Hamburg. Vor 100 Jahren wurde „Ausschuss für Säuglings- und Kleinkinderanstalten“ gegründet. Größter Kita-Betreiber der Stadt entstand.

Als der Erste Weltkrieg im November 1918 zu Ende geht, ist die Not der Bevölkerung ebenso groß wie die Bereitschaft, etwas Neues zu beginnen. Ein neues Reichswahlgesetz erlaubt erstmals auch Frauen die Teilnahme an Wahlen, die Hamburgische Bürgerschaft wird erstmals frei und unabhängig von Stand und Geschlecht gewählt, und die Universität Hamburg wird gegründet. Und in jenen Tagen, genau genommen am 24. Februar 1919, wird eine Institution in das Vereinsregister eingetragen, die das Leben vieler Hamburger prägen wird: der „Ausschuss für Säuglings- und Kleinkinderanstalten“.

100 Jahre später ist dieser „Ausschuss“ besser bekannt als „Elbkinder“, der mit Abstand größte Kita-Betreiber der Stadt. Mehr als 30.000 Kinder werden an nahezu 240 Standorten – 185 Kitas in Hamburg, 37 Schulen sowie zwölf Kitas außerhalb Hamburgs – betreut. „Die Elbkinder sind eine tragende Säule unserer modernen Kinder-Betreuung“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Donnerstag bei einem Senatsempfang zum Jubiläum des städtischen Unternehmens vor 500 Gästen im Festsaal des Rathauses. Tatsächlich besucht mehr als jedes dritte Hamburger Kita-Kind eine Elbkinder-Einrichtung. Und mit 6800 Mitarbeiterinnen (einige Männer sind auch darunter ...) ist das Unternehmen nebenbei einer der größten Arbeitgeber der Stadt.

Ursprünge gehen bis ins 18. Jahrhundert

Diese Dimensionen konnte 1919 vermutlich noch niemand erahnen. Denn das Thema Kinderbetreuung hatte sich nur sehr zögerlich entwickelt. Wie der ebenso umfangreichen wie liebevoll gestalteten Festschrift der Elbkinder zu entnehmen ist, lassen sich die Ursprünge in Hamburg bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen.

Rückblick: Im Jahr 1792 errichten wohlhabende Privatleute die sogenannten „Wartezimmer“ für die Kinder der Armen. Und seit den Anfängen der ­1830er-Jahre werden die Kinder berufstätiger Eltern in „Warteschulen“ betreut. Sie sind spendenfinanziert und weit entfernt von modernen Standards hinsichtlich Pädagogik und Hygiene. Rund 50 dieser und ähnlicher Einrichtungen schließen sich 1918 zum „Ausschuss für Säuglings- und Kleinkinderanstalten“ zusammen, der ein Jahr später offiziell eingetragen wird. Der bundesweit einmalige Ausschuss ist eine private Organisation, an der sich die Stadt allerdings mit 100.000 Mark beteiligt.

Klettern und Verstecken waren auch
1961 bei Kindern beliebt.
Klettern und Verstecken waren auch 1961 bei Kindern beliebt. © Unbekannt | Elbkinder

Wer in der Elbkinder-Chronik mit den vielen historischen Fotos stöbert, stellt einerseits fest: So viel hat sich seitdem gar nicht verändert. Seilspringen, Toben, im Sommer eine nasse Abkühlung mit dem Gartenschlauch oder aufregende Ausflüge in den Wald oder an den See, im Winter Geschichten vorlesen – das waren damals wie heute beliebte Aktivitäten in Kindergärten und Kitas. Dennoch erzählen die Bilder auch vom Wandel der Zeit: Dass Mädchen fast ausschließlich Röcke oder Kleider mit Rüschen tragen, ist ebenso überholt wie Jungs, die zu jeder Jahreszeit in kurzen Lederhosen herumlaufen.

Mädchen hatten früher immer Schürzen an

„Die Mädchen hatten früher immer Schürzen an. Damit sie sich nicht schmutzig machen“, hat Kati bemerkt, die die Kita Hummelsbüttler Hauptstraße besucht und zusammen mit anderen Kindern für die Festschrift erzählt hat, was sich in den 100 Jahren verändert hat. Der entscheidende Unterschied zu damals aus ihrer Sicht: Ihre Freundinnen heute „dürfen sich schmutzig machen“. Der kleine Marten aus der Kita würdigt sogar eine große sozialpädagogische Errungenschaft: „Mein Opa wurde noch mit dem Stock gehauen. Heute darf man keine Kinder mehr hauen.“

Doch es gibt ein noch dunkleres Kapitel: Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft im Jahr 1933 beginnt auch beim damaligen „Ausschuss für Kinderanstalten“ die Gleichschaltung. Die jüdische Leiterin Anna Warburg muss den Vorstand verlassen, und die „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ (NSV) übernimmt die Aufgaben der Jugendämter. Ein Jahr später wird der Ausschuss in die NSV eingegliedert, und „Nicht-Arier“ werden ausgeschlossen. 1943 wird der Name in „Vereinigung städtischer Kinder- und Jugendheime der Hansestadt Hamburg e. V.“ geändert.

Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs prägen die Nachkriegsjahre. Viele Frauen sind auf sich allein gestellt, weil ihre Männer gefallen oder noch in Gefangenschaft sind. Um arbeiten zu können, sind sie auf eine Betreuung ihrer Kinder angewiesen. Immerhin: Die „Vereinigung“ kann ihre Arbeit mit 76 Tages- und 20 Vollheimen fortsetzen, 1946 werden dort 5298 Kinder betreut. Am Rande: Die „Kinderbewahranstalt von 1852“ (heute Kita Kohlhöfen) feierte schon im Dezember 1952 ihren 100. Geburtstag.

Immer mehr Kinder

Die Zahl der Einrichtungen steigt in den 50er- und 60er-Jahren massiv an und mit ihr die Zahl der Kinder. 1965 werden schon 12.000 Kinder in 135 Einrichtungen betreut, Ender der 80er-Jahre wird die Marke von 20.000 Kindern geknackt. 1988 wird die Vereinigung zudem aus der Sozialbehörde herausgelöst und rechtlich selbstständig, bevor 2012 der heutige Name entsteht: „Elbkinder Vereinigung Hamburger Kitas“.

Mittagsschlaf am Wasser: Kinder der Kita Ludolfstraße 1961.
Mittagsschlaf am Wasser: Kinder der Kita Ludolfstraße 1961. © Elbkinder | Unbekannt

Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD), gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzende der Elbkinder, blickte bei dem Empfang auf die bewegte Geschichte des Unternehmens zurück: Sei es 1919 darum gegangen, Kinder buchstäblich „von der Straße zu holen“, ihnen Essen und ein Dach über dem Kopf zu bieten, gehe es heute um viel mehr: „Unsere Kitas sind ein Lern- und Erlebnisort für alle Kinder. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag dazu, dass für Familie, Beruf und Aufwachsen gute Bedingungen herrschen.“

Liedermacher Rolf Zuckowski brachte es im Rathaus musikalisch auf den Punkt, indem er eines seiner bekanntesten Kinderlieder umdichtete: „Wie schön, dass du gegründet bist. Wir hätten dich sonst sehr vermisst.“