Hamburg . Der frühere Rockerboss Dariusch F. sitzt jetzt im Rollstuhl. Die Angeklagten schweigen. Doch die Ermittler kennen immer mehr Details.

Vielleicht war es Liebe, eine radikale, zerstörerische und blinde zwar, aber eben doch Liebe, die Lisa S. dazu bewogen hat, einen Mord zu begehen. Auch um ihrem Freund zu „gefallen“, so heißt es in der Anklage der Staatsanwaltschaft, habe sich die 24-Jährige zur Bluttat anstiften lassen. Als Lisa S. am Mittwoch aus der Haftanstalt in den Gerichtssaal geführt wird, fällt außerdem ein großes Tattoo in ihrem Dekolleté auf. Ein geschwungener Schriftzug, nur ein Name, doch der Name ist auch ein Bekenntnis: Arasch.

Arasch ist Arasch R., 28 Jahre alt, mehrfach vorbestraft. Einst galt er als starker Mann in der Hamburger Sektion der Mongols. Reichlich großmäulig waren die Rocker vor vier Jahren in Hamburg angetreten, um den im Rotlichtmilieu etablierten Hells Angels die Macht auf dem Kiez zu entreißen. Tatsächlich entfachten sie mit ihrer Kampfansage an die Platzhirsche einen Rockerkrieg, der Ende 2015 in einer Schießerei gipfelte. Kurz darauf lösten sich die Mongols auf.

Das Liebespaar sitzt am Montag getrennt vor Gericht, beide schweigen zu den Vorwürfen, Arasch R. weist sie zurück. Links der bullige, im Gesicht tätowierte Mann mit dunklem Vollbart und kantigen Zügen, rechts die hübsche, blonde junge Frau. Gemeinschaftlich sollen sie versucht haben, Dariusch F., den Ex-Boss der Hamburger Hells Angels, umzubringen – heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen. Niedrige Beweggründe meint hier: aus Rache und zur „Wiederherstellung der Ehre“.

Auf Dariusch F. wurden fünf Schüsse abgegeben

Arasch R. verzieht keine Miene, als die Staatsanwältin die Anklage verliest. Der 28-Jährige, damals Insasse der JVA Billwerder, soll Lisa S. den Mordauftrag im oder aus dem Gefängnis heraus erteilt haben, so die Anklage. Dass er nicht direkt an der Tat beteiligt war, hilft ihm im Fall einer Verurteilung wenig. „Der Anstifter wird gleich dem Täter bestraft“, so will es das Gesetz.

Am 25. August 2018 erkundet die 24-Jährige demnach mit einem silberfarbenen Mercedes-Coupé 215 den Tatort und das nähere Umfeld. Am Tag darauf, so die Anklage, fährt sie mit dem Auto von ihrer Wohnung in Jenfeld erneut zum Kiez, sammelt auf dem Weg den bisher nicht ermittelten Schützen ein. Vor der Trattoria Palermo entdeckt das Mordkommando den weißen Bentley von Dariusch F. Es ist 23 Uhr.

Im RTL-Videotext taucht jetzt die via SMS geschickte Nachricht einer Absenderin mit dem Kürzel Lixyz auf: „Ich habe das schönste Kleid gefunden.“ Es sind verschlüsselte Botschaften wie diese, mit der die junge Frau ihren Freund zu jeder vollen Stunde auf dem Laufenden hält, wie die Ermittler später herausfinden. Arasch R. selbst hat in der JVA keinen Zugriff auf ein Handy. Um 23.50 Uhr steigt Dariusch F. in sein Auto, dicht dahinter Lisa S. und der Komplize.

An der Kreuzung Budapester Straße/Millerntorplatz hält der Bentley vor einer roten Ampel, das Coupé links daneben. Dann passiert es: Von der Beifahrerseite gibt der Schütze mit einer Waffe, Kaliber 7,65 mm, fünf Schüsse auf Dariusch F. ab. In die Schulter, am Schädel und im Oberkörper getroffen sackt er am Steuer zusammen. Wird notoperiert, überlebt knapp. Den Tätern gelingt die Flucht.

Dariusch F. sitzt mit 38 Jahren im Rollstuhl

Dariusch F., Kampfsportler und einst Scharfschütze bei der Bundeswehr, Patron der Hamburger Hells Angels, betreibt damals mehrere „Steigen“. Freunde nennen ihn „Dari“, andere mit Blick auf seinen brutalen Stil halb respekt-, halb angstvoll „den Schlächter“. Auf das Konto der verbotenen Rockergang, deren harter Kern in Hamburg laut Polizei aus „40 bis 50 Personen“ besteht, gehen Drogenhandel, Prostitution und Verstöße gegen das Waffengesetz. Doch der Anschlag hat alles geändert. Dariusch F. sitzt mit 38 Jahren im Rollstuhl. Die Diagnose: Querschnittssyndrom.

