Hamburg. Den Mitbegründer der Hamburg Towers kennen in Wilhelmsburg fast alle. Der Sportchef spricht über Vorurteile und sein großes Ziel.

Marvin Willoughby ist eine imposante Gestalt. 2,02 Meter groß, athletisch, gut aussehend. Wenn er durch Wilhelmsburg geht, drehen sich viele nach ihm um, Jüngere sprechen ihn an. Willoughby bleibt dann kurz stehen, wechselt ein paar Worte, lächelt; mit Kids, die er kennt, klatscht er sich ab. Der 41-Jährige genießt Ansehen und Respekt. Und wenn die Hamburg Towers, die an diesem Sonnabend gegen die Rostock Seawolves in die Aufstiegsrunde zur Basketballbundesliga starten, mit dem Slogan „More than Basketball“ werben, trifft das im Besonderen auch auf deren geschäftsführenden Gesellschafter zu.

Willoughby ist mehr als der Basketballprofi und -nationalspieler, der er einst war. Er ist Sportchef der Towers, aber auch Sportlehrer, Nachwuchstrainer, Sozialarbeiter, Erzieher, Manager, Unternehmensberater, nicht zuletzt Familienvater – und der wohl bekannteste Einwohner des Stadtteils. Er hat Wilhelmsburg in den vergangenen Jahren mit den 2014 gegründeten Towers eine neue Identität gegeben. Nur eines macht er kaum noch: Basketball spielen. Dafür bleibt ihm einfach keine Zeit.

Seine Mission ist längst nicht zu Ende

Willoughbys Mission ist längst nicht zu Ende. Mit dem Hamburger Projektentwickler Tomislav Karajica, Hauptgesellschafter und wichtigster Sponsor der Towers, plant er eine neue Spielstätte für den Verein, den Elbdome an der U- und S-Bahn-Station Elbbrücken. Rund 150 Millionen Euro soll die Arena kosten, bis zu 9000 Zuschauer fassen. Die privatwirtschaftliche Finanzierung haben Karajica und seine Geschäftspartner zugesagt. SPD-Sportsenator Andy Grote unterstützt die Pläne politisch. „Hamburg braucht diese Halle“, sagt er. Der angedachte Standort im Billhafen, dort soll ein Süßwasserbecken zugeschüttet werden, ist jedoch umstritten. Momentan läuft ein Testplanverfahren.

Willoughby, Sohn eines Nigerianers und einer Deutschen, wurde in Wilhelmsburg geboren. 1990 war er zwölf Jahre alt, spielte Fußball, Schach, Basketball in der Schulmannschaft oder allein auf der Straße, machte Kampfsport, besuchte die Gesamtschule, die heute den Namen Nelson Mandelas trägt. Er versuchte, nicht aufzufallen. War er unterwegs, hörte er weg, wenn in der S-Bahn oder im Bus wieder mal rassistische Sprüche fielen. Die Worte hat er bis heute nicht vergessen, auch nicht deren ausländisch klingenden Akzent und die falsche Grammatik jener Sätze.

Prägende Erlebnisse

Blühende Landschaften hatte CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 bei der Zusammenführung des Landes den Ostdeutschen versprochen. Für die Wilhelmsburger mögen solche Aussagen wie Hohn geklungen haben. Ihr Stadtteil war vom Rest Hamburgs abgehängt, die Wiedervereinigung auf unabsehbare Zeit verschoben, der Fluss, der den Norden vom Süden kulturell und wirtschaftlich trennt, eine unüberwindbare Mauer in den Köpfen. Und wenn Willoughby mal den Sprung über die Elbe wagte, bekam er zu hören: „Was, du kommst aus Wilhelmsburg? Ey, das ist ja echt krass. Wie bist du da rausgekommen? Wo sind dein Messer und deine Pistole? Zeig mal deine Schusswunden!“ Oder: „Wieso kannst du überhaupt so gut Deutsch?“

Diese Erlebnisse haben ihn geprägt. „Wir waren die Kanaken. Ich wurde ständig mit negativen Dingen konfrontiert. Das war für einen Heranwachsenden extrem frustrierend. Mein Traum ist es, dass die Hamburger irgendwann mal sagen: Hey, du kommst aus Wilhelmsburg! Das ist doch der coole Ort, wo dieser megageile Basketballclub in der Bundesliga spielt!“ Die Erste Liga bleibt Willough­bys großes Ziel. Es drängt zwar nicht, aber der Aufstieg darf gern schon diese Saison passieren. Deshalb findet er in der Kabine – in Abstimmung mit Trainer Mike Taylor – auch mal deutliche Worte, wenn die Mannschaft das vermissen lässt, was er als Grundtugenden ansieht: Kampfgeist und Einsatzbereitschaft.

