Hamburg. Amir D. wollte Patientinnen ein Hollywood-Smile zaubern– stattdessen litten sie Schmerzen. Unter ihnen die Chefin von Susis Show-Bar.
Er zog gesunde Zähne, die nicht gezogen werden mussten: Jahre später leiden seine vier Patienten noch immer unter Schmerzen und müssen sich behandeln lassen – wegen kapitaler Fehler, die nach Überzeugung des Amtsgerichts ihr Zahnarzt Dr. Amir D. zu verantworten hat. Neun und zehn Jahre liegen die Taten, liegen die verpfuschten Behandlungen nun schon zurück. Sandra G. (41) musste sich in der Konsequenz einer Wurzelbehandlung unterziehen – und zwar an allen Zähnen bis auf zwei. Einer anderer Patientin, Susi R., zog er ohne Not mindestens zehn gesunde Zähne.
Das Amtsgericht hat Amir D. am Mittwoch wegen Körperverletzung in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt. Der 54-Jährige habe dabei bedingt vorsätzlich gehandelt und damit die schmerzhaften und erheblichen Folgen „billigend in Kauf“ genommen. Sechs Monate gelten jedoch als bereits verbüßt – eine Kompensation für die überlange Verfahrensdauer, ein Resultat träger Ermittlungen und Verzögerungen bei Gericht, wie Richterin Jessica Oeser einräumt. Außerdem muss Amir D. an die vier Betroffenen 36.000 Euro Schmerzensgeld zahlen – 9000 Euro für jeden.
Zahnarzt Amir D. hatte sich "selbst überschätzt"
Was hat Amir D. angetrieben, seine Patienten auf diese Weise zu falsch behandeln? Die Gier nach üppigen Honoraren war es nach Überzeugung der Amtsrichterin nicht. Amir D., dem vor der Insolvenz 2012 drei Praxen in besten Hamburger Lagen gehörte, verdiente im Tatzeitraum 2009 und 2010 noch gut genug. Vielmehr habe er den Wunsch seiner Patienten nach schöneren Zähnen erfüllen wollen, weil er sie nicht verlieren wollte – und wohl auch die Einnahmen nicht. Das Aufhübschen der Gebisse habe er ihnen als „einfach und machbar“ vermittelt, sich dabei aber „selbst überschätzt“, so Oeser.
Anders als Amir D.’s Verteidiger, der Freispruch gefordert hatte und nun über eine Berufung nachdenkt, sieht das Gericht keinen Anlass, an der Glaubwürdigkeit der vier Zeugen zu zweifeln. Von Belastungstendenzen gegenüber dem Dentisten könne keine Rede sein, so die Richterin. „Misstrauen“ hingegen sei bei der Aussage einer ehemaligen Angestellten von Amir D. angezeigt. Diese sei von „denkwürdigen Erinnerungsinseln“ geprägt. Entlastende Details zu den lange zurückliegenden Behandlungen habe sie teils präzise widergeben können, während ihr die Umstände ihrer auf die Insolvenz folgende Entlassung nicht mehr erinnerlich waren.
Nach achtstündiger Operation fehlten 15 Zähne
Fest steht aber auch, dass Amir D. seinen Patienten ein „Hollywood-Smile“ ins Gesicht zaubern wollte und sollte. Susi R., Chefin in Susis Show-Bar auf dem Kiez, kreuzte Heiligabend 2009 mit Zahnschmerzen bei dem Dentisten auf. Ihre Zähne seien allesamt „Schrott“, er könne ihr schöne neue machen, habe ihr der Arzt gesagt, so die Zeugin. Gleich am ersten Weihnachtsfeiertag zog er ihr in einer achtstündigen Operation 15 Zähne, darunter „mindestens zehn vitale“, die restlichen sieben folgte in einer zweiten Op im Sommer. Am Ende hatte sie 20 Implantate im Mund. „Laut Gutachten hätte die Planung einer solchen Operation etwa ein Jahr in Anspruch nehmen müssen“, so Oeser. Amir D. habe es in einer Woche machen wollen. „Dass das so nicht geht, war ihnen klar.“ Weil das Röntgenbild von Susi R. eine uneinheitliche Knochenlinie zeigte, hätte er die Implantate niemals einsetzen dürfen. Zwar habe Susi R. sich eine radikale Behandlung gewünscht. „Doch einen derart unvernünftigen Wunsch umzusetzen, verbietet sich einfach“, so Oeser.
Einheitliche, weiße Zähne – davon träumte auch Sandra G., als sie im Oktober 2010 in die Praxis von Amir D. kam. Die 41-Jährige litt allerdings auch unter Zahnschmerzen, dennoch habe der Angeklagte ihre Zähne überkront. „Darum hätten sie sich aber zuerst kümmern müssen“, so die Richterin. Amir D. habe daraufhin die Kronen wieder entfernt und sämtliche Zähne abgeschliffen. Daraufhin sei eine Wurzelbehandlung an fast allen Zähne erforderlich geworden – „schlimmere Schmerzen gibt es kaum, da geht man die Wände hoch“, zitierte die Richterin den Gutachter. Außerdem habe er die Retraktionsfäden, die das das Zahnfleisch vom Zahnhals verdrängen, viel zu lange im Mundraum belassen.
Behandlung erwies sich als nutzlos
Eine weitere Patienten, Dina A., wollte sich 2009 nur ein Implantat einsetzen lassen – sie bekam vier, dazu noch schiefe. Eines erwies sich als „völlig nutzlos“, es schmerzte nur. Dina A. litt unter „massiven Beschwerden“. Vier Zähne mussten wurzelbehandelt, sechs entfernt werden. Bei einem weiteren Patienten sollte der Kiefer mit künstlichem Knochenmaterial aufgefüllt, zudem sollten Implantate eingesetzt werden. Dabei öffnete Amir D. jedoch die Mundnebenhöhle. Jens Z. leidet seither unter einer chronische Entzündung.
Vermisst habe sie vom Angeklagten ein Wort des Mitgefühls für seine Patienten, so die Richterin. Amir D. habe auch in seinem letzten Wort nur über sich gesprochen und tendenziell seinen Patienten die Schuld für den Ablauf der Behandlungen zugeschrieben. Amir D. hat inzwischen eine neue Praxis eröffnet, nachdem er wegen eines Autounfalls länger pausieren musste. Dass sie die Strafe zur Bewährung ausgesetzt habe, so die Richterin, liege vor allem daran, dass es keine neuen Verfahren oder Beschwerden gebe. „Es hat sich etwas geändert.“