab nach Hause. Die berufstätigen Eltern stellte das vor Herausforderungen, und die Kinder hätten auch lieber an den Schulausflügen teilgenommen, als zu Hause zu bleiben.

Ist die Entscheidung des Gesundheitsamtes, das in solchen Fällen zuständig ist, tatsächlich überzogen? Eltern von heute erwachsenen Kindern erinnern sich noch an Zeiten, in denen es einigermaßen undenkbar gewesen wäre, dass Impfbücher auf Windpocken-Stempel hin kontrolliert werden. In der Regel ließ man erkrankte Kinder einfach zu Hause. Es gab sogar sogenannte Windpocken-Partys, bei denen sich gesunde Kinder anstecken sollten, um die Krankheit zu bekommen und danach immun zu sein.

Windpocken in der Regel ungefährlich

Tatsächlich sagen auch viele Mediziner, dass die Virusinfektion, die zu dem typischen Hautausschlag führt, für Kinder in der Regel ungefährlich ist. Aber: „Bei Neugeborenen, Personen mit geschwächter Immunabwehr oder unter immunsuppressiver Therapie können sehr schwere, auch lebensbedrohliche Krankheitsverläufe auftreten“, sagt Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin. „Außerdem bleiben die Viren auch nach Krankheitsausheilung in den Nervenzellen des Körpers und können Jahre später zu einer Gürtelrose führen. Der beste Schutz vor der Infektion ist die Impfung“, so Rodeck weiter. Seit 2004 wird die Impfung gegen Windpocken empfohlen, in den ersten acht Jahren danach ist die Zahl der gemeldeten Fälle um 85 Prozent gesunken.

Anders wird es etwa in der Schweiz gehandhabt, wo Familie T. bis vor einigen Jahren gelebt hat. „Dort ist es bis heute üblich, dass die Kinder die Erkrankung ‚normal‘ durchmachen und dann dagegen immun sind“, so Familienvater Christian. Und so geschah es auch. Beide Töchter erkrankten 2010 an den Windpocken. „Und deshalb waren wir fest davon ausgegangen, dass unsere Kinder weiter zur Schule gehen können“, sagt er. Doch daraus wurde nichts.

Weitere Windpocken-Fälle in Wandsbek

Was genau ist passiert? Am Mittwochabend vergangener Woche erfuhren die Eltern von den Windpocken-Fällen an der Schule und dass am Folgetag die Impfausweise vom Gesundheitsamt kontrolliert werden würden. Sie wussten: Im Impfbuch ihrer Töchter würde man alle empfohlenen Impfungen vorfinden – die gegen Windpocken aber fehlt. „Obwohl wir die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes über die überstandene Erkrankung der Kinder informierten, durften die Kinder nicht in die Schule“, erzählen sie. „Uns wurde gesagt, dass wir die Erkrankung aus dem Jahr 2010 nachweisen müssen. Doch schnell erfuhren wir, dass auch die Beschaffung der Belege Tage dauern würde.“

Noch am Gründonnerstag setzte sich die Familie mit dem Gesundheitsamt in Verbindung. Dort hieß es, dass eine schriftliche Bestätigung der Eltern über die Erkrankung ausreichen würde. „Doch trotz des Schreibens wurden die Kinder am ersten Schultag nach Ostern wieder nach Hause geschickt“, so der Familienvater. „Das Gesundheitsamt hatte es sich offenbar anders überlegt.“ Er verstand die Welt nicht mehr. „Wir haben den Eindruck, dass aufseiten der Schule und des Gesundheitsamtes der Fall, dass die Kinder ungeimpftan Windpocken erkrankt waren und dadurch immun sind, gar nicht vorgesehen ist. “

Neuer Versuch der Familie T.

Beim zuständigen Gesundheitsamt in Wandsbek nachgefragt, will man sich zwar zum konkreten Fall nicht äußern, wohl aber zum allgemeinen Prozedere an der Schule. „Das Gesundheitsamt erkennt eine schriftliche Bestätigung der Erziehungsberechtigten an, aus der zweifelsfrei hervorgeht, wann das Kind Windpocken gehabt hat und wer diese Erklärung abgibt. In unklaren Fällen hat das Gesundheitsamt einen serologischen Nachweis gefordert, da es sich um einen großen Ausbruch handelt und im Interesse aller Betroffenen sichergehen muss, alle potenziell infektiösen Kontaktpersonen vom Schulbesuch ausgeschlossen zu haben“, so ein Sprecher. Im Bezirk seien zudem aktuell weitere Fälle von Windpocken gemeldet. Das sei allerdings nicht ungewöhnlich.

Familie T. hat inzwischen einen neuen Versuch gestartet und dem Gesundheitsamt Fotos zugeschickt, die die Töchter im Jahr 2010 mit Windpockenausschlag zeigen. Mit Erfolg: „Am Mittwoch durften unsere Kinder endlich wieder zur Schule gehen.“ Für die Zukunft wünscht sich die Familie: „Weniger Improvisation und stattdessen bessere Kommunikation.“