Hamburg. Die Verteidiger wollen die Verwendung des Protokolls als Beweismittel verhindern. Sie sehen die Menschenwürde verletzt.
Am 3. September 2018, gegen 8.30 Uhr, sitzen Arasch R. und Lisa S. im Besucherraum der JVA Billwerder an einem Tisch. Auf den ersten Blick ist alles so wie immer, wenn Lisa S. ihren Freund dort trifft. Arasch R. verbüßt seit fast zwei Jahren eine Gefängnisstrafe in Billwerder. Was beide nicht ahnen: Lisa S. steht nach einem Mordanschlag auf Dariusch F., einen Boss der Hamburger Rockergang Hells Angels, unter dringendem Tatverdacht. Auch haben sie nicht den blassesten Schimmer, dass Ermittler den Tisch, an dem sie sitzen, zuvor verwanzt haben und ihr Gespräch jetzt heimlich abhören.
Seit Ende Februar stehen Arasch R. und Lisa S. wegen des Mordversuchs – mutmaßlich ein Racheakt – vor dem Landgericht. Am 26. August 2018 hatte ein bisher unbekannter Schütze aus einem Mercedes Coupé am Millerntorplatz mindestens fünf Schüsse auf den in seinem Bentley sitzenden Dariusch F. abgegeben – Lisa S. soll den Wagen gefahren haben. Der Rocker brach blutüberströmt am Steuer zusammen, ist seither an den Rollstuhl gefesselt.
Das abgehörte Gespräch im Gefängnis gilt als das zentrale Beweismittel in dem Fall. Begriffe wie „Blutrache“ und „Bonnie & Clyde“ sollen da gefallen sein – vielmehr ist auch nicht bekannt. Offenbar gab der 28-Jährige, einst Mitglied der Führungsebene der mit den Hells Angels verfeindeten Rockergang Mongols, aber erst hier preis, was ihm die Staatsanwaltschaft im Prozess zur Last legt: dass er Lisa S. zu der Bluttat angestiftet hat. Erst durch das Gespräch sei Arasch R. in dem Verfahren zum Beschuldigten geworden, sagt seine Anwältin Fenna Busmann.
Verteidigung will Auswertung des Abhörprotokolls verhindern
Die drei Verteidiger der zwei Angeklagten wollen um jeden Preis verhindern, dass das Wortprotokoll der Lauschaktion als Beweismittel in dem Prozess verwertet wird. Am Dienstag haben sie deshalb einer Anordnung des Gerichts widersprochen, das Protokoll im sogenannten Selbstleseverfahren – und damit als Beweis – in die Verhandlung einzuführen.
Zum einen handele es sich bei dem Haft- und dem Besucherraum um einen durch das Grundgesetz (Artikel 13) geschützten Wohnbereich des Angeklagten, argumentiert Verteidigerin Busmann. Durch das heimliche Abhören des Gesprächs sei Arasch R. in seinem Grundrecht auf „Unverletzlichkeit der Wohnung“ verletzt worden. „Jeder hat das Recht, in Ruhe gelassen zu werden – Gefangene haben es auch“, so Busmann. Der Eingriff verstoße gegen das Recht ihres Mandanten auf eine geschützte Privat- und Intimsphäre. Er sei „in seiner Menschenwürde verletzt worden“.
Die rechtlichen Hürden für das staatliche Abhören in den eigenen vier Wänden liegen extrem hoch. Genehmigen muss einen solchen großen Lauschangriff stets die Große Strafkammer eines Gerichts, während für das Spionieren außerhalb der Wohnung der Beschluss eines Ermittlungsrichters ausreicht – so wie es im Fall von Arasch R. und Lisa S. geschehen ist. Allerdings handelt es sich nach gängiger Rechtsauffassung bei Haft- und Besucherräumen auch gerade nicht um eine Wohnung im Sinne von Artikel 13.
Verteidiger sieht „Verstoß gegen Menschenwürde“
Selbst wenn das Landgericht den Besucherraum nicht als grundrechtlich geschützten Wohnbereich anerkenne, verstoße das heimliche Abhören doch in jedem Fall gegen das Prinzip eines fairen Verfahrens, so Busmann weiter. Gefangene und Besucher der JVA Billwerder würden zwar darauf hingewiesen, dass der Besucherraum dort optisch, also per Videotechnik, überwacht werde. Hinweise auf eine akustische Überwachung gebe es jedoch nicht. Vielmehr sei Arasch R. und seiner Freundin an jenem Tag vorgespielt worden, dass die Situation „so war wie immer“ und das gesprochene Wort eben nicht abgehört werde. Ihr Mandant habe keine Chance gehabt, diese kriminalistische List zu durchschauen. Busmann: „Und das ist unfair.“
Ähnlich argumentierte auch Siegfried Schäfer, der Verteidiger von Lisa S. Mit einer akustischen Überwachung hätten die beiden unmöglich rechnen können. Sie hätten, wie bei allen vorherigen Treffen auch, vielmehr darauf vertraut, nur von einer Kamera überwacht zu werden. Beide Angeklagten hätten im Ermittlungsverfahren zudem zu den Vorwürfen geschwiegen. Es sei „rechtsstaatswidrig, wenn das Recht des Beschuldigten zu schweigen durch eine List umgangen wird“, so Schäfer. Das heimliche Abhören des persönlichen Gesprächs stelle zudem einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar. Die beiden seien nicht bloß im Unklaren gelassen worden über die Strategie der Ermittlungsbehörden. „Ihr Vorgehen hatte den Charakter einer Täuschung“, so Schäfer. Überhaupt sei das Abhören nur durch einen „bewussten Missbrauch des Vertrauens des Angeklagten“ möglich gewesen. Mit den Grundsätzen eines „rechtsstaatlich fairen Verfahrens“ sei das Vorgehen der Ermittlungsbehörden jedenfalls nicht zu vereinbaren.
Für die Anklage ist das Abhörprotokoll als Beweismittel ebenso zentral wie für die Verteidigung problematisch. Für Donnerstag hat die Staatsanwaltschaft eine Replik angekündigt. Entweder kurz danach oder am Freitag will das Gericht über das beantragte Beweiserhebungs- und verwertungsverbot entscheiden.