In dem Fall ermittelt das Fachdezernat für Milieukriminalität (LKA 65). Die Beamten werten Aufzeichnungen von Polizei-Kameras aus, die auf dem Kiez postiert sind, dabei stoßen sie auf ein Mercedes Coupé, auf das die Zeugenbeschreibungen passen. Am 25. August, dem Tag vor den Schüssen, ist zu sehen, wie der Wagen einige Runden über den Kiez dreht. Am 26. August selbst sind die Kameras aus rechtlichen Gründen abgeschaltet.

Doch die Bilder verraten den Beamten schon viel: Über ein Fragment des Kennzeichens finden sie heraus, dass das Auto auf den Freund der Schwester von Arasch R. zugelassen ist. „Da kamen die Kollegen gleich auf den Anschlag von 2016“, sagt Polizei-Zeuge Christian Sch.

Anschlag von 2016 wurde nie aufgeklärt

Rückblende: Am 16. Juni 2016, einige Monate nach Ende des Rockerkrieges, tritt Lisa S. auf die Terrasse eines Hauses am Vielohweg (Schnelsen). Im Schutz der Dunkelheit verbirgt sich ein vermummter Schütze, er feuert ohne Vorwarnung. Drei Kugeln treffen Lisa S. Als Arasch R. ihr zur Hilfe eilen will, schießt der Täter ihn nieder. Beide werden schwer verletzt. Lisa S. fällt ins Koma, ihr Leben hängt am seidenen Faden. Der Anschlag wird zwar nie aufgeklärt. Doch die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass die Angeklagten Dariusch F. dafür verantwortlich gemacht haben und im August 2018 Vergeltung üben wollten.

Nach der Kennzeichenabfrage gelingt es den Ermittlern, das Mercedes Coupé zu orten und ein Geodaten-Profil zu erstellen – über eine im Auto eingebaute SIM-Karte. Am 30. August wird es erstmals in Limburg an der Lahn lokalisiert. Dann in Berlin. Dann in Magdeburg. Schließlich in Wittenberge. Als Lisa S. am Bahnhof das Coupé verlässt, wird sie von Beamten fotografiert. In Hamburg gleichen die Ermittler die Aufnahmen mit einem Passbild der Verdächtigen ab – Treffer. Zudem taucht ihr Name in Arasch R.s Besucherliste auf.

Das Opfer hat bei der Polizei keine Angaben gemacht

Um den Ex-Mongol in der JVA Billwerder zu besuchen, kehrt die 24-Jährige nach Hamburg zurück, vorher färbt sie sich die Haare rot. Was beide nicht ahnen: Die Polizei schneidet ihr Gespräch am 3. September mit. „Das Gespräch hat den Tatverdacht gegen beide erhärtet“, sagt Christian Sch. Am 4. September verhaftet ein Sondereinsatzkommando Lisa S. in ihrer Wohnung am Denksteinweg.

Der Gesprächsinhalt ist am Mittwoch kein Thema vor Gericht, es sollen Begriffe wie „Blutrache“ und „Bonnie & Clyde“ gefallen sein, sagt Lisa S.’ Verteidiger Siegfried Schäfer. Ob ihre Aussagen die Annahme begründen, dass Arasch R. den Mordauftrag erteilte und Lisa S. den Wagen steuerte, sei aus seiner Sicht offen. „Das Gespräch lässt mehrere Interpretationen zu“, so Schäfer. Auch sei gar nicht klar, wer das Coupé am Tattag gefahren habe.

Ob das Gericht Dariusch F. vernehmen kann, hängt auch von seinem Gesundheitszustand ab. Der 38-Jährige, von der Taille abwärts gelähmt, kämpft gegen seine Beschwerden in einer norddeutschen Reha-Klinik. „Gegenüber der Polizei hat der Geschädigte keine Angaben gemacht“, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen. Die Rocker-Szene ist dafür bekannt, ihre Probleme „selbst zu regeln“. Auch habe er seine Ärzte nicht von der Schweigepflicht entbunden. Seine Patientenakte, die gerichtsfest Aufschluss über Schäden infolge der Tat gibt, habe deshalb beschlagnahmt werden müssen.