Brücken in den Norden Hamburgs

Was Garten- und Bauausstellung 2013 nicht schafften, scheint den Towers zu gelingen. Schon in ihrer Premierensaison 2014/15 der 2. Basketballbundesliga ProA konnten sie Brücken in den Norden Hamburgs schlagen. Acht Minuten braucht die S-Bahn vom Hauptbahnhof bis Wilhelmsburg. Spielen die Towers, sind die Waggons überfüllt. Diese Saison waren 13 der 15 Heimspiele in der edel-optics.de-Arena mit 3400 Zuschauern ausverkauft. Kein anderer Zweitligaclub erfreut sich ähnlicher Nachfrage. „Die Wilhelmsburger haben so was noch nicht erlebt. Die finden das richtig abgefahren, wie angesagt sie sind“, sagt Willoughby. 2,7 Millionen Euro beträgt inzwischen der Etat des Clubs. Im Sommer 2016 wurde zudem ein Breitensportverein, der e. V., gegründet. Er soll in ein paar Jahren am Rotenhäuser Damm ein eigenes Sportzentrum erhalten.

Es ist 29 Jahre her, als Willough­bys Leben eine Wende nahm. Im Schulsport-Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ hatte sich sein Basketballteam bis ins Hamburger Finale geworfen. Dort fielen Athletik und Schnelligkeit des Jungen auf. Auswahltrainer Peter Lazar empfahl ihm, sich einen Verein zu suchen. Willoughby ging zur TS Harburg. Zweieinhalb Jahre später unterschrieb er, gerade 16 und Jugend-Nationalspieler, seinen ersten Profivertrag. Steiner Bayreuth, damals eine der ersten Adressen der Basketball-Bundesliga, wollte sich seine Dienste frühzeitig sichern. Willoughby sollte niemals für diesen Club spielen. Der Verein aber ermöglichte es ihm, 1994 in die USA zu gehen, nach Orange Park im Bundesstaat Florida auf die dortige Public School, bezahlte die Kosten des Aufenthalts.

Willoughby erhielt den Bundesverdienstorden

Willoughbys Mutter, nach der Scheidung alleinerziehend, nahm ihren Sohn in die Pflicht, nach der Rückkehr das Abitur zu machen. Aus einem Jahr in Amerika wurden zwei, eine Privatschule in Richmond (Virginia) gab ihm ein Stipendium. Nach dem Highschool-Abschluss buhlten mehrere Colleges um ihn, der junge Deutsche hatte im Basketball, aber auch im Football Eindruck bei den Scouts hinterlassen. So gern er geblieben wäre, seine Mutter mahnte ihn an sein Versprechen. Willough­by kehrte zurück, machte Abitur, spielte von 1996 bis 1998 bei Rist Wedel in der Zweiten Liga Nord.

1998, Bayreuth hatte finanzielle Probleme, wechselte er zur DJK Würzburg, dem Verein seines Freundes Dirk Nowitzki, mit dem er die Jugendnationalmannschaften durchlief, an drei Nachwuchs-Europameisterschaften teilnahm, mit dem er später bei der A-Nationalmannschaft das Zimmer teilte. Auch wenn sich die Wege der beiden im Alter von 18 Jahren trennten, der Freundschaft tat es keinen Abbruch. Die Dirk-Nowitzki-Stiftung unterstützt Willough­bys soziale Projekte. Während Nowitzki in der nordamerikanischen Profiliga bei den Dallas Mavericks zum Weltstar aufstieg, verpasste Willoughby bei der Talentsichtung den Sprung in die NBA. „Einmal war es knapp, letztlich war ich wohl technisch nicht gut genug“, sagt er. In Würzburg und Köln spielte er Bundesliga, in Italien und Frankreich kurzzeitig im Ausland. Mit Köln gewann er 2004 und 2005 den deutschen Pokal.

Engagement für Jugendliche

Höhepunkt seiner 35 Länderspiele war das EM-Halbfinale 2001 in der Türkei. Die Deutschen verloren gegen die Gastgeber in letzter Sekunde. Ende 2005, mit 27, musste Willoughby seine Laufbahn nach drei Operationen am rechten Sprunggelenk beenden, „bevor die besten Jahre als Basketballer begonnen hatten“. Wehmut klingt dennoch nicht bei ihm durch. „Profisportler sein zu dürfen ist ein Geschenk. Du kannst nicht sauer sein, wenn du mal kein Geschenk bekommst.“ Während der Reha in Köln lernte er seine Ehefrau Sophie kennen, eine Volleyballerin, die sich beim Skilaufen das Kreuzband gerissen hatte. Das Paar hat zwei Jungen.

Ohne die Verletzung wäre Willough­by vielleicht nie die allseits anerkannte Persönlichkeit geworden, die er heute ist. Seine zweite Karriere hat Spuren in der Stadt hinterlassen. Er organisiert mit Freunden Basketballcamps für Kinder, geht in Schulen, in Problemviertel, treibt mit Jugendlichen Sport, lehrt sie, sich an Regeln zu halten, „wie wir gut zusammenleben und effektiv zusammenarbeiten können“. Im November 2015 erhielt Willoughby für sein soziales Engagement von Bundesarbeitsministerin An­drea Nahles den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Die Hamburger Sportgala zeichnete ihn im Dezember 2017 mit dem Ehrenpreis aus.

Erfolgreiches Schulprojekt

Mit dem Soziologen Jan Fischer, heute Willoughbys Partner und Gesellschafter bei den Towers, und weiteren Freunden gründete er 2006 den Verein Sport ohne Grenzen, 2011 die Inselakademie, startete das erfolgreiche Schulprojekt „Lern 4 Life“. Seit elf Jahren bildet er mit seinem Trainerteam talentierten Basketballnachwuchs bei den Piraten Hamburg für die Jugend- und Nachwuchs-Bundesliga aus. Seiner Mutter kaufte er im Jahr 2000 von seinem ersten verdienten Geld als Basketballer eine Wohnung in Ottensen. „Das habe ich in den USA gelernt, dass man als guter Sohn zuerst was für seine Mutter tut. Sie hat für mich und meine Schwester alles gegeben, was in ihren Kräften stand. Unsere Verhältnisse in Wilhelmsburg waren schwierig. Uns wurden wiederholt Wasser und Strom abgestellt. Ich wollte einfach, dass es ihr besser geht.“

Auch Marvin Willoughby zog es nach seiner Rückkehr zunächst nach Eimsbüttel. Heute lebt er wieder auf der Elbinsel. „Ich mag das Wort zwar nicht, aber ich bin schon stolz, Hamburger und Wilhelmsburger zu sein. Ich war zehn Jahre lang weg und weiß zu schätzen, was hier möglich ist. Hamburg ist eine tolerantere Stadt geworden, in der es sich zu leben lohnt.“ Die Politik, mahnt er, mache aber einen Fehler, wenn sie die bestehenden Probleme Wilhelmsburgs nur als kulturelle Herausforderung begreift.

Ökonomisches Problem

„Wilhelmsburg ist Hamburgs Stadtteil mit der im Durchschnitt jüngsten Bevölkerung. Hier leben Leute, die später mal unsere Renten zahlen sollen. Aber rund 70 Prozent der Menschen beziehen Sozialleistungen. Das ökonomische Problem ist größer als das kulturelle. Wilhelmsburg kann nur weiter aufholen, wenn deutsche Familien hier nicht nur wohnen wollen, sondern auch ihre Kinder hier zur Schule schicken. Das geschieht derzeit nur in Ausnahmefällen. Dies schnell zu ändern sollte unsere wichtigste Aufgabe sein.“

Nächste Woche: Stefan Renz, Landesvorsitzender der Hamburger Kinderärzte